Mobbing bis ins Grab?

Am Ende hielt es Manfred S. (43)nicht mehr aus und schluckte 110 Schlaftabletten: Der Münchner Verwaltungsbeamte nahm sich das Leben. Seine Angehörigen erheben schwere Vorwürfe gegen Behördenchefs.
von  Abendzeitung
Manfred S. hat sich mit Tabletten das Leben genommen.
Manfred S. hat sich mit Tabletten das Leben genommen. © az

Am Ende hielt es Manfred S. (43)nicht mehr aus und schluckte 110 Schlaftabletten: Der Münchner Verwaltungsbeamte nahm sich das Leben. Seine Angehörigen erheben schwere Vorwürfe gegen Behördenchefs.

MÜNCHEN. Hinter dem Aktenzeichen 120 UJS 739945/07 bei der Münchner Staatswanwaltschaft steht eine unglaubliche Leidensgeschichte. Sie endete kurz vor Weihnachten 2007 mit dem Selbstmord des 43-jährigen Münchners Manfred S.. Sein Abschiedsbrief bestand aus drei Sätzen: „An Alle! Es tut mir leid. Ich kann nicht mehr.“

Nahm sich der ledige Verwaltungsbeamte das Leben, weil er am Arbeitsplatz gemobbt wurde? Dies behauptet sein langjähriger Arzt Dr. Jürgen Hofmann (40): „Herr S. war über Jahre einem unglaublichen Mobbing-Terror am Arbeitsplatz ausgesetzt.“ 20 Jahre lang arbeitete Manfred S. als Verwaltungsbeamter bei einer Berufsgenossenschaft in München. Nach zwei schweren Motorradunfällen vor zirka zwölf und sieben Jahren war er 60 Prozent schwerbehindert und musste immer wieder operiert werden.

Akten ordnen im staubigen Keller

Nach den Fehlzeiten am Arbeitsplatz klagte S. ab 1998 über Mobbing. „Die Unverschämtheiten der Vorgesetzten haben zugenommen“, schrieb er zuletzt Anfang 2004 in einem Vermerk und beklagte sich bei seinem Arzt über drei Führungskräfte. Nach den Fehlzeiten musste Sachbearbeiter S. (Besoldungsgruppe A8, zirka 2399 Euro brutto) im Keller etwa 300 staubige Aktenordner von der einen zur anderen Wand umsortieren. Oder er wurde zur Vernichtung von alten Röntgenbildern eingesetzt. Es wurde das Gerücht gestreut, S. gehöre zu einer „lederschwulen Motorradgruppe“.

Nach Gesprächen mit den Chefs sagte S. zu seinem Arzt: „Das sind Verhörmethoden wie bei der Stasi.“ Krankschreibungen wurden angezweifelt, ein Chef behauptete gar: „Gegen Ihren Arzt ermittelt die Staatsanwaltschaft. An Ihrer Stelle würde ich den Arzt wechseln.“

Vier Tage vor seinem Tod war Manfred S. bei Dr. Hofmann: „Sein Knie schmerzte wieder. Er konnte kaum laufen. Ich wollte ihn krankschreiben. Aber er war in Panik. Er wollte lieber Urlaub nehmen, damit er nicht wieder gemobbt wird. Ich ahnte nicht, was in ihm vorging.“ Am 10. Dezember 2007, gegen 17.30 Uhr, fand ihn seine Schwester Sabine Bergmayr (42) tot im Bett: „Seine Freundin hatte angerufen, weil er sich bei ihr nicht wie verabredet gemeldet hatte. Ich habe einen Schlüssel zu Manis Wohnung.“ 110 Schlaftabletten hat Manfred S. geschluckt.

Staatsanwaltschaft prüft

Dr. Hofmann und die Schwester des Toten haben Strafanzeige bei der Staatsanwalt München I gegen die drei Vorgesetzten eingereicht: „Selbsttötung durch psychischen Terror am Arbeitsplatz.“ Dazu Oberstaatsanwalt Anton Winkler: „Es muss geprüft werden, inwieweit ein kausaler Zusammenhang zwischen den Mobbingvorwürfen und dem Selbstmord besteht.“ Die Anklage würde lauten: Körperverletzung mit Todesfolge. Körperverletzung liege in diesem Fall vor, wenn ein Betroffener durch Mobbing erkrankt und dies ein Arzt attestiert.

Eine Erkrankung wurde am 2. April 2007 im Gutachten des Psychiaters Dr. Martin D. Ehrlinger bestätigt: Der Patient habe „ein deutlich ausgeprägtes depressives Syndrom.“ S. sei einer „chronisch belastenden beruflichen Situation“ ausgesetzt. Der Patient leide unter Schlaf- und Antriebsstörungen, sei unruhig, angespannt und leicht reizbar. Er zeige eine „stark verminderte Belastbarkeit.“ Der Psychiater empfahl „dringend“ eine stationäre „psychotherapeutische Behandlung“.

Arbeitgeber: "Auseinandersetzungen extrem selten"

Die trat S. im Mai in Windach an. Danach soll der Druck im Job noch größer geworden sein. Der Geschäftsführer der Berufsgenossenschaft, bei der S. beschäftigt war, sagte der AZ zu den Vorwürfen: „Dass Herr S. sich das Leben genommen hat, trifft mich menschlich sehr. Aber von diesen Vorwürfen ist mir nichts bekannt. Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen sind bei uns extrem selten. Sollten konkrete Vorwürfe an mich herangetragen werden, kläre ich sie auf.“
Torsten Huber

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