Mietwucher in München: Die kleinen Läden im Glockenbachviertel sterben
München - Weißer Kachelboden, nackte Wände - ein trostloser Anblick. Das Kosmetikstudio in der Holzstraße hat zum 31. Januar aufgegeben. Der Beauty-Salon steht jetzt leer. In der kunterbunten Ladenzeile Holzstraße/Westermühlstraße im Glockenbachviertel schließt als nächstes das Goldschmiedeatelier "Schmelztiegel": Ende März – gezwungenermaßen, wegen einer dramatischen Mieterhöhung von 25 Prozent. Auch der szenige Friseursalon in der Holzstraße 19 kann die neue Miete nicht verkraften und zieht am 31. März aus. "Das ist eine Wohngegend, ohne Laufkundschaft", sagt ein Friseur.
Bleistifte? Burger verkaufen bringt viel mehr Geld
Besonders hart trifft es ein Traditionsgeschäft im Glockenbachviertel: Schreibwaren Weber, seit 27 Jahren vor Ort. Der großen Laden für edle Füller, Pappen für Technische Zeichner, für Schulranzen und Druckerpatronen ist eine Art Treff im Viertel. Ein Einkauf dort ist immer für ein Schwätzchen gut. Und: Seit sechs Jahren ist in das Geschäft ein stark frequentierter "Post-Point" integriert, bei dem Anwohner ohne lange Wartezeiten und in familiärer Atmosphäre Packerl aufgeben können.
Ende Dezember soll hier Schluss sein. Dem Laden ist gekündigt worden. "Wir können eine Mieterhöhung um 33 Prozent betriebswirtschaftlich nicht stemmen", bedauert Markus Arendt (52), Inhaber von Schreibwaren Weber. An der Kasse können alle Kunden sein Protestschild lesen: "Mietpreiswucher in München. Auch wir sind leider betroffen."
Das Protestschild bei Schreibwaren Weber: "Mietpreiswucher in München... auch wir sind leider betroffen!" Foto: Daniel von Loeper
Der 170 Quadratmeter große Laden müsste pro Jahr 25.000 Euro mehr Miete berappen. Das verlangt die Bauer Media Group aus Hamburg, der größte Zeitschriftenverlag in Europa. Sie ist Eigentümer der Westermühl-Höfe mit rund 260 Wohnungen und der langen Einkaufs-Zeile an der Holz-/Westermühlstraße. "Unser Vermieter ist ein milliardenschwerer Konzern, der keine Verantwortung gegenüber dem Viertel und seinen Menschen sieht", sagt Markus Arendt. "Muss ein Großkonzern, neben der Mieterhöhung um 25 Prozent, plötzlich zusätzlich Miete für unsere Kellerräume als Lagerfläche verlangen?“, fragt er sich.
Fast 100.000 Kunden pro Jahr gehen bei Weber ein und aus. Sie geben Lottoscheine ab, kaufen Fotoalben und nutzen die langen Öffnungszeiten von 9 bis 19 Uhr. Die Hälfte kommt wegen der Post-Stelle. "Wir sehen uns als Nahversorger. Außerdem haben wir elf Leute auf unseren Lohnzetteln stehen", sagt Inhaberin Ute Arendt.
Seit 27 Jahren ist Schreibwaren Weber an dieser Straßenecke. Foto: Daniel von Loeper
Soll es im Glockenbachviertel bald nur noch Café to go, Gastronomie, Friseure und Nagelstudios geben? Die Kundschaft fiebert jetzt mit Familie Arendt mit. "Es ist eine Katastrophe für mich, wenn dieses Geschäft schließt. Die Post in der Fraunhoferstraße ist viel zu weit weg", sagt Anwohnerin Barbara S. (72), die in der Holzstraße wohnt. Ein Mann, der an der Kasse Büroklammern bezahlt, meint: "Schreiben Sie das bitte: Ich bin nicht gut zu Fuß. Soll ich in Zukunft mit dem Taxi zum Kaut-Bullinger fahren, wenn ich Schreibwaren brauche?"
Auf der letzten Sitzung des Bezirksausschusses Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt (BA 2) stand eine Bürgerin auf: "Muss man solche Mieterhöhungen als den Lauf der Dinge sehen? Kann die Politik nichts machen? Es ist jammerschade, wenn dieser Laden vertrieben wird." BA-Chef Alexander Miklosy (Rosa Liste) dazu: "Wir werden vom Wohnviertel zum Vergnügungsviertel. In der Hans-Sachs-Straße und der Geyerstraße haben auch Traditionsgeschäfte aufgeben müssen. Mieterhöhung ist eine privatwirtschaftliche Sache. Aber wir leiten sie ans Planungsreferat weiter."
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"Bleistifte zu verkaufen, bringt eben nicht so viel Geld, wie Burger zu braten, wo man das Fleisch für einen Euro kauft und für fünf Euro verkauft", sagt Markus Arendt. Sohn Bernd Hofbauer (30) möchte den Laden seiner Eltern weiterbetreiben: "Unser Laden macht das Feeling des Glockenbachviertels mit aus. Wieso akzeptiert unsere Gesellschaft, dass wir kaputt gemacht werden?"
Staffelmiete, erhöhte Miete für ein Jahr auf Probe – mit solchen Kompromiss-Vorschlägen trat der Familienbetrieb an die mächtige Bauer Media Group heran. Doch der Vermieter blieb hart. Der Hamburger Zeitschriftenkonzern lehnte jede Stellungnahme gegenüber der AZ ab: "Wir möchten Ihre Anfrage nicht beantworten", sagte Sprecher Christoph Ploß.
"Unsere Situation interessiert den Vermieter nicht"
Auch andere Händler kämpfen mit dem Mietdruck – so gehen sie damit um.
Sie müssen ihre Azubis entlassen oder sich neue Geschäftsmodelle überlegen: Das Glockenbachviertel wird für kleine Händler ein immer härteres Pflaster. Zwei Händler erzählen, wie sie mit der Situation zurechtkommen.
Goldschmiedemeister Albrecht Scharf (44), Inhaber von "Schmelztiegel Schmuckobjekte" in der Holzstraße: "Statt 1.650 Euro will die Bauer Media Group 2.000 Euro Miete haben. Das ist zu viel. Ich versuche, gelassen zu bleiben. Doch der Vermieter handelt moralisch verwerflich. Unsere Situation im Viertel interessiert ihn nicht. Meiner Goldschmiede-Auszubildenden musste ich leider kündigen, weil ich ihr keine passende Werkstatt mehr bieten kann."
Für Lisa Audi (34) und Manuel Audi (38) von "Die Crêpes Bar" eröffnete die saftige Mieterhöhung eine unerwartete Chance: "Das Reisebüro Reisebar hat uns zu sich in seine Räume geholt. Es musste sich etwas einfallen lassen, um die gestiegene Miete bezahlen zu können. Wir haben nun ein modernes Shop-in-Shop-Konzept, das gut funktioniert. Mit unseren Bio-Buchweizen-Crêpes konnten wir hier im Dezember eröffnen. Eine geteilte Miete ist für beide Parteien verträglich."