Wo der Quantencomputer künftig im Alltag auftaucht: Das "Munich Quantum Valley" gibt Antworten

Jeanette Miriam Lorenz leitet seit 2023 die Abteilung „Quantum Computing“ am Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme (IKS). Wo kann uns ein Quantencomputer künftig im Alltag begegnen?
AZ: Frau Lorenz, kann man für den Laien „Quantum Computing“ so erklären, dass eine Chance besteht, es ansatzweise zu begreifen?
JEANETTE MIRIAM LORENZ: Man kann sich um die Komplexität nicht völlig herumdrücken. Ein klassischer Computer rechnet mit Bits, die Werte von Null und Eins einnehmen. Im Quantencomputer rechnen wir mit Quantumbits, sogenannte QuBits, die Werte von Null und Eins gleichzeitig in einer Überlagerung einnehmen. Um dieses Prinzip zu nutzen, wenden wir zudem das Phänomen der Quantenverschränkung und ein sehr cleveres Design durch Interferenzeffekte an.
Ist ein Quantencomputer nur für bestimmte Aufgaben einsetzbar?
Das ist richtig. Es handelt sich um ein neues Computing-Paradigma. Tatsächlich wissen wir noch nicht genau, wo wir es schließlich einsetzen werden. Nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand eignet es sich für ganz bestimmte Fragestellungen. Wahrscheinlich kann man Quantencomputing als „Subroutine“ (Teil eines Computerprogramms, das eine bestimmte Funktionalität bereitstellt - d. Red.) bei größeren Berechnungen einsetzen.
Die bekannten digitalen Computer, mit denen wir arbeiten, werden also nicht durch Quantencomputer ersetzt?
Wir bekommen damit etwas „Zusätzliches“. Wenn man sich heute einen Computer kauft, kann man zwischen verschiedenen Computerbestandteilen entscheiden, je nachdem, was man machen möchte. Quantencomputing kommt dann als zusätzlicher Bestandteil eines komplexen Computing-Systems hinzu und bestimmte Aufgaben werden wir auf einen Quantencomputer auslagern.

Quantencomputing soll unerreichbar sein im Verschlüsseln und Entschlüsseln von Codes. Teilen Sie die Sorge, dass man mit einem „Quantencomputing-Computer“ alles entschlüsseln kann, also von der Kreditkarte bis zu den Abschusscodes von Atomraketen? Ist diese Sorge berechtigt?
So ganz einfach ist das nicht. Es gibt unterschiedliche Verschlüsselungsverfahren. Auch kommt es darauf an, wie lange etwas verschlüsselt bleiben soll. Unterschieden wird zwischen symmetrischen und asymmetrischen Verschlüsselungen. Beide könnten durch einen perfekten Quantencomputer, den wir noch nicht haben, angegriffen werden. Allerdings nur unter bestimmten Umständen. Man kann sich vorbereiten und sich davor schützen, indem man zu längeren, stärkeren Verschlüsselungen übergeht oder verschiedene Verschlüsselungsverfahren gleichzeitig einwendet. Es gibt bereits seitens des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) konkrete Empfehlungen.
Im Falle von ballistischen Atomraketen ist es sicher angebracht, einen hohen Verschlüsselungsaufwand zu treiben, aber wie sieht es mit Alltags-Anwendungen wie zum Beispiel Online-Banking aus?
Der Schutz muss nicht unbedingt aufwendig sein. Oft reicht es, die Schlüssel-Länge zu verändern. Eine Studie des BSI hat das Problem sehr detailliert aufgeführt, welche Maßnahmen zum Beispiel ein Unternehmen ergreifen sollte. Im Detail kommt es immer darauf an, welche Sicherheitsstufe man tatsächlich benötigt.

Bund und Länder bekräftigen, das Quantencomputing stark fördern zu wollen. Wo steht denn Deutschland in dem globalen Rennen um praktische Quantencomputing-Anwendungen?
Mit dem „Quantum Valley“ haben wir in München und Bayern ein sehr starkes Öko-System, in dem unterschiedliche Quantencomputing-Demonstratoren und die Software dazu entwickelt werden. International wird das „Munich Quantum Valley“ als recht herausragender Zusammenschluss der unterschiedlichen Kompetenzen gesehen. Wir verfügen über eine sehr große Vielfalt von unterschiedlichen Untertechnologien im Quantencomputing. Bei internationalen Konferenzen sind deutsche und europäische Beiträge gut vertreten.
"Auf jeden Fall konkurrenzfähig"
Amerikaner und Chinesen sind uns auf diesem Gebiet diesmal nicht meilenweit voraus?
Gemessen an dem, was offen publiziert wird, können wir sagen, dass wir auf jeden Fall konkurrenzfähig sind.
Weithin besteht die Vorstellung: je mehr Geld, desto schnellere und bessere Forschung. Ist das auch beim Quantencomputing so?
In den vergangenen Jahren wurde tatsächlich sehr viel Geld investiert, und sehr viele schöne und wichtige Sachen sind entstanden. Da die Technologie immer noch sehr jung ist, wäre es wichtig, dieses Invest zu verstetigen. Wichtige Fragestellungen sind noch offen. Man hat gerade erst angefangen. Es wird sicher noch einige Jahre dauern, bis ein leistungsstarker Quantencomputer dasteht und man weiß, wofür man ihn einsetzen sollte.

Was könnte Quantencomputing in Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz (KI) bringen?
Daran forschen unter anderem auch wir. Ziel ist, die speziellen Eigenschaften eines Quantencomputers gewinnbringend mit klassischer Künstlicher Intelligenz zu kombinieren. Es geht auch da wieder um Algorithmen, die sowohl einen klassischen wie auch einen Quanten-Teil haben. Der Quanten-Teil wäre dafür zuständig, die Daten auf eine ganz bestimmte Art zu verarbeiten oder Muster in den Daten zu erkennen, die anders geartet sind als das, was ein klassischer Computer herausarbeiten kann. Die KI würde noch andere Muster erkennen und hätte noch eine große Palette weiterer Möglichkeiten zur Verfügung.
Wäre das buchstäblich ein „Quantensprung“ in der Künstlichen Intelligenz?
Das kann man wissenschaftlich noch nicht beantworten. In der wissenschaftlichen Literatur sehen wir einige vielversprechende Ergebnisse, aber zu behaupten, dass Quantencomputing und KI der bisherigen Künstlichen Intelligenz „haushoch überlegen“ wäre, kann man noch nicht sagen.
Ein Quantencomputer denkt anders
Was können Sie schon jetzt über die wichtigsten und effektivsten Anwendungsgebiete des Quantencomputings sagen?
Auch das wissen wir noch nicht ganz genau. Einsetzbar wäre Quantencomputing bei der Simulation von quantenmechanischen Systemen. Die Idee dabei ist, dass ein Quantencomputer anders „denkt“. Da wären wir bei der Simulation von Molekülen, neuen Materialien und dergleichen. Andere Möglichkeiten beinhalten auch die Lösung von linearen Gleichungssystemen, die in sehr unterschiedlichen Anwendungsfeldern auftauchen, also zum Beispiel bei der Strömungsmechanik, der Finanzmarktsimulation und der Lösung von Optimierungsproblemen. Auch in der Künstlichen Intelligenz müssen mathematische Gleichungssysteme gelöst werden, um Systeme zu trainieren.
Apropos Finanzmärkte: Könnte man Milliarden Euro machen, wenn man über Quantencomputing-Unterstützung verfügt?
Es geht ja auch um die Qualität und die Größe des Quantencomputing-Systems. Kein Quantencomputing-Modell, das kommerziell verfügbar ist, hat einen Fehlerkorrektor. Es handelt sich bisher allesamt nur um recht kleine und verrauschte Geräte, mit denen man noch keine gute Berechnungsqualität erzielen kann. Das „Handlungsreisenden-Problem“ (die Frage, wie man eine Tour durch eine bestimmte Anzahl Städte und zurück zum Ausgangspunkt planen muss, damit der insgesamt zurückgelegte Weg möglichst klein ist - d. Red.) können wir zum Beispiel wegen der Größe und Qualität der Quantencomputer noch nicht lösen.
Wann wird der erste kommerziell verfügbare Quantencomputer auf dem Markt sein?
Kommerziell verwenden wir sie bereits seit ein paar Jahren, aber eben noch nicht mit der erforderlichen Qualität. Im Prinzip können wir schon seit fünf Jahren kommerziell auf Quantencomputer zugreifen.