Kirchenasyl in München: Schwule Ukrainer finden Zuflucht bei Pfarrvikar

Die Ausnahmeregelung gilt für sie nicht, weil sie weit vor dem 24. Februar in Deutschland ankamen. Sie sollten deswegen zurück nach Tschechien. Ihre letzte Rettung: Kirchenasyl in München.
von  Rosemarie Vielreicher
Priester Wolfgang Rothe hat für die Männer Kirchenasyl erreicht.
Priester Wolfgang Rothe hat für die Männer Kirchenasyl erreicht. © Felix Hörhager/dpa

München - Liebe kann das Schönste im Leben sein. Oder lebensbedrohlich. Zwei schwule Männer aus der Ukraine fühlten sich in ihrer Heimat bedroht, sie wollten weg. Um offen homosexuell leben und heiraten zu können. Ohne Angst, ohne Diskriminierung.

Angst vor Abschiebung nach Tschechien

Doch die Verlobten, beide Mitte 20, erreichten Bayern Monate vor dem russischen Angriffskrieg am 24. Februar – und mussten bis vor Kurzem ihre Abschiebung nach Tschechien fürchten. Das Land, in dem sie zuerst die EU erreichten. Das schilderte Stephan Theo Reichel vom Nürnberger Verein Matteo e.V. der AZ Anfang August.

Er kümmert sich in Bayern vonseiten der evangelisch-lutherischen Kirche um Kirchenasyl. Reichel wollte die beiden Ukrainer schützen und ihren Namen deswegen nicht in der Zeitung lesen. Einer der beiden sei schüchtern, der andere extrovertiert, beschrieb er sie. Und beide seien sehr verliebt.

Fluchtgeschichte der schwulen Ukrainer

Ihre Fluchtgeschichte: Im Oktober 2021 war das Pärchen mit dem Flugzeug nach Prag gekommen. Doch dort fühlten sie sich als Homosexuelle nicht sicher, fürchteten zudem eine Abschiebung in die Ukraine. Sie reisten weiter nach Deutschland und kamen dort noch im selben Monat an – fast genau vier Monate vor Kriegsausbruch in ihrer Heimat.

Die Rechtslage in Bayern

Nun war die Rechtslage laut Bayerischem Innenministerium aber so: Ukrainer haben einen Anspruch auf vorübergehenden Schutz, wenn sie am oder nach dem 24. Februar infolge der militärischen Invasion Russlands aus der Ukraine vertrieben wurden. Das teilte eine Sprecherin der AZ mit.

Der Schutz wurde ausgedehnt

Das Bundesinnenministerium hat den Schutz auch auf Menschen ausgedehnt, die nicht lange vor dem 24. Februar aus der Ukraine geflohen sind oder die sich kurz davor etwa im Urlaub oder aus Arbeitsgründen in EU-Gebiet oder einem Drittstaat aufgehalten haben und nicht zurückkönnen.

Negativer Bescheid vom Bamf

Die Krux: Der Zeitraum liegt bei höchstens 90 Tagen vorher. Das trifft auf das homosexuelle Paar nicht zu, sie waren schon länger in der EU – der Dublin-III-Verordnung nach ist Deutschland somit nicht für sie zuständig, sondern Tschechien. Bescheid vom Bamf: negativ.

Wenig Verständnis für die Entscheidung

Reichel konnte die drohende Abschiebung nach Tschechien, aus seiner Erfahrung ein Land, das teils rabiat mit Flüchtlingen umgeht, nicht nachvollziehen. "Wir hatten mehrere Fälle von Menschen, die dort ins Gefängnis kamen." Tschechien sei in der Hinsicht "in guter Gesellschaft" mit Polen, Ungarn, Bulgarien oder auch Rumänien. "Der große Skandal ist eigentlich, dass Deutschland überhaupt in diese Länder abschiebt, obwohl man genau weiß, was dort los ist."

Rothe organisiert ihnen kirchlichen Schutz

Reichel versandte einen Aufruf an Priester. Mit der Bitte um Kirchenasyl für die beiden. Damit versuchen Christen, Migranten in Einzelfällen mehr Zeit für ein ausführliches Rechtsverfahren zu schaffen. In einer digitalen Informationsschrift erklärt Pro Asyl die Rechtslage: "Das Dublin-Verfahren gibt bestimmte Fristen für die Durchführung der Abschiebung in den zuständigen Staat vor (Überstellungsfrist). Läuft die Frist ab, ohne dass es zu der Abschiebung gekommen ist, geht die Zuständigkeit auf Deutschland über."

Münchner Pfarrer setzt sich für queere Rechte ein

Einer, der daraufhin versucht hat, alle Hebel in Bewegung zu setzen, war der katholische Priester Wolfgang Rothe aus München. Er ist ein erklärter Kämpfer für queere Rechte, hat auch ein Buch herausgegeben mit Erfahrungen verschiedenster Menschen zu Homosexualität in der katholischen Kirche.

Kirchenasyl in der eigenen Pfarrei

An einem einzigen Tag führte der Pfarrvikar 74 Telefonate in der Sache, erkundigte sich, fragte herum, um dann – selbst für ihn überraschend – Kirchenasyl in seiner eigenen Pfarrei erwirken zu können. Eine dort frei gewordene Ein-Zimmer-Wohnung wurde für die beiden Männer der letzte Anker in Deutschland.

Monatelang mussten sie ausharren

Bis zum Ablauf der Überstellungsfrist mussten sie dort seit August ausharren. Diese ist nun vorbei. "Die beiden haben nun Bescheide vom Bamf bekommen, dass das Asylverfahren in Deutschland durchgeführt wird", so Rothe. "Alles hat wunderbar funktioniert, es waren super Burschen, sehr ordentlich", erzählt Rothe der AZ.

Quasi Hausarrest

Bis zum Ablauf der Frist durften die beiden das kirchliche Grundstück nicht verlassen (Rothe erledigte die Besorgungen für sie) – sie versuchten, über das Internet zu studieren, sich zu beschäftigen. Irgendwann sei ihnen schon auch die Decke auf den Kopf gefallen. "Es war hart, zwei junge Leute im besten Alter, eingesperrt."

Umzug in eine Asylbewerberunterkunft

In der vergangenen Woche stand nun der Umzug in eine Asylbewerberunterkunft an, damit das Asyl-Verfahren beginnen kann. Ein wichtiger Schritt, wenn auch mit gemischten Gefühlen: In der Gemeinschaftsunterkunft müssten sie nun mit noch mehr Menschen auf engem Raum leben, hätten auch Angst vor Homophobie, so Rothe.

"Ich war ziemlich fertig, die beiden mit ihren Koffern vom Grundstück gehen zu sehen – in eine ungewisse Zukunft. Zu wissen, die beiden haben kein Zuhause, nirgendwo auf der Welt. Das ist mir sehr nahe gegangen."

"Ich danke dem katholischen Büro Bayern und dem Staat"

Rothe, für den Kirchenasyl zuvor Neuland war, ist dankbar für die Hilfe, die er erhalten hat: "Ich bin sowohl dem katholischen Büro Bayern sehr dankbar für die Unterstützung als auch dem bayerischen Staat, der das akzeptiert. Ich finde es großartig, dass unser Staat, der ein Rechtsstaat ist, der Barmherzigkeit Raum lässt."

Aktuell wird nicht in die Ukraine abgeschoben

Es gebe Vereinbarungen zwischen Staat und Kirche, an die man sich beim Thema Kirchenasyl halten müsse – das habe er getan. Und damit müsse er keine Probleme fürchten. Unabhängig davon, wie der Asylbescheid für die beiden ausfällt, schiebt Deutschland derzeit nicht in die Ukraine ab.

Mehr Schutz für queere Menschen

Zudem ist in der Zwischenzeit eine neue Dienstanweisung der Ampel-Koalition in Kraft getreten, die queere Menschen besser wertschätzt und schützt. Die Männer hatten zuvor keine Chance, jetzt eine gute. Rothes Fazit: "Das Kirchenasyl hat sich gelohnt."

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