Leerstand mitten in München - wie viele Wohnungen sind betroffen?
München - An den acht Klingeln stehen sieben Namen. Im ersten Stock hängen in allen sechs Fenstern zur Straße Häkelgardinen, wie sie ältere Damen oft gern haben. Im zweiten sind Fenster gekippt. Ganz unten im Hochparterre stehen frische Blumen auf einem Fensterbrett. Nach außen, wenn man so will, ist das Bild fast perfekt.
Leere Wohnungen, verwaistes Hinterhaus
Aber nur fast. Denn dass der Laden unten leer steht, ist nicht zu übersehen. Und wenn man im Hof die Rückseite der Fassade betrachtet, wird es ziemlich deutlich: Das vierstöckige Wohnhaus in der Zieblandstraße 5 mit sieben, vielleicht acht Wohnungen ist zumindest in Teilen unbewohnt.
Auch das niedrige Hinterhaus leert sich, eine Mieterin dort hat die Kündigung bekommen, nachvermietet wird wohl nicht.
"Da geht nur noch sehr selten einer rein oder raus", sagt ein Nachbar.
Es ist – wieder mal – eines der Häuser, die der Münchner Mieteraktivist Christian Schwarzenberger bei einem seiner vielen Stadtspaziergänge mit wachen Augen entdeckt hat. "Leerstand in schönster Lage im Univiertel Maxvorstadt", sagt der Mitarbeiter der Münchner Stadtratsfraktion Die Linke, "da kann man nur immer wieder kopfschüttelnd davorstehen."

"Mindestens drei, vier Jahre", sagt ein Nachbar von gegenüber, stehe das Haus nun so gut wie leer, "da geht nur noch sehr selten einer rein und raus." Der Ladeninhaber, der noch vor vier Jahren den Laden gemietet hatte, erklärt auf AZ-Nachfrage, der Eigentümer habe damals schon einen vorgeschlagenen Nachmieter abgelehnt, man habe nicht mehr fest vermieten wollen. Hintergrund sei wohl ein Erbschaftsstreit.
Jahrelanger Leerstand mitten in München
"Das Haus ist nur ein weiteres Beispiel für jahrelangen Leerstand in München", sagt Christian Schwarzenberger. Nur ein paar Straßen weiter zum Beispiel, in der Steinheilstraße 1, steht seit rund vier Jahren ein Altbau mit zwölf Wohnungen und einer Gewerbeeinheit leer, in dem früher ein Yoga-Studio war. Anwohner berichten, dass Bauarbeiter – kaum waren die Mieter gekündigt und ausgezogen – den Innenbereich des Hauses unbewohnbar gemacht haben.
Dann war lange Stillstand auf der Baustelle, aktuell wird im Erdgeschoss und ersten Stock saniert. "Zwei Jahre", erklärten Bauarbeiter den Nachbarn, würde die Sanierung noch dauern. "Absurd, wie lange sich das hinzieht", sagt eine Nachbarin, die seit zehn Jahren in der Straße wohnt.
Baustelle schließt nach Protesten
Kopfschütteln herrscht in der Straße auch über den Fall auf Hausnummer 7, beim Hotel Königswache. Im Frühherbst 2019 sei da plötzlich eine ungesicherte Baustelle gewesen. "Erst hing da ein Schild, dass renoviert wird", sagt die Nachbarin. "Aber plötzlich haben da Arbeiter kernsaniert." Nach Protesten der Anwohner über Staub und Lärm sei die Baustelle geschlossen worden. "Seit letztem Oktober passiert hier überhaupt nichts mehr. Das Haus steht über ein Jahr leer."
Statistiken über den Leerstand in München finden sich nicht viele. Bei den städtischen Wohnungen seien es rund 0,5 Prozent, heißt es. Für ganz München nennt das Sozialreferat in einer aktuellen Vorlage eine geschätzte Leerstandsquote "von weniger als zwei Prozent des gesamten Wohnbestandes". Das entspräche rund 16 000 Wohnungen.
Zehn Fälle von mutmaßlicher Zweckentfremdung hat Christian Schwarzenberger über Monate in akribischer Arbeit dokumentiert. Darunter ist ein Altbau in der Schwabinger Herzogstraße 87, wo ein großer Teil der 15 Wohnungen im Vorderhaus leer steht plus das ganze Hinterhaus. Laut einigen Nachbarn sind einzelne Wohnungen schon seit 2004 nicht mehr bewohnt.
Von neun Wohnungen nur sechs bewohnt
Auf der Liste steht auch ein Wohnhaus an der Wilhelmstraße 27, das 2017 verkauft wurde und erneut verkauft werden soll. Bewohner berichten, dass von neun Wohnungen drei leer sind, drei seien von Arbeitern bewohnt, nur noch drei seien vermietet. Auch am Wedekindplatz, an der Occamstraße 1, steht laut der Liste ein Haus fast vollkommen leer. Nur eine von zehn Wohnungen sei aktuell bewohnt, alle drei Läden stehen leer, in bester Lage.
Zu allen Fällen hat die Linkspartei im Juli detaillierte Fragen an SPD-OB Dieter Reiter gestellt – und will wissen, wie die Stadt gegen den "Missbrauch von Eigentum" vorgehen will. Die Antworten dazu stehen noch aus.
Luxussanierung statt günstiger Wohnraum
Mehr als ein ärgerliches Beispiel ist seither dazugekommen – wie der 60er-Jahre-Wohnblock Schleißheimer-/Bamberger-/Gernotstraße am Luitpoldpark mit 90 sehr günstigen Wohnungen, der binnen kurzer Zeit nun schon zum zweiten Mal verkauft worden ist. Der aktuelle Eigentümer Jargonnant Partners (JN), eine Luxemburger Fondsgesellschaft, die in Immobilien investiert, will hier teilweise zwei Stockwerke aufstocken, mit 29 Luxuswohnungen.
Seit Anfang 2019 stünden nun vermehrt Wohnungen leer, inzwischen fast jede fünfte der 90 Wohnungen, sagt ein Sprecher der Mietergemeinschaft. Man habe die Auflistung schon vor gut einem Jahr an die Stadt gemeldet – mit der Rückmeldung, dass "der Leerstand gerechtfertigt" sei.
Spekulanten gewinnen an steigenden Bodenpreisen
"Die Zahl der Wohnungslosen in München hat sich in den letzten zehn Jahren vervierfacht", sagt Mieteraktivist Schwarzenberger. "Da ist es für mich unbegreiflich, wie zugelassen wird, dass bewohnbare Häuser oder auch einzelne Wohnungen über Monate und oft Jahre leer stehen."
Am meisten nervt die Aktivisten, wie Spekulanten über die Leerstandszeiten hinweg an den steigenden Bodenpreisen gewinnen. "In solchen Fällen muss die Stadt klare Kante zeigen", sagt Linke-Stadtrat Stefan Jagel. Die Stadt solle in solchen Fällen "in letzter Konsequenz leerstehenden Wohnraum beschlagnahmen."
"Lassen Eigentümer noch gewähren, weil der Leerstand gerechtfertigt ist"
Beim Wohnhaus in der Zieblandstraße übrigens hat das Sozialreferat vor mindestens eineinhalb Jahren einen Hinweis auf dauerhaften Leerstand bekommen. Man habe sich mit dem Fall befasst und drei leere Wohnungen festgestellt, erklärt ein Sprecher auf AZ-Nachfrage.
Ein Zweckentfremdungsverfahren sei zwar zunächst eingeleitet worden. "Das ruht jetzt aber", so der Sprecher, "wir lassen die Eigentümer noch gewähren, weil der Leerstand gerechtfertigt ist." Dort solle ja irgendwann saniert werden.

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