Interview

Leben ohne Auto in München: "Spielplätze statt Parkplätze!"

Heiko Bielinski hat ein Buch geschrieben über das Leben ohne Auto. Hier erzählt er, warum sich das durchaus rechnet, wann er doch mal eines braucht - und was er sich von der Politik wünschen würde.
| Interview: Conie Morarescu
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Auf dem Rad statt im Auto - so macht das Heiko Bielinski schon seit Jahren.
Auf dem Rad statt im Auto - so macht das Heiko Bielinski schon seit Jahren. © Bernd Wackerbauer

München - Einen konstruktiven Beitrag zur Verkehrswende leisten. Das möchte Heiko Bielinski mit seinem Buch "Einfach autofrei leben", das kürzlich erschienen ist. Darin teilt der 45-jährige Familienvater seine Erfahrungen aus sieben Jahren ohne Auto, führt Kalkulationen an und gibt praktische Tipps. Aber: "Ganz ohne Auto geht es nicht", sagt auch Heiko Bielinski und spricht mit der AZ über seine Erfahrungen.

AZ: Herr Bielinski, wie kamen Sie dazu, ein Buch über ein autofreies Leben zu schreiben?
HEIKO BIELINSKI: Ich habe etwa 2005 angefangen zu bloggen. 2013 haben wir unser Auto verkauft. Meine Frau, meine beiden Kinder und ich haben gemeinsam diesen Entschluss gefasst. Die damit verbundenen Erfahrungen habe ich auf meinem Blog geteilt, sieben Jahre lang. Mittlerweile ist Mobilität ja ein großes Thema. Der Verlag hatte schließlich Interesse daran, dass ich ein Buch dazu veröffentliche.

Heiko Bielinski über Autofahrten in München: "Der Nerv-Faktor war ziemlich hoch"

Was hat Sie und Ihre Familie dazu bewogen, auf das Auto zu verzichten?
Das war kein Entschluss, den wir von heute auf morgen gefasst haben. 2001 sind wir nach München gezogen, wir wohnen in Haidhausen. Ich würde sagen, wir waren einfach ziemlich genervt: von der ständigen Parkplatzsuche, die in dem Viertel sehr schwierig ist. Von den Werkstattbesuchen, die häufig vorkamen, weil uns immer wieder ein Seitenspiegel weggefahren wurde. Dann die Instandhaltung: Reifenwechseln, TÜV und so weiter. Der Nerv-Faktor war ziemlich hoch.

Sie sagen, das Auto zu verkaufen war keine plötzliche Entscheidung. Ihr Buch bildet den Prozess ab, wie Sie als Autofahrer schrittweise umgestiegen sind auf nachhaltige Verkehrsmittel.
Ja richtig, das war ein Prozess. Erst einmal habe ich durchgerechnet, wie viel ich zahlen würde, wenn ich mein Auto verkaufe und auf stationäres Carsharing umsteige, ohne weniger Auto zu fahren. Schon da habe ich gemerkt, dass wir günstiger wegkommen. Wenn man jetzt überlegt, dass im Durchschnitt ein Auto 23 Stunden am Tag ungenutzt auf dem Parkplatz steht, dann macht es durchaus Sinn, auf Carsharing umzusteigen. Zum einen sind viel weniger Autos in der Stadt, wenn man sie sich teilt, zum anderen gibt es für das Carsharing feste Parkplätze - schon einmal ein Stressfaktor weniger.

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Ein Leben ganz ohne Auto klappt nicht ganz

Das heißt, letztlich leben Sie nicht ganz autofrei?
Nachdem wir das Auto verkauft haben, haben wir mit der Zeit viel mehr mit dem Fahrrad, dem ÖPNV oder zu Fuß gemacht. Doch es gab Situationen, in denen wir nicht auf das Auto verzichten konnten. Meine Eltern wohnen in einem kleinen Dorf, mit der Bahn kommen wir ziemlich nah heran, aber für die letzten Kilometer braucht man ein Auto. Dann sind da zum Beispiel die Fahrten zum Wertstoffhof. Auch hier geht es ohne Auto nicht. Genau für solche Situationen bietet sich im städtischen Raum aber das stationäre Carsharing an.

Auf dem Land ist ein Leben ohne eigenes Auto aber nicht möglich oder?
Ich selbst bin auf dem Land aufgewachsen, genauso meine Frau. Wir sind mit dem Auto quasi groß geworden. Die Infrastruktur auf dem Land bietet aktuell kaum Alternativen. Das sollte sich ändern. Die Politik ist da natürlich in der Verantwortung. Es gibt aber auch bürgerliche Initiativen auf dem Land, wie die Mitfahrbankerl zum Beispiel oder lokal organisiertes Carsharing.

"Wenn meine Leser ihr Auto verkaufen, ist das ein Erfolg"

Ihr Buch richtet sich an den Einzelnen und gibt viele praktische Tipps, wie man sich nachhaltiger bewegen kann. Sehen Sie die Verantwortung überwiegend bei den Bürgerinnen und Bürgern?
Nein, auf keinen Fall, die Politiker müssen unbedingt umdenken und in nachhaltige Mobilität investieren. Ich glaube nicht, dass man die Verantwortung auf die Verbraucher abwälzen kann. Aber ich denke, dass das eine das andere nicht ausschließt. Es geht darum, konstruktiv mit der Situation umzugehen. Und gerade in der Stadt ist es durchaus möglich, sich ohne Auto zu bewegen.

Was erhoffen Sie sich von Ihrem Buch? Was soll es bewirken?
Seitdem wir kein Auto haben, ist uns erst richtig bewusst geworden, wie viel städtischer Raum durch parkende Autos verloren geht. Der Platz könnte für Spielplätze, Grünflächen, Radwege und so vieles mehr genutzt werden. Ich hoffe, mein Buch regt zum Nachdenken an. Darüber, ob man sein Auto wirklich unbedingt braucht. Und wenn am Schluss einige dabei sind, die ihr Auto sogar irgendwann verkaufen, dann ist das für mich ein großer Erfolg.


Heiko Bielinski: "Einfach autofrei leben: Nachhaltig mobil: Die besten Alternativen", mit Corona-Spezial (Südwest Verlag, 176 Seiten, 18 Euro) ist soeben erschienen.

Weiterführende Links und aktuelle Informationen zum Thema Mobilität:
www.einfachautofreileben.de

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