Interview

Loomit: "Mein erstes Graffiti mithilfe Künstlicher Intelligenz"

In Pasing prangt seit Freitag ein großes Wandbild des bekannten Graffitikünstlers Loomit. In der AZ erzählt er von seinen Anfängen, von Kunst mit KI – und der Vergänglichkeit seiner Werke.
Julia Wohlgeschaffen
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Der Graffitikünstler Loomit (54) ist in Buchloe aufgewachsen. Mit bürgerlichem Namen heißt er Mathias Köhler.
Der Graffitikünstler Loomit (54) ist in Buchloe aufgewachsen. Mit bürgerlichem Namen heißt er Mathias Köhler. © Bernd Wackerbauer

München - Für Eurydike schreckt Orpheus vor nichts zurück - und steigt selbst in die Unterwelt. Mit seinem Gesang versucht er, seine geliebte Frau aus dem Totenreich zu befreien. Vergeblich.

"Orpheus" als Graffiti

Diese Sage der griechischen Mythologie diente als Stoff für zahlreiche Opern. Die Pasinger Fabrik zeigt mit der Neuproduktion "Orpheus" ab Donnerstag eine neue Interpretation dieses Mythos – und beauftragte den bekannten Graffitikünstler Loomit damit, ein passendes Wandbild an die Fassade eines benachbarten Gebäudes zu malen.

Seit Freitag ist Loomits Kunstwerk am Pasinger Bahnhof vollendet. Es zeigt Orpheus (links, singend) und Eurydike, passend zur Aufführung in der Pasinger Fabrik, die am 22. Juni Premiere feiert. Lange wird das Werk dort allerdings nicht zu sehen sein – denn das Gebäude soll am Ende des Jahres abgerissen werden.
Seit Freitag ist Loomits Kunstwerk am Pasinger Bahnhof vollendet. Es zeigt Orpheus (links, singend) und Eurydike, passend zur Aufführung in der Pasinger Fabrik, die am 22. Juni Premiere feiert. Lange wird das Werk dort allerdings nicht zu sehen sein – denn das Gebäude soll am Ende des Jahres abgerissen werden. © Bernd Wackerbauer

Am vergangenen Freitag vollendete Loomit sein Werk, doch es wird voraussichtlich nur ein halbes Jahr lang die Gegend um den Pasinger Bahnhof verschönern – dann soll das Gebäude abgerissen werden, heißt es seitens der Pasinger Fabrik. Die Passanten zeigen sich jedenfalls begeistert von der bunten Fassade und gratulieren Loomit, der gerade noch seine Signatur an die Wand gesprüht hat.

AZ: Sie tragen eine Maske und Handschuhe. Ist Graffiti-Sprühen ungesund?
Loomit: Aus der Sprühdose kommen harte Chemikalien, da muss man auf die Lunge aufpassen. Die Lösungsmittel können auch durch die Haut aufgenommen werden, deshalb die Handschuhe. Sonst könnte das in einer Leberzirrhose enden.

Loomit vollendet sein Kunstwerk, indem er seine Signatur daran sprüht. Mundschutz und Handschuhe trägt er aus gesundheitlichen Gründen.
Loomit vollendet sein Kunstwerk, indem er seine Signatur daran sprüht. Mundschutz und Handschuhe trägt er aus gesundheitlichen Gründen. © Bernd Wackerbauer

Vom Chemie-Unterricht zur Sprühdose

Das lernt man in der Graffiti-Szene?
Ich hatte Chemie-Leistungskurs in der Schule. Und ich habe schon früh mit Farbdosenherstellern zusammengearbeitet, da erfährt man natürlich noch mehr.

Wie kamen Sie überhaupt zum Sprühen?
Ich war ein Kritzelkind. Mit einem Blatt Papier und einer Packung Buntstifte konnte man mich gut allein lassen. Früher habe ich Comics gezeichnet, meine ganzen Schulhefte waren voll. Als 14-Jähriger habe ich dann mitbekommen, dass in New York eine Menge Leute die U-Bahn anmalen. Ich dachte mir: Die gehen mit der Sprühdose nachts raus und nehmen sich ihre Flächen draußen - das mache ich auch!

Und dann haben Sie sich den Wasserturm in Buchloe vorgeknöpft.
Genau, das war 1983.

Was haben Sie auf den Wasserturm gesprüht?
Das Wort "Graffiti" mit mindestens vier Rechtschreibfehlern. Drei Tage später habe ich das in der Zeitung gesehen und dachte mir: Damit kann man ja richtig Aufsehen erregen! Dann habe ich ganz Buchloe zugemalt. Später bin ich nach München gezogen, da gab es schon eine größere Szene. 1985 haben wir dann den Zug besprüht – was die New Yorker hatten, wollten wir auch.

Den Zug?
Den Geltendorfer Zug. Das war der erste komplette Zug außerhalb New Yorks, der mit Graffiti besprüht wurde.

Legal war das aber nicht…
Wenn alle fünf Tageszeitungen mit Foto darüber berichten, merkt man, dass das irgendwie eingeschlagen hat. Eine Zeitung hatte diese wunderbare Schlagzeile "Sprühkünstler beschmieren S-Bahn" – da hatten wir doch alle gewonnen! Man weiß, dass das nicht legal ist. Ich bin ja auch schon vor Gericht gestanden, mit Sozialstunden und Reinigungskosten als Ergebnis.

Der "Geltendorfer Zug" 1985: die erste vollständig besprühte Bahn außerhalb New Yorks, sagt Loomit.
Der "Geltendorfer Zug" 1985: die erste vollständig besprühte Bahn außerhalb New Yorks, sagt Loomit. © imago/Reinhard Kurzendörfer

"Heute gibt es DNA-Nachweise, das ist gefährlicher"

War das nächtliche Sprühen ein Adrenalin-Kick?
Ja, klar. Man ist unter Spannung, man will ja nicht erwischt werden. Das waren gut geplante Aktionen. Man muss wissen, wie man hinkommt, wie man am besten wieder wegkommt und möglichst keine Spuren wie Fingerabdrücke hinterlassen. Wir haben jahrelang sämtliche Dosen mit Spülmittel abgewaschen, damit keine Fingerabdrücke draufbleiben. Das waren aber die 80er, heute gibt es DNA-Nachweise, das ist gefährlicher (lacht).

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Sind Sie mal erwischt worden?
Nur einmal, in Hamburg. Sonst haben mich andere, die sie erwischt haben, verraten.

Was kam dabei raus?
Es gab Schuldsprüche, aber die Strafen waren gar nicht so hart. Bei vielen Sachen haben sie Milde walten lassen. Züge wurden immer verurteilt, bei Wänden hieß es dann: Na ja, man sieht eine Sachveränderung, aber keine Sachbeschädigung, weil wir ja einen ästhetischen Anspruch hatten. Und so sind aus 17 Seiten Anklageschrift zwei geworden.

Haben die Gerichtsverhandlungen etwas in Ihnen verändert?
Klar!

Und zwar?
Wir haben uns noch mehr angestrengt, nicht erwischt zu werden!

Aber Sie haben sich nie Gedanken drüber gemacht, das sein zu lassen?
Ich bin jetzt alt. Jetzt mach ich's wahrscheinlich nicht mehr, aber es war 'ne lange Zeit so, dass man einfach lernt, konspirativer zu sein.

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Heute sind Sie als Graffitikünstler über die Grenzen Münchens hinaus bekannt. Wie haben Sie das geschafft?
Ich bin gereist! Überall da, wo ich aufgeschlagen bin, hab ich mit den Leuten gemalt und die wiederum nach München eingeladen. 1987 war ich das erste Mal in New York und habe dort alle großen New Yorker Sprüher kennengelernt. Durch das Reisen habe ich natürlich immer mehr Leute getroffen und mich vernetzt, das war damals eine eingeschworene Gemeinschaft.

Premiere in Pasing

Inzwischen malen Sie viele Auftragswerke, wie hier in Pasing.
Ja und dieses Wandbild war eine Premiere! Denn ich habe zum ersten Mal mit Künstlicher Intelligenz gearbeitet.

Wie funktioniert das?
Man beschreibt, wie das Bild aussehen soll und bekommt ein Ergebnis. Ich hab einen kurzen Satz in die Tastatur gehackt, mit künstlerischen Referenzen: Ich wollte eine sterbende Schönheit mit Blumen, nach englischem Symbolismus und zack, hat es mir drei Bilder ausgespuckt. (Er deutet auf das Bild der schlafenden Schönheit, dass die KI erstellt hat, siehe links unten). Sie hat's nicht ganz mit den Armen. Man muss ein bisschen modifizieren, aber das ist nicht das Problem - ich kann ja zeichnen. Ich habe eben eine Figur für die Eurydike gebraucht.

Ein fast perfektes Gemälde - nur der Arm der schlafenden Schönheit schaut ein bisserl verrenkt aus. Dieses Bild hat eine Künstliche Intelligenz erstellt und diente Loomit als Vorlage für sein Graffiti.
Ein fast perfektes Gemälde - nur der Arm der schlafenden Schönheit schaut ein bisserl verrenkt aus. Dieses Bild hat eine Künstliche Intelligenz erstellt und diente Loomit als Vorlage für sein Graffiti. © jw

Wie lange haben Sie an diesem Graffiti gearbeitet?
Jeden Tag ungefähr fünf bis sechs Stunden und das drei Tage lang.

Jetzt ist es fertig. Wie fühlt sich das an?
Das ist eine Erleichterung! Durch die Hitze und dadurch, dass es keinen Schatten an der Wand gab, war es ab Mittag sehr schwierig, hier zu arbeiten. Meistens fange ich um halb sechs in der Früh an, ich bin Frühaufsteher.

Wie reagieren die Menschen auf Ihre Werke?
Die Reaktionen auf dieses Graffiti waren sehr positiv und das motiviert natürlich.

Kritik an der Graffiti-Kunst gibt es kaum

Gibt's auch Kritik?
Hier, an diesem Platz, nicht.

Und generell?
Eher wenig, weil die Leute sofort bemerken, dass man ihren Lebensraum aufwertet durch eine schöne Malerei. Vor 20, 30 Jahren war das vielleicht der Fall.

Am Ende des Jahres soll das Gebäude, auf das Sie das Graffiti gesprüht haben, abgerissen werden. Wie finden Sie das?
Das ist nichts Schlimmes – weil die Vergänglichkeit in unserer DNA liegt. Graffiti werden permanent weggeputzt oder die Gebäude, auf die sie gesprüht wurden, werden abgerissen. Die Endlichkeit ist für uns Sprüher nichts Schockierendes. Heute leben die Werke eh ewig im Internet.

Die Oper zum Graffiti: Orpheus, Wagenhalle der Pasinger Fabrik, 22. Juni bis 15. August

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