München ist "New Yorks große Discoschwester"

"Mjunik Disco": Mit seinem Buch feiert Mirko Hecktor 60 Jahre Münchener Nachtkultur. Von den 50er Jahren bis zur heutigen Clubszene - das Buch zeigt, dass Münchens Nachtleben immer etwas Besonderes war und ist.
von  Abendzeitung
Yellow Submarine: Abtauchen war hier das Motto. Die Diskothek, die 1971 eröfnete, war auf drei Etagen verteilt und umgeben von 650 000 Liter Meerwasser.
Yellow Submarine: Abtauchen war hier das Motto. Die Diskothek, die 1971 eröfnete, war auf drei Etagen verteilt und umgeben von 650 000 Liter Meerwasser. © Mjunik Disko

"Mjunik Disco": Mit seinem Buch feiert Mirko Hecktor 60 Jahre Münchener Nachtkultur. Von den 50er Jahren bis zur heutigen Clubszene - das Buch zeigt, dass Münchens Nachtleben immer etwas Besonderes war und ist.

Ich bin drin. Keine Probleme mit dem Türsteher. Um mich herum: die Wände in helles Schwarzlicht getaucht. Ich kann gerade so über die Bar schauen.

Zu diesem Zeitpunkt ist Mirko Hecktor fünf Jahre alt und er steht mit seinem Onkel in einem Club mitten in Schwabing – sein erster Kontakt mit der Münchener Nachtkultur. Auf Anweisung des Chefs dauert dieser Ausflug jedoch nur zwei Minuten, dann muss er raus - zu seinem größten Bedauern: "Ich bin angefixt. Ohne es wissen zu können, muss ich zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen haben, dass sich hinter München noch eine andere Stadt verbirgt: Mjunik."

"Mjunik", so heißt dann auch Hecktors Buch, das er 29 Jahre später mit Hilfe von mehrerern Gastautoren geschrieben hat. "Mjunik Disco von 1949 bis heute" schildert das nächtliche München, dessen Reiz der Autor auch heute noch erlegen ist: schillernd, dynamisch und aufregend. Seine Kindheitserfahrung hat ihn geprägt, noch immer ist der Münchner ein begeisterter Club-Gänger. In seinem Buch blickt er auf sechzig Jahre Partytum in München zurück. Das "P1" kommt darin genauso vor wie der "Piper Club" aus den 70er Jahren, das "Sugar Shack", die "Klappe" oder das "Café Capri", das den meisten Szenegängern von heute nicht mehr viel sagen wird.

Die Ursprünge des Technos liegen in München

Aber auch die aktuelle Clubszene fehlt nicht: "Holy Home", "Atomic Café", "Erste Liga", "Registratur". "Ich dachte, man könnte auf diese Weise zur 850-Jahr-Feier mal ein anderes München präsentieren", sagt Hecktor, dessen Augen verraten, dass er auch in der vergangenen Nacht in den Clubs der bayerischen Hauptstadt zu Hause war.

Dass München fad sein soll, ein konservatives Dorf ohne echte Clubszene, nicht zu vergleichen mit Metropolen wie Hamburg oder Berlin hört Hecktor immer wieder. Und stets aufs neue widerspricht er. "München wird auch als ,New Yorks große Discoschwester’ bezeichnet oder als ,Germany’s Hot Spot of the Moment’. Und nicht umsonst wurden hier letztes Jahr die MTV Music Awards vergeben. Hier ist und war schon immer die popkulturelle Avantgarde", sagt Hecktor, der, wenn er nicht schreibt, als Choreograf, Theaterregisseur und DJ tätig ist und auch schon für das Bayerische Staatsballett tanzte. Von den meisten unbemerkt hätten in Münchens Nachtleben weltweit relevante Strömungen ihren Ausgangspunkt gehabt. "Hier, in der Münchner Clubszene, liegen etwa die Ursprünge von House und Techno", sagt der 34 Jährige.

Sechzig Jahre Nachtleben

Das nächtliche "Mjunik" – der Buchtitel ist angelehnt an die Aussprache des englischen "Munich" – ist für Hecktor Voraussetzung dafür, dass Gesellschaft entsteht. In jeder Bar, in jeder Disco, in "diesen komischen Biotopen", wie der Autor sie nennt, eine etwas andere. Das P1 etwa, findet Nacht-Mensch Hecktor, habe in den 80er Jahren seine Hoch-Zeit gehabt. "Da gab es in internationalen Lifestyle-Magazinen feste Kolumnen über das P1." Er selbst bevorzugt heute "Läden, die die kreative Ebene anschieben": die Erste Liga, die Rote Sonne, das Café King.

Als er auf die Buch-Idee kam, dachte der Münchner, er könne seine Ideen schnell in drei Monaten runterschreiben, zumal das Budget klein war: "Naja, dann hat es doch über ein Jahr gedauert." Allein hätte er noch viel länger gebraucht. 130 Leute waren letztendlich an dem Bildband beteiligt, suchten alte, nie veröffentlichte Fotos raus, Flyer und Plakate – und steuerten Geschichten aus sechzig Jahren Nachtleben bei. Vom Jazz in den 50ern über die legendäre Disco-Ära in den 70ern bis zur Post-Techno-Clubszene von heute.

Übrigens: Auch ein echter Kenner der Szene ist vor bösen Nachtleben-Überraschungen nicht gefeit. Kürzlich ist Hecktor am Türsteher eines Clubs gescheitert. Immerhin kommt das Etablissement auch nicht in seinem Buch vor.

"Mjunik Disco von 1949 bis heute", Blumenbar Verlag, 232 Seiten, 32 Euro.

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