Kinderwagen im Bus: "Da draußen herrscht Krieg!"

Ausgebremst, angefeindet, eingeklemmt, ausgesperrt und im Regen stehen gelassen: Was eine junge Mutter mit Baby und Buggy erlebt, wenn sie mit dem MVG-Bus fährt.
Thomas Gautier |
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Melanie M. mit Tochter Lisa und Kinderwagen: Kommt sie rein? Foto: Petra Schramek
Melanie M. mit Tochter Lisa und Kinderwagen: Kommt sie rein? Foto: Petra Schramek

MÜNCHEN - Drei Monate Busfahren. Klingt unspektakulär. Tausende nutzen die Busse der MVG jeden Tag. Klappt gut – es sei denn, man ist mit dem Kinderwagen unterwegs, sagt Melanie M.
Heute meidet die Kanzleiangestellte (29) Busse. Von Mitte März bis Mitte Juni fuhr die Alleinerziehende jeden Morgen von Obermenzing mit den Linien 143, 51/151 oder 160 zum Laimer Platz.

Dort ist die Kinderkrippe ihrer Tochter Lisa (neun Monate) , die sie im Kinderwagen chauffierte. Danach ab zur Arbeit. Abends dasselbe zurück.
In dieser Zeit wurde Melanie M., so sagt sie, im Regen stehen gelassen, angepöbelt, ausgesperrt und ausgebremst.

Verständnis seitens der Fahrgäste? Hilfe vom Fahrer? Oftmals leider nicht. „Es herrscht Krieg da draußen“, sagt die junge Mutter. Was sie erlebt hat, schildert sie in der AZ:

 




AUSGESPERRT: „Das größte Übel sind leider die anderen Fahrgäste: Sie stehen im Bereich der Türen, der für Kinderwagen und Behinderte reserviert ist. Reinkommen ist schwer bis unmöglich. Niemand macht Platz, niemand hilft! Ich habe auch von Behinderten gehört, dass keiner Rücksicht nimmt.“

 

 




ANGEFEINDET: „Manchmal frage ich mich, was mit der Gesellschaft los ist. Hilfe bekomme ich nie. Am Pasinger Bahnhof zeigte mir jeder die kalte Schulter. Keiner half, den Kinderwagen die Treppe hochzutragen. „Nehmen’S halt den Aufzug“, hörte ich – oder: „Ich kann grad nicht.“ Wenn ich jemanden bat, Platz zu machen, hörte ich: „Bleiben’S halt da stehen.’ Andere musste ich buchstäblich zur Seite schieben.

Einmal wollte ich einem Mann mit einem weinenden Kind an der Hand helfen – ein anderer stand in der Tür und machte keine Anstalten, wegzugehen. Ich war sauer, schob ihn weg. Er hätte mir fast eine geknallt. Das habe ich in seinen Augen gesehen.“


 

EINGEKLEMMT: „Mein Kinderwagen wurde drei Mal in der Eingangstür eingeklemmt. Einmal, im 143er Bus an der Maria-Ward-Straße, musste ich warten, bis alle eingestiegen waren. Als der Kinderwagen in der Tür war, ging sie zu. Der Kunststoff knackte, der Schirm wurde richtig zusammengedrückt. Lisa war da drin!

Ich hatte höllische Angst um sie. Statt sich zu entschuldigen, sagte der Busfahrer, ich solle nicht so böse schauen. Das Gleiche am Laimer Platz, ein drittes Mal in Pasing.“

 


 

AUSGEBREMST: „Manche Busfahrer verwechseln ihren Bus wohl mit einem Rennwagen. Sie fahren teilweise weit über Tempo 50, bremsen scharf, fahren zu schnell in die Kurven.
Im 51er sei eine alte Dame auf Lisas Kopf gefallen, weil der Fahrer an der Ampel scharf bremsen musste und ruckartig anfuhr: „Ich konnte sie gerade noch abfedern.

Im 143er stieg eine Frau mit ihrem vierjährigen Sohn an der Hand ein. Der Bus fuhr plötzlich los, eine Frau fiel dem Buben aufs Bein. Er schrie wie am Spieß, wir dachten, sein Oberschenkel sei gebrochen. Das hat mich total schockiert.

Im 143er fiel auch mein Kinderwagen fast um: Ich war gegen 12 Uhr auf dem Weg zur Kita. Bei der Wende vor der Haltestelle Botanischer Garten fuhr der Fahrer zu schnell, der Wagen kippte, ich konnte ihn in letzter Sekunde auffangen. Als ich mich mehrmals beschwerte, drohte der Fahrer, mich rauszuwerfen. Ich bin rot angelaufen und dachte: Da fehlt’s grad komplett.“

 




IM STICH GELASSEN: „Oft senken die Fahrer den Bus nicht ab – dabei gibt es extra eine Vorrichtung dafür. Als ich an der Aindorfer Straße in Laim einen Busfahrer darum bat, fragte er mich: ,Wo ist der Knopf dafür?’ Ich frage mich: Werden die richtig ausgebildet? An der Wöhlerstraße in Obermenzing (Linie 143) ist der Abstand vom Bus zur Straße so hoch, dass Lisa mehrmals fast Kopf stand, als ich den Kinderwagen raufhievte.

 

 




IM REGEN STEHEN GELASSEN: „Einmal stand ich an der Dorfstraße in Obermenzing. Es schüttete wie aus Eimern! Ich, der Kinderwagen – patschnass. Der Doppelbus war voller Schulkinder. Sie standen direkt im Türbereich, dabei war weiter hinten der Bus halbleer. Sie ließen mich nicht hinein, der Bus fuhr weiter! Der Fahrer tat nichts.

 

Ich musste schnell weiter, der nächste Bus wäre aber erst in 20 Minuten gekommen. Also lief ich nach Pasing. Eine halbe Stunde lang im Dauerregen.
Regelmäßig musste ich bis zu drei Busse lang warten, bis ich einsteigen konnte – eine Mutter erzählte mir von ihrem Rekord: Sie kam erst im fünften Bus rein. Teilweise war ich für 20 Minuten Autofahrt eineinhalb Stunden unterwegs.“

Die MVG kann zu den einzelnen Vorwürfen nicht detailliert Stellung nehmen. „Wenn wir von Frau M. alle notwendigen Daten genannt bekommen, werden wir kritisierte Fahrer ermitteln und in einem persönlichen Gespräch mit dem jeweiligen Vorkommnis konfrontieren. Das gilt insbesondere für den Vorwurf des Einklemmens“, sagt Sprecher Christian Miehling.

Generell achte man bei der MVG auf einen „umsichtigen“ Fahrstil, der auch regelmäßig kontrolliert werde. Bei vollen Bussen könne es passieren, dass ein Zustieg mit Kinderwagen nicht möglich ist. „Der Fahrer kann an der Haltestelle ja nicht aussortieren, wer einsteigen muss und wer mitfahren darf“, sagt Miehling.

Dass der Kinderwagen durch die Fahrweise des Fahrers fast umgefallen wäre, entbinde Melanie M. im übrigen nicht von der Pflicht, ihn gegen Wegrollen und Umfallen zu sichern. Miehling: „Der Hinweis des Busfahrers auf diese Pflicht war also berechtigt.“

Übrigens: Melanie M. fährt nicht mehr Bus. Sie hat sich ein Auto gekauft.

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