Krise ist woanders

Gucci feiert die Eeröffnung seines Luxus-Stores in der Maximilianstraße. Kritiker vermissen den einstigen Charme der Münchner Prachtmeile. Ein Sparziergang in der schicksten Straße der Republik
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Martha Schlüter Illustration

Gucci feiert die Eeröffnung seines Luxus-Stores in der Maximilianstraße. Kritiker vermissen den einstigen Charme der Münchner Prachtmeile. Ein Sparziergang in der schicksten Straße der Republik

Ein, zwei Pfirsiche in die Tüte, und dann schnell weiter? Da muss Walther Wierer lachen. Nein, sagt er, so dürfe man sich das nun nicht vorstellen. „Die kaufen eine ganze Kiste, geben ein paar Scheine, stellen das Obst in den BMW, und dann schlendern sie die Straße runter.“

Sie, das sind die Kunden, die Wierer hier am mobilen Obststand bedient, und die Straße, die sie anschließend hinunterschlendern, heißt Maximilianstraße, zwischen Nationaltheater und Altstadtring die teuersten und schicksten Meter der Republik. Und weil das so ist, hat sich auch der Obstverkäufer Walther Wierer aus Unterhaching darauf eingestellt. In seiner Auslage liegen Papayas für 3,25 Euro neben Avocados, süßen Mangos und leuchtenden Granatäpfeln. Mag man anderswo Kartoffeln, Rüben, Sellerie kaufen, gewöhnlichen Kram, hier, in dieser Straße, in der Gucci heute einen neuen „Flagship Store“ mit 580 Quadratmetern Verkaufsfläche eröffnet, gelten andere Dimensionen. Und andere Regeln.

Hier gibts Handys für eine viertel Million Euro

Man muss sich ja nur mal hinstellen, an einem trüben Dezembervormittag mit milchigem Licht, und schauen: Wie sich zwei bemantelte Ladys um die Vierzig mit großen, runden, schwarzen Jackie-Kennedy-Sonnenbrillen und kleinen, braunen Louis-Vuitton Handtaschen auf die Stühle vorm „Opern Espresso“ niederlassen und shopping-erschöpft einen Cappuccino bestellen. Wie sich vor dem Nationaltheater der sportliche Mittfünfziger in einen giftgrünen Lotus zwängt und ein, zwei mal so kräftig die Pedale tritt, dass der Motor röhrt. Wie diese jungen, blassen, den Mund zu einem Strich gezogenen, die Haare zu einem Pagenschnitt getrimmten Mädels vor Cartier stehen und auf Schmuck im fünfstelligem Bereich schauen, als suchten sie eine neue Hautcreme. Wohin man geht: Überall großes Menschen-Theater auf den Trottoirs, süßlicher Eskapismus. Krise ist woanders.

Aber verändert hat sich hier einiges. Nicht, was Kaufkraft, Konsumlust anbelangt. Die ist ungebrochen, flüstern die Verkäufer in den Edelboutiquen, ehe sie sagen, dass sie eigentlich nichts sagen dürfen. Bei Vertu verkaufen sie schmuckbesetzte Handys für 250000 Euro, und das Verrückte ist, dass sie gekauft werden.

Wenier Gastronomie, immer mehr Edel-Läden

Nein, auf diesem Boulevard der Eitelkeiten trifft man auch Menschen, die klagen, dass die Straße kalt geworden sei. Dass mit dem Wegzug der kleinen Blumenläden, Büchereien und Apotheken zugleich der Charme dieser Straße verloren gegangen sei. „Früher herrschte ein Gleichgewicht“, sagt Tammaso Marangi vom „Café Opera“. Nun sei dieses Mischverhältnis gestört. Marangi macht sich Sorgen um die Laufkundschaft, die immer seltener komme.

Solche Ängste aber hat man im Hotel „Vier Jahreszeiten“ nicht. Mittags plätschert Pianomusik durch das Foyer des Luxushotels. Auf den weich gepolsterten Sofas sitzen um die Mittagszeit distinguierte Damen und Herren um den viereinhalb Meter hohen, funkelnden Weihnachtsbaum und trinken ihren Kaffee. Manche bestellen bei Küchenchef Markus Winkelmann ein Stück selbst gemachten Baumkuchen. „Unsere Gäste haben einen exquisiten Geschmack“, sagt Carolin Grove von der Hotelleitung, es hört sich fast ein bisschen entschuldigend an.

Draußen, auf der anderen Straßenseite, stöckelt gerade eine blonde Mittzwanzigerin an Walther Wierers Theke, verlangt eine Birne. „Aber bitte eine weiche, süße Birne.“ Natürlich – gewöhnlichen Kram können andere kaufen.

Jan Chaberny

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