Krailling-Mord: Jetzt spricht die Mutter!

Die Tat war unvorstellbar. Und sie ist unvergessen. Dazu braucht es nicht mal einen Jahrestag wie diesen.
Vor genau zwei Jahren – in der Nacht vom 23. auf 24. März – wurden Chiara (8) und Sharon (11) auf bestialische Weise umgebracht, von ihrem eigenen Onkel.
Thomas S. ist inzwischen rechtskräftig als Mörder seiner Nichten verurteilt. Der 52-Jährige sitzt in der JVA Landsberg ein, muss mindestens 25 Jahre dort bleiben, wegen der besonderen Schwere der Schuld. Lebenslang und noch mehr.
Lebenslang hat auch die Mutter der ermordeten Mädchen. Sie sagt: „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht alle fünf Minuten an meine Kinder denke.“
Die 43-Jährige äußert sich zum ersten Mal exklusiv in der AZ zu dem Drama ihres Lebens. Zum Gespräch mitgebracht hat sie ihre Mutter Doris S. (72) und deren Lebensgefährten Klaus W. (73).
Es war die Nacht, in der sie später heimkam als sonst. Sie arbeitete in einem Lokal, nicht einmal 100 Meter entfernt von ihrem Wohnhaus. Die beiden Mädchen wussten immer, wo ihre Mutter war, hatten auch alle Telefonnummern. Diesmal blieb die 43-Jährige länger, ging dann mit ihrem Lebensgefährten nach Hause.
Dort bot sich den beiden ein Bild des Schreckens: Die Mädchen in ihrem eigenen Blut - erstochen, erdrosselt, erschlagen. Über das, was sie vorgefunden hat, mag und kann die Mutter nicht sprechen. Zu schlimm.
Wer tut so etwas? Die Ermittler kamen aufgrund von DNA-Abgleich bald auf den Täter. Thomas S., der Mann von Ursula S. (46), der Schwester der Mutter von Chiara und Sharon. Warum? Es ging ums Geld, denn der Täter und seine Frau waren hochverschuldet. Dabei hatten sich die Schwestern schon geeinigt, dass eine Wohnung aus dem Erbe der Familie an Ursula geht.
Gestanden hat Thomas S. bis heute nicht. Doch die Spuren am Tatort in der Kraillinger Margaretenstraße waren eindeutig.
Trotzdem bleiben für die Familie ungeklärte Fragen. Wie kam Thomas S. in der Mordnacht von seinem Wohnort Peißenberg nach Krailling und danach nach Feldafing, wo er als Postbote arbeitete?
Die Mutter der getöteten Kinder hat sich viele Gedanken gemacht dazu. „Das Auto hat Ursula am nächsten Morgen gebraucht, weil sie zur Brustkrebs-Nachsorge musste.“
Überhaupt Ursula: Angeblich wurde sie in der Nacht von ihrem Mann betäubt – allerdings haben die Ermittler in dem Haus in Peißenberg keine Schlafmittel gefunden. „Da ist einiges offen“, sagt Klaus W. Hat sie etwa ihren Mann zum Tatort gefahren?
Schlimm war es für die Mutter der Kinder, dass sie die Tatortreinigung für 6000 Euro selbst organisieren sollte: „Als Opfer wird man mit derlei Problemen vollkommen allein gelassen. Da bist du fix und fertig mit den Nerven – und dann das.“
Ohne gute Freunde hätte sie das niemals stemmen können. Auch die Opferschutz-Organisation „Weißer Ring“ hat finanziell geholfen.
Die Wohnung sollte nach Abschluss der Arbeiten der Spurensicherung außerdem bald geräumt werden, wieder hatte die 43-Jährige die schwere Aufgabe, das selbst in die Wege zu leiten: „Mein ganzes Hab und Gut ist inzwischen in einer Garage. Ich müsste das aussortieren, aber ich kann das noch nicht“, sagt sie zwei Jahre nach der Tat. „Da kommt zu viel hoch.“ Schließlich stecke jede Kiste voller Erinnerungen: „Das zerreißt mir das Herz.“
Schon kurz nach der Tat hat die Mutter eine Therapie begonnen. Aber die 30 Stunden Gespräche hätten ihr nichts gebracht, sagt sie: „Gut getan hat mir die Energietherapie, obwohl das zu einem pragmatischen, kritischen Menschen wie mir gar nicht passt.“
Aber zu einem besseren Schlaf hat ihr das auch nicht geholfen. „Jetzt habe ich mich bei einer Trauma-Therapeutin angemeldet“, sagt sie in der Hoffnung auf Hilfe.
„Ohne Hilfe von Freunden kommst du da sowieso nicht durch“,sagt die Frau, die inzwischen wieder als Nachhilfelehrerin arbeitet. Am Todestag von Chiara und Sharon, dem 24. März, haben diese guten Freunde ein Treffen organisiert, bei dem alle zusammenkommen: „Damit ich nicht alleine mit diesem Datum umgehen muss.“
Geht denn das Weiterleben überhaupt? „Dass ich mich umbringe, den Gefallen tue ich weder dem Mörder noch meiner Schwester.“ Schließlich haben die Ermittlungen am Tatort eindeutig ergeben, dass auch die 43-Jährige Mutter von Chiara und Sharon sterben sollte: „Dann hätte er das, was er wollte, noch im Nachhinein – meinen Tod.“ Und ihre Schwester Ursula käme an das gesamte Erbe.
Ursula S. – inzwischen geschieden von Thomas S. – hat sich nie bei ihrer Schwester gemeldet, obwohl sie schon einen Tag nach dem entsetzlichen Verbrechen von dem Mord an ihren Nichten wusste. Bis heute gibt es keinen Kontakt der Schwestern.
Ihre Mutter Doris S. will allerdings von einer guten Bekannten aus Peißenberg erfahren haben, dass ihre Tochter Ursula inzwischen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen lebt: zusammen mit einem neuen Freund, aber nicht mit allen vier Kindern aus ihrer Ehe mit dem zweifachen Mörder Thomas S.
Den großen Sohn (15), so erfuhr sie, habe Ursula S. in ein Heim gegeben. Der zweite leidet noch immer an den Folgen einer Lebertransplantation. Deswegen ist der Zwölfjährige die meiste Zeit im Krankenhaus. Lediglich der neunjährige Sohn und die achtjährige Tochter würden immer mit ihrer Mutter Ursula S. zusammenleben.
Wird die Mutter der ermordeten Mädchen am Sonntag auf den Friedhof gehen? „Nein“, sagt sie entschieden. „Der Gedanke, dass meine toten Töchter da unter der Erde liegen, ist für mich unerträglich.“
Was für sie schlimmer ist, der Todestag oder die Geburtstage der beiden? Sie sagt: „Jeder Tag ist furchtbar.“
Krailling - Ein Doppelmord aus Habgier
24. März 2011: Chiara († 8) und Sharon († 11) werden in Krailling ermordet aufgefunden. Bei der Obduktion werden an beiden Kindern „vielfältige Gewalteinwirkungen verschiedener Art“ festgestellt. Der Täter soll Messer und Hantelstange verwendet haben.
29. März 2011: Mehrere hundert Menschen gedenken bei einem ökumenischen Gottesdienst der Kinder.
1. April 2011: Chiara und Sharon werden am Gräfelfinger Friedhof bestattet.
1. April 2011: Thomas S., der Onkel der Mädchen, wird in seinem Haus in Peißenberg festgenommen. Blutspuren, die die Ermittler am Tatort feststellten, sollen ihn stark belasten.
2. April 2011: Gegen ihn wird Haftbefehl erlassen.
7. April 2011: Es wird bekannt, dass Thomas S. erklärt, er habe seine Schwägerin besucht und Nasenbluten gehabt: Daher die Spuren.
25. August 2011: Die Staatsanwaltschaft München II erhebt Anklage gegen Thomas S. wegen Mordes an seinen beiden Nichten. Er soll aus Habgier gehandelt haben.
17. Januar 2012: Zum Prozessauftakt schweigt der Angeklagte. Er grinst im Gericht.
30. Januar 2012: Hinter verschlossenen Türen wird die Mutter (42) der beiden ermordeten Mädchen angehört. Unter Tränen berichtet die Frau, wie sie ihre Kinder gefunden hat. Der Onkel der toten Kinder verfolgt ihre Aussage per Videokonferenz.
16. April 2012: Plädoyers und das Urteil gegen Thomas S.: Lebenslange Haft und Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.