Keine neue Spur im Isarmord-Fall: Verbrechen bleibt weiter ungeklärt
Update vom 26. Juni
Der Mann, der in der Müllerstraße eine Radlerin geschubst hat, scheidet als "Isarmörder" aus. Wie die Staatsanwaltschaft München I der AZ mitteilte, habe das die Untersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin ergeben. Diese habe ergeben, "dass der Tatverdächtige 'Müllerstraße' als Tatverdächtiger für den 'Isarmord' ausscheidet", so die Sprecherin, Oberstaatsanwältin Anne Leiding.
Ursprungsmeldung vom 22. Juni
München - Auf den ersten Blick sind es zwei sehr unterschiedliche Gewaltdelikte: Der Mord an dem Ingenieur Domenico Lorusso († 31) vor zehn Jahren – und eine Attacke gegen eine Radfahrerin (46) vor einer Woche im Gärtnerplatzviertel. Doch nach Recherchen der Abendzeitung gibt es auffallende Parallelen zwischen beiden Fällen. Sie könnten dafür sprechen, dass es sich um denselben Täter handelt. Darauf hat die AZ am vergangenen Wochenende sowohl die Mordkommission als auch die Staatsanwaltschaft hingewiesen.
Nun hat die Polizei am Donnerstag bestätigt: "Eine Überprüfung des Tatverdächtigen mit dem Isarmord wird durchgeführt", so Polizeisprecher Werner Kraus am Donnerstag. Ein richterlicher Beschluss, damit dem Verdächtigen eine Speichelprobe entnommen werden darf, sei bereits veranlasst – so der Sprecher weiter.
Gewalttätiger Verdächtiger war bereits polizeibekannt
Bei dem Verdächtigen handelt es sich um einen 35-Jährigen aus dem Gärtnerplatzviertel. Er war bereits polizeibekannt. Insgesamt hat er mehr als zehn Einträge, darunter Körperverletzung, Bedrohung und Diebstahl. Der Mann gilt als psychisch auffällig und gewalttätig.
Nach dem Angriff auf die 46-Jährige in der Müllerstraßeblieb der 35-Jährige zunächst auf freiem Fuß. Erst nach intensiven Ermittlungen, und nachdem der Mann erneut aggressiv auffiel, kam die Wende: "Aufgrund der Gesamtumstände und nach Zeugenbefragungen wurde der Verdächtige am 21. Juni durch die Polizei wegen Gemeingefahr zwangsweise in eine psychiatrische Klinik eingewiesen", so Polizeisprecher Werner Kraus. Dort befindet sich der Verdächtige in einer geschlossenen Abteilung.
Ob es sich bei dem Gewalttäter von der Müllerstraße tatsächlich um den Mörder von Domenico Lorusso handelt, wird ein DNA-Abgleich zeigen.
Eine Spuck-Attacke führte vor mehr als zehn Jahren zum Isarmord
Auffallend sind diese Parallelen und Ähnlichkeiten zwischen beiden Fällen: Sowohl an der Isar als auch in der Müllerstraße richtet sich die Aggression des Täters gegen eine Radfahrerin. Domenico Lorusso und seine Verlobte (28) fahren am 28. Mai 2013 auf ihren Rädern abends mit Licht und hintereinander den Isarradweg entlang. Sie kommen vom Gärtnerplatz. Die Verlobte fährt hinter ihrem Freund. Plötzlich spuckt ein Fußgänger der vorbeiradelnden Frau grundlos ins Gesicht. Sie fährt zunächst weiter, holt ihren Verlobten ein, erzählt ihm, was passiert ist.
Domenico Lorusso dreht um, will den Mann zur Rede stellen. Wenige Augenblicke später bricht er nach einem Stich ins Herz tödlich verletzt zusammen. Der Täter geht ruhig in Richtung Corneliusbrücke davon.
Attacke in der Müllerstraße in der vergangenen Woche
Auch die Radfahrerin (46) in der Müllerstraße wird völlig unvermittelt angegriffen. Die Münchnerin radelt am vergangenen Donnerstag, gegen 15.45 Uhr mit Tempo 20 in Richtung Isartor. Später berichtet sie der AZ, der Mann habe sie mit den Augen fixiert. Dann sei er plötzlich auf die Straße getreten, habe ihr einen heftigen Stoß versetzt.
Die Münchnerin stürzt auf die Straße, bricht sich dabei den rechten Arm, verletzt sich an der linken Hand, erleidet Prellungen, Platzwunden und eine leichte Gehirnerschütterung. Eine herannahende Tram kann noch rechtzeitig bremsen.
Den Täter scheint all das nicht zu interessieren. Er kümmert sich nicht um die Verletzte, geht scheinbar völlig unbeteiligt weiter in die Hans-Sachs-Straße. Eine Augenzeugin verfolgt ihn bis in die Fraunhoferstraße, dort tritt ihr der Mann brutal in den Bauch.
Beide Tatorte befinden sich in der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, sind nur 1.200 Meter voneinander entfernt.
Isarmord: Polizisten gingen zunächst von Unfall aus
Im Fall Müllerstraße kann die Polizei den mutmaßlichen Täter schnell ausfindig machen. "Der Tatverdächtige wurde anhand von Fotos identifiziert, die Zeugen gemacht haben", so Polizeisprecher Werner Kraus. Andere Polizisten erkennen ihn wieder. Der 35-Jährige wohnt in der Nähe beider Tatorte in der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt.
Doch die Tat in der Müllerstraße wird von der Polizei zunächst nicht sehr intensiv verfolgt. Als die Polizeibeamten am Donnerstag bei der verletzten Frau eintreffen, gehen sie vermutlich zunächst von einem "normalen" Unfall aus. Auch das ist eine Parallele zum Mordfall Lorusso.

Die ersten Polizisten, die vor zehn Jahren am Isarradweg auf Höhe des Deutschen Museums eintrafen, sahen ein Rad am Boden, daneben einen verletzten Mann. Im ersten Moment war naheliegend, dass hier ein Fahrradunfall passiert ist. Domenico Lorussos Bruder erhob damals Vorwürfe gegen die Polizei, sie hätte nicht schnell genug nach dem Mörder gefahndet.
Vom Isarmörder gibt es nur eine vage Personenbeschreibung
Der Angriff gegen die Frau in der Müllerstraße wird von der Verkehrspolizei aufgenommen. Zunächst wird nicht sehr intensiv ermittelt. Der Tatverdächtige erhält zwar eine sogenannte Gefährderansprache, bei der er über die Konsequenzen seines Tuns belehrt wird, aber er bleibt frei. Die Zeugen werden erst in der darauffolgenden Woche vernommen.
Der 35-Jährige passt genau ins Muster der Personen, die von der Polizei im Mordfall Lorusso bislang routinemäßig überprüft wurden. Dazu gehören psychisch auffällige Gewalttäter, Vorbestrafte, Spucker und aggressive Männer, die dadurch auffallen, dass sie sich unvermittelt und willkürlich an anderen Personen "abreagieren", die ihnen zufällig über den Weg laufen. Auch die vage Personenschreibung von Lorussos Mörder würde passen: Demnach war der Mörder etwa 1,80 Meter groß, körperlich stark und wendig.
In den vergangenen Tagen fallen auch den ermittelnden Polizisten die Parallelen zum Fall Lorusso auf. Sie ermitteln im Fall Müllerstraße wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und Körperverletzung gegen den 35-Jährigen.

Nach erneuter Attacke: Verdächtiger wegen Fremdgefährdung zwangseingewiesen
Am Mittwoch fällt der 35-Jährige erneut durch aggressives Verhalten auf – und dieses Mal handelt die Polizei sofort, um die Bevölkerung vor ihm zu schützen. Sie lässt den Verdächtigen wegen Fremdgefährdung zwangseinweisen. "Die Anordnung wurde mittlerweile richterlich bestätigt", sagte Werner Kraus am Donnerstag zur AZ.
Ob der 35-Jährige auch der Mörder von Domenico Lorusso ist, wird sich bald klären. Vermutlich bekommt er spätestens an diesem Freitag Besuch in der geschlossenen Psychiatrie. Von Polizisten, die Wattestäbchen dabei haben. Freiwillig abgeben wollte der Mann eine Speichelprobe mit seinem DNA-Material nicht.
Die Ermittlungen im Fall Lorusso: Speichelproben von 5.800 Personen
Auf der Suche nach dem Mörder von Domenico Lorusso hat die Polizei zahlenmäßig eine ganze Kleinstadt überprüft: mehr als 20.000 Männer. Darunter Anwohner im Alter von 16 bis 65 Jahren, 7.500 Handynutzer, die in der Nähe eingeloggt waren, Kneipenbesucher, Obdachlose, Vorbestrafte, psychisch Auffällige und Konzertbesucher.
Außerdem wurde mehr als 400 Meldungen nachgegangen zu Personen, die durch Spucken aufgefallen waren. 5.800 Personen gaben Speichelproben ab. 1.000 Hinweisen wurde nachgegangen. Doch kein Hinweis und keine Personenüberprüfung führte bislang zum Täter. In der Soko Cornelius (der Täter flüchtete in Richtung Corneliusbrücke/Corneliusstraße) arbeiteten anfangs bis zu 30 Beamte. Die Soko ist inzwischen aufgelöst, weiter ermittelt wird trotzdem.
Seit Ende Mai steht am Tatort an der Erhardtstraße ein großes Plakat mit einem Foto von Domenico Lorusso und der Frage: "Wer hat mich hier ermordet?" Die Polizei erhofft sich davon neue Hinweise.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde mit neuen Informationen aktualisiert, die Ursprungsfassung des Artikels erhielt dadurch keine weitergehenden Änderungen.