Microsoft-Managerin für mehr Mitgefühl im Job: "Emotionen sind ein wichtiger Kompass"

AZ-INTERVIEW mit Magdalena Rogl: Die 37-Jährige ist bei Microsoft Deutschland für Gleichberechtigung, Inklusion und Vielfalt zuständig. Sie lebt mit ihrer Patchworkfamilie in München.
AZ: Frau Rogl, wie fühlen Sie sich denn gerade?
MAGDALENA ROGL: Ich fühle mich heute tatsächlich relativ gut, es ist nur sehr kalt. Und ich muss zugeben, dass es mir immer ein Stück weit besser geht, wenn die Sonne scheint.
Finden Sie, man sollte im beruflichen Kontext ehrlich auf so eine Frage antworten?
Ich finde, es ist ganz wichtig, dass wir sehr viel ehrlicher auf solche Fragen antworten. Wir sollten uns ehrlicher selbst hinterfragen, "wie geht es mir denn heute wirklich", und damit dann offener umgehen, weil ich glaube, dass diese Ehrlichkeit und Menschlichkeit uns hilft, besser zusammenzuarbeiten.
Über Klischees und Verantwortung
Viele dürften Angst haben, gerade Frauen, dass sie dann als unprofessionell angesehen werden, gar als "Heulsusen", wenn sie zugeben, dass es ihnen heute nicht gut geht.
Ja, wir leben immer noch sehr mit solchen Klischees, aber es ist wichtig, die Verantwortung zu übernehmen, ebensolche Klischees aufzubrechen. Ich finde es tatsächlich wesentlich professioneller, über die eigenen Gefühle zu sprechen, als es nicht zu tun. Wenn ich an mein Team adressieren kann, "Leute, mir geht's heute nicht so gut, ich hab heute einen schwierigen Tag", dann hilft diese Information ja meinem Team mehr, als wenn ich in Mails patzig wirke und sich die Leute Gedanken machen, was sie denn vielleicht falsch gemacht haben.
Also sollten wir Emotionen mehr zulassen?
Ja, das heißt aber nicht, dass wir Emotionen ungefiltert ausleben sollten im Arbeitskontext. Gerade die Klischees, die Sie angesprochen haben, sind ein großes Thema. Um sie aufzubrechen, müssen wir ein Bewusstsein entwickeln, wie unterschiedlich wir mit Emotionen umgehen.
Der cholerische Chef
Ein hartnäckiges Klischee ist der cholerische Vorgesetzte. Manche denken vielleicht: Mei, der Chef, der darf schon rumbrüllen, er ist ja der Boss.
Auch ich habe solche Chefs schon erlebt, leider – wie wohl die meisten in der Arbeitswelt heute. Für mich zeigt das zum einen, dass die Arbeitswelt schon immer sehr emotional ist. Den cholerischen Chef, der rumschreit, den gibt es schon seit Jahrzehnten. Aber darum geht es eben nicht, sondern um das Reflektieren der Emotionen. Es ist ganz spannend, dass manche Menschen so eine Art bislang vielleicht sogar eher als durchsetzungsstark angesehen haben. Studien beweisen aber das Gegenteil: Solche cholerischen Ausbrüche oder versteckte Aggressionen sorgen dafür, dass Manager und Managerinnen stark an Anerkennung verlieren und das Misstrauen steigt. Das schadet natürlich auch dem Potenzial des Teams.
Angenommen, ich selbst merke, dass ich wütend werde und am liebsten eine gepfefferte E-Mail abschicken möchte – was mache ich dann?
Das kennen wir doch alle. Wichtig ist, dass man es schon mal wahrnimmt, was man am liebsten machen würde – das ist schon ein erstes kurzes Innehalten. Es ist unrealistisch, dass man direkt in der Situation dann in Ruhe seine Emotionen reflektiert. Dann hilft es eher, sich eine Pause zu setzen, sich einen Kaffee zu holen, mit einer Kollegin zu sprechen, kurz um den Block zu gehen, damit man von der Situation nicht übermannt wird und sich rausnimmt. Wenn man dann zurückkommt, kann man schon ganz anders auf die Situation blicken, vielleicht können wir dann mit der Kollegin schon darüber lachen. Aber es ist ganz wichtig, Wut wahrzunehmen, ihr auch Raum zu geben, aber eben nicht in der Form, dass ich sie ungefiltert an anderen Menschen auslasse.
Was manche aber genau machen – ihre Wut am Gegenüber auslassen.
Das ist ganz schwierig, dass man sich dann nicht aufs selbe Niveau begibt und genauso böse antwortet. Aber auch hier tut man sich selbst einen Gefallen, wenn man sich nicht darauf einlässt und sich nicht in diesen Wutkreislauf reinziehen lässt.
Emotionen als wichtiger Kompass
Nimmt man die Arbeit vielleicht zu ernst, wenn man sich darüber so aufregt? Außenstehende raten gerne: "Nimm's dir nicht so zu Herzen, jetzt ist Feierabend."
Das kann ein wichtiges Signal sein: Wenn ich merke, dass ich oft solche Wutsituationen habe, Situationen, in denen ich mich angegriffen oder unwohl fühle, dann ist es ganz wichtig, das zu reflektieren und zu überlegen, ob das inhaltlich und vom Umfeld her noch der richtige Job für mich ist. Hier können Emotionen ein ganz, ganz wichtiger Kompass für unsere berufliche und auch persönliche Weiterentwicklung sein, wenn man sich immer wieder überlegt, wie man sich allgemein fühlt und welche Situationen es gab, die mich emotional gemacht haben. Umgekehrt kann eine starke Begeisterung ein wichtiger Kompass für etwas sein, was man gerne mehr machen möchte, weil man Spaß und Leidenschaft dabei entwickelt.
Sie haben die Begeisterung angesprochen. Wie kann ich positive Emotionen für mich nutzen?
Wir sollten uns erstmal bewusst sein, dass es keine Aufteilung in gute und böse, negative und positive Emotionen geben sollte. Denn wenn wir Emotionen wie Glück, Begeisterung und Ähnlichem Raum geben wollen, müssen wir auch den anderen Emotionen Raum lassen. Es funktioniert psychologisch nicht, dass wir sagen, diese Emotion will ich, aber diese nicht. So funktioniert unser Gehirn nicht. Es braucht einfach ein Bewusstsein dafür, dass Emotionen ganz essenziell sind für einen Teamerfolg; Emotionen wie Empathie und Kreativität beispielsweise. Wenn wir endlich anfangen, diese Emotionen wahrzunehmen und zu nutzen, ist viel gewonnen.
"Leadership können wir alle leben"
Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Arbeitswelt ändern in Bezug auf Emotionen?
Verallgemeinernd ist das natürlich schwierig zu sagen, aber das Schöne daran ist, dass wir alle Teil dieser Veränderung sein können, egal in welcher Position, ob als Geschäftsführerin oder Praktikant. Denn es geht ja auch darum, wie ich meine Arbeit umsetze, wie ich mit meinen Kollegen und Kolleginnen umgehe. Das muss keine Führungsposition sein. Leadership können wir alle leben: Wie wir im Team miteinander umgehen, wie wir aufeinander achten, wie empathisch wir füreinander sind und wie viel Mitgefühl wir auch mit uns selbst haben. Das ist eine Veränderung, die wir alle anstoßen können. Grundsätzlich kommt das Thema auch in der Welt der Managerinnen und Manager an, das sieht man seit ein paar Jahren bei Fortbildungen und Seminaren, wo es viel um emotionale und empathische Führung geht. Diese Themen kommen, und wir alle können dafür sorgen, dass sie noch ein Stück weit schneller kommen.
Was die Wahrnehmung von Emotionen nicht gerade leichter gemacht haben dürfte, ist das vermehrte Video-Telefonieren oder Chatten in der Homeoffice-Zeit.
Es gibt Studien, dass wir über Sprache tatsächlich mehr Informationen wahrnehmen als über Video-Calls. Das finde ich ganz spannend – ich versuche jetzt wieder mehr auf das gesprochene Wort zu gehen. Gleichzeitig glaube ich aber auch, dass wir durch die Pandemie gelernt haben, empathischer miteinander umzugehen, weil wir uns plötzlich in sehr persönlichen und menschlichen Situationen erlebt haben. Wenn bei einer Kollegin, die ich bisher nur als kühle Managerin erlebt habe, das Kind im Hintergrund vorbeiläuft, hilft mir das natürlich, mit dieser Person viel empathischer zu sein. Das überwindet die Barriere, dass wir Menschen oft nur in ihrer Rolle wahrnehmen. Wir merken, das ist eine Person wie ich, die auch im Wohn- oder Schlafzimmer sitzt und versucht, ihr Leben auf die Reihe zu kriegen.
"MitGefühl – Warum Emotionen im Job unverzichtbar sind" von Magdalena Rogl (256 Seiten; 18 Euro) ist bei Edition Michael Fischer (EMF) erschienen.