München im April 1945: Zwischen Krieg und Befreiung
Vor 70 Jahren endet mit dem Einmarsch der Amerikaner der Zweite Weltkrieg in München. Am Samstag startet dazu eine Serie in der gedruckten Ausgabe der AZ. Lesen Sie hier eine Einführung.
München - Wie ist der Zweite Weltkrieg in München vor 70 Jahren zu Ende gegangen? Darüber gibt die Standardliteratur zur Stadtgeschichte wenig her, und das Wenige ist nicht frei von Widersprüchen. „In Wahrheit ist kein Schuss gefallen“ (so heißt es etwa in „München – eine Geschichte der Stadt und ihrer Bürger“ von Hans F. Nöhbauer, 1992). „Fast kampflos stieß die 7. US-Armee in die Innenstadt vor“ (so in „München – Hauptstadt der Bewegung“, Stadtmuseum, 2002). „Auf Widerstand stießen sie kaum“ (so in „Kleine Geschichte Münchens“ von Reinhard Bauer und Ernst Piper, 2008). „Ohne nennenswerten Widerstand zu finden, rücken am Nachmittag amerikanische Truppen aus allen Richtungen ins Stadtgebiet ein“ (so die vom Stadtarchiv erstellte offizielle Chronik unter dem 30. April 1945).
Und im Internet-Portal der Landeshauptstadt heißt es lapidar: „Am 30. April 1945 marschieren amerikanische Truppen in München ein – der Krieg ist aus.“
War das alles: Krieg, Einmarsch, Ende? Gewiss nicht. Neuere Ermittlungen amerikanischer Militärchronisten sowie Münchner Heimatforscher und Hobby-Historiker fügen sich vielmehr zu einem Bild zusammen, das ein Drama in bisher kaum bekannten Abläufen und Absonderlichkeiten zeigt. Ein Drama voll von blutigen, tragischen, aber auch manch komischen Szenen. In Wahrheit war doch sehr viel mehr als ein „Schuss“ gefallen.
Einige amerikanische Berichte über die Eroberung der „Capital of Movement“, der Hauptstadt der Bewegung, scheuen selbst Wörter wie „Battle“ und „Massacre“ nicht. Regelrechte Schlachten hat es, wie Nachforschungen des Kulturhistorischen Vereins Feldmoching bestätigen, jedenfalls am Nordrand Münchens gegeben. Nicht viel Genaueres ist bis heute – sieben Jahrzehnte nach dem angeblich sanften Münchner Finale – über die letzten Kriegstage im restlichen Oberbayern bekannt geworden. Da und dort immerhin finden sich in Orts- und Stadtteilchroniken detaillierte Berichte; überall haben sich Heimatforscher, meist ohne Auftrag, um späte Aufklärung bemüht. Tagebücher wurden geöffnet.
Im Archiv des Erzbischöflichen Ordinariats sind Berichte aus nicht weniger als 570 Seelsorgebezirken zu finden, die den Einzug der Amerikaner, deren erste „Amtshandlungen“ in den Dörfern eindringlich schildern. Einen Faktencheck bräuchte auch die „sogenannte Alpenfestung“, die in der Geschichtsschreibung bisher kaum ohne das Adjektiv „legendär“ auskam. Dazu liegen heute klärende Quellen vor, insbesondere aus Berchtesgaden, Garmisch-Partenkirchen und Innsbruck. Sie beweisen ebenfalls, dass nazi-deutsche Ideologen und Strategen tatsächlich eine letzte Bastion im Hochgebirge vorbereitet hatten und an einzelnen Orten – nicht zuletzt durch Kindersoldaten – mit starken Verlusten verteidigen ließen.
Der Verfasser dieser Zeilen, Jahrgang 1928, Mitarbeiter der Abendzeitung seit ihrer Gründung im Juni 1948, hat versucht, diese und andere Dokumente sowie Aussagen von Zeitzeugen zu einer Art Tagebuch für jene „Tage zwischen Krieg und Kapitulation“ zu bündeln und nach Möglichkeit mit bestimmten Personen und lokalen Ereignissen zu verknüpfen. Hinzugefügt sind eigene Erinnerungen: Ich habe das örtliche Kriegsende und die chaotische Zeit danach, die in den kirchlichen Protokollen als „Niemandszeit“ bezeichnet wird, als 16-jähriger Gymnasiast in meiner Heimatstadt München erlebt (der Einberufung als Offiziersbewerber der Kriegsmarine nach Wilhelmshaven war ich nicht mehr gefolgt). Zeitzeugen sind rar geworden, Erinnerungen verblassen. Vielleicht finden sich ja in alten Fotoalben unserer Leser noch Aufzeichnungen oder Aufnahmen vom April oder Mai 1945 aus München oder dem Alpenvorland?
Die AZ würde sich jedenfalls über Zuschriften von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, freuen. Und diese dann auch gerne veröffentlichen.
In der Wochenend-Ausgabe der gedruckten Abendzeitung startet die Serie „München 1945 – Zwischen Krieg, Kapitulation und Befreiung.“ Eine Chronik von Chaos, Leiden, Verzweiflung, Realitätsverlust, Fanatismus, Opferbereitschaft und wirklichem Heldentum. Sie ist gewissermaßen eine Fortsetzung einer im September 2014 veröffentlichten AZ-Serie über den Beginn und Verlauf des 2. Weltkrieges in München.
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