Kind stürzt in Baugrube - und keiner ist dafür verantwortlich

Ein fünfjähriger Bub ist nach einem Sturz in eine Baugrube schwerbehindert. Im Zaun war ein Loch - doch niemand auf der Anklagebank fühlt sich für die Sicherheit der Baustelle verantwortlich.
von  Abendzeitung
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MÜNCHEN - Ein fünfjähriger Bub ist nach einem Sturz in eine Baugrube schwerbehindert. Im Zaun war ein Loch - doch niemand auf der Anklagebank fühlt sich für die Sicherheit der Baustelle verantwortlich.

Die Gesichter auf der Anklagebank versuchen angestrengt, nicht zu betroffen zu wirken, als der kleine Finn (alle Namen geändert) in den Saal des Amtsgerichts München gefahren wird. Es gelingt ihnen nicht ganz.

Sie sind angeklagt, für die schweren Behinderungen des Achtjährigen verantwortlich zu sein – als Bauauftrageber, Bauleiter und Sicherheitskoodinator der Baustelle, auf der Finn, damals fünf Jahre alt, im April 2006 seinen schlimmen Unfall hatte. "Bedauernswert", wird Elke S. später, zu dem Zustand ihres Sones befragt, aussagen.

Finn wohnt mit seiner alleinerziehenden Mutter Elke S. und seiner Zwillingsschwester Luisa im Erdgeschoss eines Wohnhauses in Laim. Ihr Vermieter Wolfgang N., Besitzer des Hauses, gab einer Baufirma den Auftrag, auf dem angrenzenden Grunstück ein weiteres Wohnhaus zu bauen. Die Baustelle grenzte direkt an den Garten, in dem Finn und Luisa oft spielten.

Die Baustelle war umzäunt – schlampig. „Das ist doch haarsträubend, das muss ich ganz deutlich sagen!“, kommentierte Richter Jung, „da muss sich doch jemand drum kümmern!“ Auf der Anklagebank fühlt sich keiner Zuständig für die Versäumnisse, die zu dem tragischen Unfall führten.

„Ich habe Wolfgang N. mehrmals darauf hingewiesen, dass im Zaun Löcher sind“, sagt Finns Mutter Elke S. Nur das Loch, dass durch einen schrägen Zaunpfosten hinter dem Gartenhäuschen entstanden war, hatte sie nicht gesehen. Direkt an der Grenze ging es steil nach unten in die Baugrube.

Der Junge wird sein Leben lang auf Hilfe angewiesen sein

„Ich machte die Wäsche, die Kinder spielten im Garten“, erzählt die 42-jährige alleinerziehende Mutter über die Stunden, die ihr Leben veränderten. Finn fiel durch das Loch im Zaun, stürzte zwei bis drei Meter und schlug seinen Kopf an einem Betonpfeiler an.

Damals empfahlen die Ärzte im Krankenhaus, den Achtjährigen gleich als Wachkomapatienten in einem Pflegeheim anzumelden. Heute kommt Finn in die dritte Klasse einer Förderschule. Er hat ein schweres Schädelhirntrauma. „Sein Zustand ist bedauernswert“, sagt Elke S. Er kann kaum laufen, seine Augen nicht bewegen, nicht schreiben oder ein Glas halten. Er spricht verlangsamt, ist kognitiv eingeschränkt. Durch die Nahtoderfahrung hat er Angstzustäde. „Mami, wann bin ich wieder normal?“ fragt er oft. Finn wird nie ein selbstständiges Leben führen können. Verantwortung für sein Schicksal will niemand übernehmen.

Dem Bauleiter sei zugesichert worden, dass er für die Sicherheit vor Ort nicht zuständig sei, sagte dieser aus – schließlich war er nur zweimal pro Woche vor Ort und betreute noch vier weitere Objekte. Der angebliche Sicherheitskoordinator war nur für die Zeit des Rohbaus mit der Baustelle beauftragt, auch er sollte angeblich nur die Aufgaben vor Ort verteilen und überwachen, für die Sicherheit will er nicht verantwortlich gewesen sein, „beim besten Willen nicht.“ Niemand hätte ihn damit beauftragt, sagte er aus.

Der Bauauftraggeber Wolfgang N. will von Zaunmängeln nichts gewusst haben. „Jeder schiebt die Verantwortung auf den anderen ab“, ärgerte sich Richter Thomas Jung. Das Verfahren wurde eingestellt, die Angeklagten müssen Geldbußen zahlen. "Es ist aber mit weiteren Verfahren zu rechnen", so Richter Jung - dann wird wohl auch der Chef der Baufirma auf der Anklagebank sitzen.

Laura Kaufmann

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