Kleine Abenteuer dahoam erleben: So geht es
München - Für jeden Ferien-Tag hat sie eine passende Idee: "Ich brauche nicht 500 Kilometer fahren, ich fahre nur fünf und schaue, was im Park, im Wald oder am Bach so los ist", sagt Wildnispädagogin Carmen Hahn.
In ihrem Buch "The small outdoors" (Bruckmann, 17 Euro) hat sie mehr als 100 kleine Abenteuer vor der Haustür gesammelt: Ihre Tipps sind simpel, leicht umzusetzen und machen glücklich.
Sie lauten zum Beispiel: "Übernachte auf deinem Balkon", "Entdecke Tiere bei Regen" oder "Schaue unter einen Stein". Die 28-Jährige, die oft mit ihrem Mischlingshund "Bella" abseits der Wege herumstromert, ist Expertin für kleine Aktionen mit großer Wirkung. Die AZ hat mit ihr gesprochen.

Carmen Hahn: " Es braucht nicht immer eine Riesen-Aktion"
AZ: Frau Hahn, gerade jetzt während der Coronazeit empfehlen Sie kleine Auszeiten in der Natur, nach dem Motto: Ich mach' das jetzt einfach mal. Wieso?
CARMEN HAHN: Erwachsene sind manchmal so gehemmt. Sie haben ihre Struktur, planen viel und geben den kleinen Dingen, die glücklich machen, oft keinen Raum. Ich möchte mit meinem Buch dazu ermuntern: Brechen Sie öfter mal aus der Komfortzone aus! Ziehen Sie Schuhe und Socken aus und laufen Sie zum Beispiel barfuß über eine Sommerwiese.
Und was passiert dann?
Damit nimmt man sich eine kleine Auszeit vom Alltag. Es braucht nicht immer eine Riesen-Aktion, die einen Glücksgefühl und Entspannung empfinden lässt. Wenn man sich auf die kleinen Dinge einlässt, seine Sinne fokussiert und den Moment bewusst erlebt, dann klappt das sogar vor der Haustür und ohne groß Geld auszugeben.
Wann haben Sie denn das letzte Mal im Regen getanzt?
Erst letzte Woche. Ich war während eines Ferienprogramms mit Kindern am Bach. Wir haben Schlamm angerührt und uns damit sogar zur Tarnung im Gesicht bemalt. Als es anfing zu regnen, war das für niemanden ein Problem. Wir waren alle mit Gummistiefeln und Kapuzen gewappnet. Ich kann den Moment genießen, das Prasseln der Regentropfen und die Tiere, die sich jetzt zeigen. Dann bin ich halt klatschnass, na und? Im Sommer ist man auch ruckzuck wieder trocken.
Hahn: "Es ist ein Tabu, lustig durch den Regen zu rennen"
Erwachsene stellen sich sofort unter, wenn es gießt.
Das mache ich ja meist genauso. Es ist ein Tabu, lustig durch den Regen zu rennen und als Erwachsene in Pfützen zu springen. Die Einstellung, ich mach' das jetzt einfach mal, bedeutet für mich Leichtigkeit und Freiheit.
Wie ist Ihre Erfahrung: Wann strahlen kleine Naturforscher eigentlich am meisten?
Kinderaugen leuchten immer, wenn es um Tiere geht. Das können auch Insekten sein. Wenn ich sage, nimm mal den Stein hoch und darunter wuseln einige Käfer, die eine bunte Farbe haben, machen Kinder oft große Augen. Kürzlich hat ein Kind erstaunt gefragt: Hast du die ganzen Tiere für uns unter den Stein gesetzt?
Sie empfehlen Becherlupen, um Insekten genau zu betrachten.
Für die Kinder ist das eine schöne Herausforderung. Wer einen Grashüpfer im Becher gefangen hat, zeigt ihn den anderen. Die Kinder sind stolz, denn sie haben sich etwas getraut und etwas geschafft.
Carmen Hahn: Das ist ihre Challenge
Ekeln sich viele?
Die Naturforscher stehen ruhig da und schauen genau: Hat die Spinne Haare auf dem Körper? Hat sie ein Ei dabei? Viele sind vorsichtig. Bei Kindern erlebe ich aber selten Ekel.
Warum ist draußen schlafen das ultimative Abenteuer?
Das geht so einfach und ist immer aufregend: Egal ob ich auf meinem Balkon übernachte, im Garten der Oma oder eine Hängematte unter Bäumen auf Reisen aufspanne. Die frische Luft macht mich frei, ich atme tief durch. Nachts höre ich völlig andere Geräusche als am Tag: da zirpen Grillen, Tiere rascheln im Gebüsch. Wer hoch zu den Sternen blickt, erlebt: Je länger man schaut, desto mehr Sterne werden es.
Mache einen Igelhaufen, mische Gänseblümchen in deinen Salat, benutze eine ausgediente Pfanne als Vogeltränke – in ihrem Buch bieten Sie einen kleinen Tipp für jeden Tag.
Das kann man sich als Aufgabe und Herausforderung vornehmen. In der Innenseite des Buches kann man für jedes erlebte Naturabenteuer ein Kreuzchen setzen. Ich Freude mich über jeden, der bei der Challenge dabei ist, über Kinder und Erwachsene.
Mini-Abenteuer 1: Kleeblatt suchen
Das sind die Glückssymbole in der Natur: Mistelzweig, Marienkäfer, Fliegenpilz und das vierblättrige Kleeblatt. Das Kleeblatt ist selten, aber mit etwas Glück tatsächlich in einem Kleefeld zu finden. Carmen Hahn hat sich mit einer Schulklasse ins Gras gesetzt – und geduldig gesucht. Das Ergebnis: Die Jugendlichen haben gleich mehrere vierblättrige Kleeblätter entdeckt. Sogar die Autorin fand eines und hat sich riesig Freude. Ihr Tipp: "Schau' genau hin und gib nicht so schnell auf."
Mini-Abenteuer 2: Spontane Boden-Expedition
Unter Steinen ist es feucht und kühl. Um sich vor der Sonne und vor Feinden zu schützen, verstecken sich viele Bodenlebewesen unter Steinen. Eine schöne Erfahrung für Kinder: Spontan eine Boden-Tierexpedition beginnen. Im Park, neben dem Beet oder im Wald verschiedene Steine anheben und sich überraschenlassen, was darunter kriecht und krabbelt: Oft sind das Regenwurm, Schnecke, Spinne, Assel oder Saftkugler.
Mini-Abenteuer 3: Ein unterschätztes Wunderkraut
Brennnesseln werden bis in den September hinein geerntet. Die haarigen Blätter werden frisch oder trocken mit kochendem Wasser übergossen – für einen Brennnesseltee. Denn die Brennnessel ist kein Unkraut, sondern gilt als Wunderkraut, dessen Wirkung seit der Antike bekannt ist. Die Pflanze stärkt das Immunsystem und hilft bei Schlafstörungen, Allergien oder Rheuma. Carmen Hahn hat sogar geschnittene Brennnesselblätter im Vanillepudding mitgekocht. Geröstete Brennnesselsamen streut sie über ihren Salat.
Mini-Abenteuer 4: Die Natur aufräumen
Wegwerfen geht schnell: Doch Plastikreste, Glasflaschen und Zigarettenstummel sind Menschenspuren, die nicht in die Natur gehören. Eine Plastikflasche ist erst nach circa 450 Jahren zersetzt und verschwunden. Glas kann dafür bis zu einer Million Jahre brauchen. Starten Sie ein Putzevent, einen "Clean-up" mit Freunden, ob in der Straße, in der man wohnt, im nächsten Park, am See oder am Strand. "Jeder der Müll aufhebt ist Vorbild", meint Carmen Hahn: "Hebe ich einen Kronkorken auf und trage ihn zum nächsten Mülleimer, hat das eine Wirkung auf meine Mitmenschen. Manch einer denkt sich: "Die hat das aufgehoben? Das hätte ich mal machen können."
Mini-Abenteuer 5: Weg mit dem Handy
Eine Studie hat ermittelt, dass wir im Durchschnitt vier Stunden mit unserem Smartphone beschäftigt sind: Im Wartezimmer, im Bus, in der Bahn selbst auf dem Weg durch die Stadt oder bei einem Treffen mit Freunden. Viele ertappen sich beim blinden Umherlaufen, den Kopf Richtung Boden auf das flimmernde Display gerichtet. "Lenke deinen Blick doch einmal vom Handy zum Himmel. Suche dir einen ruhigen Platz auf der Wiese. Lege dich dort hin und richte deine Augen zu den Wolken", schlägt Carmen Hahn vor. Mit etwas Fantasie erkennt man Wolkenformationen, kann Geschichten in ihnen lesen – und selig abschalten.
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