"Lieber arbeite ich bei Aldi": Hebammen-Protest auf dem Odeonsplatz
München - Unter dem grauen, verregneten Himmel leuchtet in greller, pinker Schrift der Aufdruck "Midwife Crisis" (dt. Hebammenkrise) auf Regenschirmen und -ponchos. "Weil Hebammen nicht nur von Merci leben können", steht auf einem Schild aus Pappe. Etwa 200 Menschen, vorwiegend Frauen, versammelten sich am Montag auf dem Odeonsplatz, es ist der internationale Hebammentag. Sie demonstrieren gegen den neuen Hebammenhilfevertrag, der zum 1. November 2025 in Kraft treten soll. Betroffen sind sogenannte Dienstbeleghebammen, die freiberuflich in Kreißsälen arbeiten – in Bayern stemmen sie über 80 Prozent der Geburtshilfe in Kliniken, bundesweit sind es rund 20 Prozent.
Nur noch 80 Prozent der üblichen Vergütung
Der Vertrag legt neue Abrechnungsbeträge mit den gesetzlichen Krankenkassen fest. Was die Krankenkassen als Schritt hin zu mehr Qualität durch Eins-zu-eins-Betreuung preisen, sehen viele Hebammen als realitätsferne Schönfärberei.
Ab November sollen Beleghebammen bei der Abrechnung lediglich 80 Prozent der üblichen Vergütung bekommen, bei der Betreuung von zwei Frauen nur noch zusätzlich 30 Prozent der Fallpauschale. Ab vier Frauen bekommen sie sogar keine Zuschläge mehr.
"Bekommen weniger für die gleiche Betreuung"
Hebamme Maike Leifer vom Klinikum Harlaching erklärt der AZ: "Wir bekommen weniger, aber für die gleiche Betreuung und Verantwortung für die Frau." Mehrere wichtige Pauschalen – wie die Erstuntersuchung des Kindes und die Herztonkontrolle – fallen außerdem weg. Wenn eine Schwangere wegen eines Notfalls in die Klinik kommt, dürfe die Beleghebamme sie nicht abrechnen, sofern keine stationäre Behandlung erfolgt, so Leifer.

"Da arbeite ich lieber bei Aldi an der Kasse"
Sie befürchtet, dass sich viele freiberufliche Hebammen aus dem Beruf zurückziehen. Leifer selbst werde aus der Klinik austreten, sagt sie der AZ. "Dann arbeitet man und bekommt das nicht mehr finanziert." Es sei zwar schade, weil ihr Herz dafür schlage, jedoch lohne sich die Arbeit durch die Änderungen nicht mehr für sie.
Auch Gisela Wörz (60) aus Fürstenfeldbruck will aufhören, sollte der Vertrag so kommen. "Da arbeite ich lieber bei Aldi an der Kasse", sagt sie auf der Demo zur AZ. Auch die Hebammen-Studentinnen Teresa Wagner (21) und Lara Thomas-Wittmann (24) sind besorgt um ihren zukünftigen Beruf. "Wir sind hier, weil wir natürlich wollen, dass unsere Zukunft gesichert ist", sagen die beiden.

Stundensatz für Eins-zu-eins-Betreuung steigt
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) entgegnet, dass die Kassen den Hebammen insgesamt deutlich mehr zahlen würden. Vor allem für die durchgehende Eins-zu-eins-Betreuung werde der Stundensatz mehr als verdoppelt, heißt es in einer Mitteilung. Eine Arbeitsgruppe soll ab November die Auswirkungen des neuen Vergütungssystems überprüfen.
Änderungen "schwer zu verstehen"
In der Praxis sei die reine Eins-zu eins-Betreuung aber selten möglich, da oft eine zweite Frau betreut werden müsse, sagt Leifer. Eine solche Betreuung liegt dann vor, wenn die Hebamme eine Frau zwei Stunden vor und nach der Geburt betreut.
Etwa 30 Prozent der Geburten im Belegsystem werden eins zu eins betreut, rund 60 Prozent eins zu zwei. Bei den festangestellten Hebammen werden etwa zwei Prozent der Frauen eins zu eins betreut, ein Viertel eins zu vier oder mehr. "Deswegen ist es für uns so schwer zu verstehen, dass jetzt die Beleghebammen sanktioniert werden, wo wir schon das Beste dafür geben, dass die Frauen eine gute Betreuung haben", sagt Leifer.
"Es ist nicht egal, wie wir geboren werden"
Auf der Demo wollen die Hebammen "sichtbar machen, was da gerade passiert". Geburtshilfe gehe alle etwas an, sagt Leifer. "Es ist nicht egal, wie wir geboren werden." Es sei wichtig, "dass es eine gute Betreuung gibt". Die werde jedoch nicht erreicht, wenn alles außer der Eins-zu-eins-Betreuung sanktioniert werde. "Wir müssen die gute Geburtshilfe, die wir gerade in Bayern schon haben, durch das Belegsystem erhalten und fördern", so ihre Forderung.