Mietspiegel: Schwere Manipulationsvorwürfe gegen die Stadt

Mit einer Klage will der Hausbesitzerverein der Stadt eine Manipulation nachweisen. Die harten Vorwürfe – und was das Sozialreferat dazu sagt.
Christian Pfaffinger |
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Ein Auszug aus dem aktuellen Mietspiegel: die Lagen-Karten. Hier ist zu sehen, welche Zu- oder Abschläge für Mieter fällig werden. Während in „zentral guten“ (rot markiert, in dieser Karte zum Beispiel die Altstadt und südlich davon die Isarvorstadt) oder „zentral durchschnittlichen“ (blau, hier etwa das Bahnhofsviertel und große Teile Sendlings) Lagen hohe und in „guten“ (gelb, im Osten etwa Haidhausen, im Westen Großhadern) Lagen immerhin mäßige Zuschläge zu erwarten sind, ist das in einer „durchschnittlichen“ (blaugrün, hier etwa große Teile Giesings, aber auch das Westend) Gegend nicht der Fall.
Grafik: Mietspiegel 2015 der Stadt München Ein Auszug aus dem aktuellen Mietspiegel: die Lagen-Karten. Hier ist zu sehen, welche Zu- oder Abschläge für Mieter fällig werden. Während in „zentral guten“ (rot markiert, in dieser Karte zum Beispiel die Altstadt und südlich davon die Isarvorstadt) oder „zentral durchschnittlichen“ (blau, hier etwa das Bahnhofsviertel und große Teile Sendlings) Lagen hohe und in „guten“ (gelb, im Osten etwa Haidhausen, im Westen Großhadern) Lagen immerhin mäßige Zuschläge zu erwarten sind, ist das in einer „durchschnittlichen“ (blaugrün, hier etwa große Teile Giesings, aber auch das Westend) Gegend nicht der Fall.

München - Seit es den aktuellen Mietspiegel gibt, giftet Rudolf Stürzer dagegen. Er greift die Zahlen darin an und zofft sich mit den Verantwortlichen im Sozialreferat. Der Mietspiegel werde missbraucht, schimpft der Chef des Haus- und Grundbesitzervereins München, die Preise seien ein Schmarrn. Und überhaupt mache die Stadt ziemlich viel falsch. Jetzt klagt Stürzer – weil ihm die Stadt eine Vorlage geliefert hat.

Sein Vorwurf: Das Sozialreferat versuche mit illegalen Mitteln zu vertuschen, wie der Mietspiegel zustande gekommen ist – und zwar deswegen, weil dabei getrickst worden sei. Auf den ersten Blick ist das ein alter Vorwurf, schließlich wetterte Stürzer schon vor einem Jahr, dass die Zahlen im Mietspiegel nicht nachvollziehbar seien. Er wolle die Berechnungen daher "einer Überprüfung unterziehen", sagte er damals.

 

"Statt was gegen die Zweifel zu tun, blockt die Stadt nur ab"

 

Dann tat sich erst mal nichts. Jetzt hat der Jurist eine neue Angriffsfläche gefunden. "Es wäre so einfach für die Stadt, Zweifel auszuräumen", sagt Stürzer "Stattdessen boykottiert die Stadt die Überprüfung und verstößt dabei auch noch gegen das Gesetz."

Was hat die Stadt nach Meinung des Vermietervertreters falsch gemacht? Für den Mietspiegel 2015, in dem die ortsübliche Vergleichsmiete für Mieterhöhungen festgelegt wird, hat die Stadt über 25.000 Interviews führen lassen. Die Daten aus rund 3.000 Interviews flossen in die Statistik ein. Ergebnis: ein durchschnittlicher Mietpreis von 10,73 Euro pro Quadratmeter, plus Zu- oder Abschläge für die Lage sowie bestimmte Merkmale der Wohnung.

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Weil der Verein Haus+Grund die Statistik nicht plausibel findet, will er die Werte der Mietspiegel-Umfrage einsehen. Die Stadt gibt aber keine Auskunft. Stattdessen habe sie dem Verein nun schriftlich mitgeteilt, man habe die Daten gelöscht. Aus datenschutzrechtlichen Gründen.

Für Rudolf Stürzer eine Schwachstelle in der Strategie des Sozialreferats: "Das verstößt gegen die Vorschrift, wonach Städte und Gemeinden die Unterlagen, die im Zusammenhang mit den Mietpreisen stehen, zehn Jahre lang aufbewahren müssen", sagt Stürzer. Deshalb klagt sein Verein nun vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Die Stadt soll die Daten wiederherstellen und Einsicht gewähren – oder eben der Mietspiegel habe keine gültige Rechtsgrundlage mehr. Damit wäre der Chef des Haus- und Grundbesitzervereins seinem mittelfristigen Ziel näher als je zuvor: den Mietspiegel in seiner jetzigen Form abzuschaffen.

 

Die Stadt hat die Daten gar nicht – und sieht sich im Recht

 

Denn Stürzer stört sich schon lange am Münchner Mietspiegel. Seit es 1975 das erste derartige Datenwerk gegeben hat, sei es immer unrealistischer geworden. Aktuell würden die Mieten darin rund ein Drittel unter den tatsächlichen Preisen liegen.

Das Sozialreferat hält dagegen: "Wir können die Daten gar nicht herausgeben, weil wir sie nicht haben." Das erklärt ein Sprecher auf Anfrage der AZ mit dem Prozess, in dem der Mitspiegel zustandekommt. Die Stadt macht ihn nämlich nicht selbst, sondern lässt die Daten dafür vom Münchner Marktforschungsinstitut TNS Infratest erheben und der Ludwig-Maximilians-Universität auswerten. Dort gebe es strenge Richtlinien für den Datenschutz. So streng, dass TNS die Daten nach der Erhebung anonymisiert hat. Dabei wurden die Adressdaten gelöscht. Das sei nach Abschluss der Erhebung nicht nur erlaubt, sondern sogar Pflicht.

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Selbst diese anonymisierten Daten will die Stadt aber nicht hergeben. "Wir müssten sie bei TNS anfordern und haben dazu keinerlei Verpflichtung", sagt der Referatssprecher. "Das haben wir rechtlich prüfen lassen." Und freiwillig will man die Daten auch nicht weitergeben, da selbst bei anonymisierter Form Rückschlüsse auf Mieter und Vermieter zu ziehen sein könnten. "Die Umfrage ist so genau, dass man mit Daten wie der Lage und allen Merkmalen der Wohnung in vielen Fällen doch auf Adressen und Namen kommen würde – und das ist nicht mit dem Datenschutz vereinbar."

Schließlich verspreche man allen Mietern, die an der Umfrage zum Mietspiegel teilnehmen, einen vertraulichen Umgang mit den Daten. Man würde die Glaubwürdigkeit des Mietspiegels also genau dann gefährden, wenn man Daten herausgibt, argumentiert das Sozialreferat und ist der Meinung: "Die Stadt gibt die Erstellung des Mietspiegels in wissenschaftliche Hände. Mehr Transparenz geht nicht."

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Die Vermieterlobby sieht das natürlich anders. "In vielen Großstädten Deutschlands ist man da viel weiter", sagt Rudolf Stürzer. "Da werden die Mietspiegel auch zusammen mit den örtlichen Haus- und Grundbesitzervereinen erstellt." Dadurch komme es nicht zu kruden Zu- und Abschlägen, die keiner verstehe.

Hier ist man aber schlicht unterschiedlicher Meinung über die grundsätzliche Vorgehensweise beim Erstellen des Mietspiegels. Denn die Zu- und Abschläge für einen schönen Parkettboden oder eine schlechte Lage richten sich eben nach der Statistik: Es zählt nur das, was rein rechnerisch einen Preiseffekt hat. Die Stadt sieht diese rein mathematische Art, auf die Preise zu kommen, als Vorteil. Die Vermieter halten sie für Unsinn. Rudolf Stürzer stellt sich nun schon auf eine lange rechtliche Schlacht ein. Er sagt: "Das Bayerische Verwaltungsgericht wird sicher nicht die letzte Instanz sein, denn egal, wer verliert, er wird sofort Rechtsmittel einlegen."

Momentan wird bereits am Nachfolger des Zankwerks gearbeitet. Die Umfragen zum Mietspiegel 2017 laufen, rund 1.000 Bürger wurden schon befragt. An ihrer bisherigen Praxis hält die Stadt dabei fest.

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