München: Das Krokodil im Putzeimer

Die Münchner Auffangstation für Reptilien platzt aus allen Nähten. Immer mehr Besitzer von exotischen Tieren stoßen ihre einstigen Lieblinge einfach wieder ab.
 
München - Paul bevorzugt feuchtwarme Luft und trübes
 Wasser. Baumrinde und Wasserlinsen geben dem 30 Zentimeter großen
Krokodil-Baby Deckung. Der Brillenkaiman ist erst kürzlich in sein
 neues Zuhause eingezogen – ein Plastikbecken in einem Kellerraum der
 Münchner Auffangstation für Reptilien. Neben ihm wohnen eine
 Schlange und mehrere Schildkröten. Sie alle teilen ein Schicksal:
 Sie wurden von ihren früheren Besitzern verstoßen. „Das ist ein
 Trend“, sagt der Leiter der Station, Markus Baur. Seine Einrichtung
 platzt aus allen Nähten.
 
 „Es ist eine Skandal, wie manche Halter mit ihren Tieren
 umgehen“, klagt Baur, der die Station seit 15 Jahren leitet. Die
 Räume am Englischen Garten sind mit Terrarien, Aquarien und selbst
 gebauten Becken provisorisch eingerichtet. Die Zahl der Tiere, die
 in der Auffangstation landen, steige Jahr für Jahr, sagt er. Derzeit
 versorge das Team 700 Tiere. Viele Reptilien werden vom Zoll
 beschlagnahmt, aber immer mehr Tierhalter trennen sich von sich aus
 von ihren einstigen Lieblingen, weiß Baur.
 
 Reptilien die Toilette hinuntergespült
 
 Den Leiter der Auffangstation ärgert vor allem, auf welche Weise
 sich manche Menschen ihres Tieres entledigen. „Viele spülen sie die
 Toilette hinunter oder setzen sie einfach aus.“ Vor kurzem erst sei
 eine Schlange in München in einer Mülltonne gefunden worden. Kaiman
 Paul stand in einem Putzeimer vor der Tür eines Tierheims in
 Augsburg. „Das ist Quälerei, weil er damit auf dem Präsentierteller
 lag und Todesangst hatte“, kritisiert Baur.
In Bayern ist das Halten von sogenannten gefährlichen Tieren
 wildlebender Art grundsätzlich verboten. Dazu gehören auch Kaimane
 wie Paul. Wer dennoch eine Giftschlange oder einen Alligatoren
 halten will, muss sich die Erlaubnis von der jeweiligen Gemeinde
 einholen, bestätigt das Kreisverwaltungsreferat München. Wie viele
 dieser Tiere in Bayern leben, sei aber unklar. Denn viele Halter
 würden sich von den strengen Bestimmungen nicht abhalten lassen.
 „Die Dunkelziffer ist viel höher“, sagt die Sachbearbeiterin für den
 Bereich allgemeine Gefahrenabwehr, Brigitte Beer.
 
Das Tier soll zur Couch passen
Nach Angaben der Münchner Tierschutzorganisation Pro Wildlife
 sind immer mehr Besitzer mit ihren Tieren überfordert. „Viele machen
 sich keinen Begriff davon, was es heißt, ein Haustier zu betreuen“,
 sagt Reptilienexpertin Sandra Altherr. „Reptilien werden beim Kauf
 oft als unkompliziert dargestellt: Sie brauchen kein Futter, man
 muss nicht mit ihnen Gassi gehen und man bekommt keine Allergien,
 weil sie nicht behaart sind.“ Für viele seien sie nichts als ein
 Deko-Faktor für die Wohnung, weil sie exotisch sind. Altherr:
 „Reptilien werden dann passend zur Farbe der Couch gekauft.“
 Paul wird gerade von einem Pfleger aus dem Wasser gehoben. Er
 will sehen, wie sich die kleine Wunde am Maul entwickelt. Der Kaiman
 faucht, um seinen Gegner abzuwehren und sperrt das Maul weit auf.
 Baur kennt die Vorbesitzer jener Reptilien, die in der
 Auffangstation landen, oft nicht. Der Stationsleiter weiß aber, dass
 viele der Tiere falsch gehalten wurden. Das sehe man an dem
 schlechten Zustand. „Krokodile haben oftmals einen auffällig breiten
 Kopf, oder Zähne wachsen seitlich aus dem Maul.“
Pauls Wunde verheilt langsam. Vom Schock seiner Verbannung hat
 sich das Kaiman-Baby erholt. Jetzt tobt es vergnügt durch das trübe
 Wasser in seinem neuen Revier. In der überfüllten Auffangstation
 aber kann er nicht auf Dauer bleiben. Die Mitarbeiter der Station
 hoffen, dass sie für Paul bald ein neues Zuhause finden.