Lebenslange Haft für Kriegsverbrecher
MÜNCHEN - Der ehemalige Wehrmachtsoffizier Josef S. muss lebenslänglich ins Gefängnis. Das Landgericht München verurteilte den 90-Jährigen aus Ottobrunn bei München am Dienstag wegen Kriegsverbrechen.
10.05 Uhr, Saal 101, Münchner Schwurgericht: Lauter Beifall ertönt, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl das Urteil gegen den NS-Kriegsverbrecher Josef Scheungraber (90) verkündet: „Der Angeklagte ist schuldig des zehnfachen Mordes und eines versuchten Mordes. Er wird daher zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.“ Scheungraber zeigt keine Regung. Seine Augen sind geschlossen. Dagegen hat sein Strafverteidiger Rainer Thesen ein deutlich schwächeres Nervenkostüm. Er wird plötzlich ganz blass, seine Beine versagen, er sackt zurück in seinen Sessel. Polizei- und Justizbeamte eilen herbei. Thesen signalisiert ihnen, dass er keinen Arzt braucht.
Der Angeklagte war ranghöchster Offizier
Unter den Zuhörern ist auch der Bürgermeister Andrea Vignini aus dem italienischen Falzano di Cortona in der Toskana. In seiner Ortschaft hatte sich das NS-Massaker am 27. Juli 1944 ereignet. „Ich bin zufrieden mit dem Urteil. Wir haben dadurch ein großes Vertrauen in die deutsche Justiz gewonnen“, sagte er der AZ. Der Angeklagte Josef Scheungraber war damals Kompaniechef des Gebirgspionierbataillons 818 und mit zirka 150 Mann in der Toskana stationiert. Drei seiner Soldaten hatten den Auftrag, einem Bauern Pferd und Wagen wegzunehmen – plötzlich wurden sie von Partisanen überfallen. Zwei Soldaten starben. „Der Angeklagte war ranghöchster Offizier. Er musste reagieren“, sagte der Vorsitzende Richter Götzl. Elf Männer und Jugendliche aus der Zivilbevölkerung wurden in ein Haus getrieben und in die Luft gesprengt. Ein 15-Jähriger überlebte die Hinrichtung. „Das Motiv des Angeklagten war Rache und Hass, weil zwei seiner Soldaten getötet wurden“, so Götzl.
Angeklagter will von Sprengungen nichts gehört haben
Immer wieder hatte Scheungraber in den elf Monaten Prozessdauer seine Unschuld beteuert. Zeugen aus alten Zeiten konnten oder wollten sich nicht mehr an die Ereignisse aus dem Zweiten Weltkrieg erinnern. Der Angeklagte hatte von Sprengungen angeblich nichts mitbekommen. Er sei mit Reparaturarbeiten an einer Brücke beschäftigt gewesen. Diese Aussage nahm ihm das Schwurgericht nicht ab. Die Brücke, die den Rückzug sichern sollte, war knapp einen Kilometer vom Tatort entfernt. Zeugen hatten ausgesagt, dass man die Detonationen im Umkreis von mehreren Kilometern gehört hat. Götzl: „Gebäude sind in die Luft gesprengt worden und sie wollen davon nichts mitbekommen haben? Das ist absolut nicht nachvollziehbar!“ I
Die Verteidigung kündigte Revision an
In der Urteilsbegründung widerlegte Götzl, dass Scheungraber beim Brückenbau war, als seine Soldaten eine Exekution durchführten: „Die Anwesenheit eines Offiziers bei so einer Angelegenheit ist notwendig. Der einzige Offizier war der Angeklagte.“ Scheungraber hört dem Richter über Kopfhörer zu. Er schüttelt hin und wieder den Kopf. Nur wenige Meter entfernt sitzt Margherita Lescai (66) mit ihrer Halbschwester Angiola (60) im Gerichtssaal. Margherita war noch ein Baby, als ihr Vater durch den Befehl des Angeklagten unschuldig sterben musste. Sie hat Tränen in den Augen und fällt ihrer Halbschwester in die Arme: „Wenn das Mutter erlebt hätte.“ Die Verteidigung kündigte Revision an. Bis dahin bleibt Josef Scheungraber aus gesundheitlichen Gründen wohl ein freier Mann.
Torsten Huber
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