Mehr "harmlose Hochhäuser": 75-Meter-Wolkenkratzer für München

In der Stadt sei der Wohnungsdruck "brutal": Experten plädieren für "verträgliche" Wohntürme mit nur 60 oder 75 Metern.
von  Eva von Steinburg
Die zusammengerückte Münchner Skyline: Im Vordergrund das Backstein-Hochhaus an der Blumenstraße, das kurz nach dem Bau als "obszön" kritisiert worden war.
Die zusammengerückte Münchner Skyline: Im Vordergrund das Backstein-Hochhaus an der Blumenstraße, das kurz nach dem Bau als "obszön" kritisiert worden war. © imago/Heinz Gebhardt

München - Die Stadt wächst. Sind Hochhäuser eine zeitgemäße, nachhaltige, sinnvolle und sozial ausgewogene Lösung, um München nicht in die Breite zu verdichten? Diesen Fragen haben sich am Dienstag drei Architekten, ein Professor für Gebäudetechnik und Stadtbaurätin Elisabeth Merk (parteilos) gestellt.

In der Akademie der Schönen Künste diskutierten sie zum Thema "Haushoch wohnen", über Hochhäuser, Quartiersentwicklung und Bürgerbeteiligung.

Peter Scheller, Karin Schmid, Elisabeth Merk, Wilhelm Christoph Warning, Rainer Hofmann, Thomas Auer.
Peter Scheller, Karin Schmid, Elisabeth Merk, Wilhelm Christoph Warning, Rainer Hofmann, Thomas Auer. © est

Thomas Auer ist Professor für Gebäudetechnologie an der TU München. Er forscht zum klimatechnischen Bauen, auch mit dem Ziel, CO-2-neutrale Gebäude herzustellen. Auer sagt: "In der Höhe braucht es mehr Materialeinsatz. Hochhäuser haben einen erhöhten Ressourcenverbrauch in Bau und Betrieb."

Weniger Luxusklientel - wenn ohne Stellplätze für Autos gebaut wird

Die Windexposition mache Probleme, der Sonnenschutz und die Fensterverglasung mit ihrer Sensorik, Wartung und aufwendiger Instandhaltung: "Es gibt eine kritische Grenze von 60 Metern, ab da gelten besondere Brandschutzanforderungen und Fluchtwege", so Auer.

Sein Plädoyer im Sinne der Nachhaltigkeit: In München auf niedrige Wohnhochhäuser bis 60 Meter setzen. Konkrete Vorteile nennt er auch: Hochhäuser seien gut für die Durchlüftung der Stadt und ihre Wohnungen gut belichtet.

Für das Problem der Luxusklientel in modernen Hochhäusern kennt er einen pragmatischen Trick: neue Hochhäuser ganz ohne Auto-Stellplätze zu bauen. Das ziehe andere Bewohner an als die Oberschicht. In Kanada gäbe es dafür Beispiele.

Aktuell sei der Wohnungsdruck in der Stadt "brutal", findet Architekt Rainer Hofmann. Um dem Wachstum Herr zu werden, seien Hochhäuser eine Lösung. Der Architekt hält es für möglich, hier den Fokus auf Mietwohnungen zu legen und auch bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Peter Scheller: "Größenwahn wohnt einer Stadt inne"

Im Sinne der Nachhaltigkeit und für den sozialen Zusammenhalt macht Hofmann einen provokanten Vorschlag: "Wir müssen den Planeten retten. Warum bauen wir die nächsten zehn Jahre nicht einfach mal 75 Meter hoch - bis wir es besser wissen? Wo tut es uns weh? Es ist nachhaltiger."

Gegen diesen Gedanken wendet sich Architekt Peter Scheller: "So eine Verzwergung halte ich für kritisch. Das ist nicht die Stadtidee", meint er. Seiner Überzeugung nach braucht eine Stadt besondere Punkte und Zeichen als Charakteristik und Zutat. "Größenwahn wohnt einer Stadt inne", argumentiert er.

Karin Schmid: "Das harmlose Hochhaus ist eine verträgliche Lösung"

"München hat Achsen, die Wahrzeichen vertragen. Wir sprechen hier über wenige Stellen, wo es über 100 Meter geht", stimmt Karin Schmid zu. Die Professorin für Städtebau an der Hochschule München erklärt zur Hochhaus-Studie: Es werden Stadtteilzeichen (bis 80 Meter) und Stadtzeichen (über 80 Meter) möglich. Wer in einer Zone ein höheres Baurecht bekomme, sei verpflichtet, die Fassade reliefartig zu gestalten und Erdgeschoss und Dachterrasse für die Stadtgesellschaft zu öffnen. Weitere Auflagen seien möglich. Zudem ziehe die Stadt München ihre Identität aus ihren Gebäuden.

Bei der Nachverdichtung von Siedlungen sieht Schmid ein Potenzial für niedrige Hochhäuser bis 50 Meter. "Punktuell sind kleine Hochhäuser ein gutes Mittel. Das harmlose Hochhaus ist eine verträgliche Lösung, mit der viele leben können", so die Expertin.

Elisabeth Merk:  "Achse an der Bahn verträgt architektonische Prägnanz"

Stadtbaurätin Elisabeth Merk hält es für entscheidend, auch bei Hochhäusern über die Klimafrage zu reden. Das Backstein-Hochhaus an der Blumenstraße von 1929, in dem sie ihr Büro hat, wurde nie generalsaniert: "Es ist eines der nachhaltigsten Gebäude." Damals beim Bau war über die Stränge geschlagen worden: "Man fand es obszön, mitten in der Altstadt so hoch zu gehen", erklärt Merk.

Stadtzeichen, "Landmarks", zu setzen, hält sie dann für richtig, wenn die Motivation stimmt: In Neuperlach, am Hanns-Seidl-Platz, entsteht gerade ein hohes Kultur- und Bürgerhaus. Das Quartier Bayernkaserne erhält ebenfalls einen Hochpunkt.

Zu den umstrittenen Zwillingstürmen an der Paketposthalle erklärt Merk, die Achse an der Bahn würde "architektonische Prägnanz" vertragen. Fakt sei: Die Türme gebe es nur wegen der denkmalgeschützten Paketposthalle, die Investor Ralf Büschl dafür saniert. Der Plan sei, dass die Halle zum Kultur-Hotspot wird.

Hochhaus-Gegner äußerten ihre Angst vor einer Hochhaus-Flut. Die Initiative Hochhaus-Stopp hat aktuell über 15.000 Unterschriften gegen die Türme gesammelt.

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