Kardinal Marx: "Großartig, was die Jugend bringt"

Der Kardinal spricht im Presseclub über den Krieg in der Ukraine, die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs, über Klimakleber und seine Besuche mit Christstollen bei zwei Päpsten in Rom.
von  Nina Job
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising bei einer Predigt im Münchner Liebfrauendom. (Archivbild)
Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising bei einer Predigt im Münchner Liebfrauendom. (Archivbild) © imago images/Friedrich Stark

München - Zum Jahresende spricht Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising, traditionell im Presseclub am Marienplatz und beantwortet dabei auch Fragen von Journalisten. Nach zweijähriger Corona-Pause hat der Besuch am Montag wieder stattgefunden. Der Kardinal reagierte verärgert und dünnhäutig über Kritik aus der Politik, die katholische Kirche habe bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals zu wenig getan. Marx sagte, er wisse "keinen Bereich, wo ansatzweise so viel gemacht wurde".

Beratungsstellen für Betroffene - nicht nur in der Kirche

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) hatte sich kürzlich für höhere Entschädigungszahlungen ausgesprochen und die Einrichtung einer Ombudsstelle für Betroffene befürwortet. Marx sagte, wenn er eine solche Stelle einrichten sollte, dann nicht nur für die Kirche, "sondern für alle". Die Politik habe "bisher nichts unternommen". Sie müsse auch alle anderen Bereiche in den Blick nehmen. Reinhard Marx sprach auch über den Krieg in der Ukraine, Klimakleber und Besuche beim Papst - die Schlaglichter:

Kardinal Marx über politische Themen

Krieg in der Ukraine
"Ein Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit, es gibt gerechtfertigte Verteidigung, selbstverständlich. Aber jeder Krieg ist brutal auf allen Seiten. Und hat unschuldige Opfer, immer, überall. Es ist ein Zusammenbruch der Zivilisation in vielen Bereichen. Deswegen sollte man nicht in einen falschen Heroismus verfallen und eine Rhetorik wiederaufnehmen, die dem schrecklichen Geschehen eines Krieges nicht angemessen ist. Man muss alles dafür tun, um möglichst bald die Waffen schweigen zu lassen. An jedem Tag sterben unschuldige Menschen, ich finde das unerträglich."

Missbrauch
"Das große Thema des Missbrauchs steht weiter im Fokus - mit Erkenntnissen, die erschüttern, aber auch mit Maßnahmen, die ergriffen werden. Wir haben seit zwölf Jahren einen intensiven Weg beschritten. Das wird manchmal zu wenig gesehen." Marx sagt: "Wir können das Leid, das viele erlitten haben, nicht wiedergutmachen. Trotzdem treibt es mich natürlich um."

Kirche handelt bei geringstem Verdacht

Sextäter im Amt
Marx wird gefragt, warum Kirchenmänner, die des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wurden, weiterbeschäftigt werden. Der Kardinal reagiert aufgebracht: "Mit welchen Recht wird behauptet, dass die Kirche heute noch Mitarbeiter beschäftigt, die Kinder missbrauchen? Wo? Das ist nicht der Fall! Was machen wir denn seit zwölf Jahren, wird das nicht gelesen, nicht wahrgenommen?" Bei einem Verdacht werde die Tat angezeigt, dies sei ein normales Verfahren, erst das staatliche, dann das kirchenrechtliche.

Politikschelte
Der Politik wirft Marx mit Blick auf die Aufarbeitung sexuellen Missbrauch Untätigkeit vor. Sie müsse alle Bereiche in den Blick nehmen - nicht nur die Kirche. Bis heute gebe es in Deutschland keine Pflicht, dass Arbeitgeber verdächtige Beschäftigte anzeigt. "Da hat der Staat seit 2010 nichts getan, das kann er gerne tun."

"Eifer und Leidenschaft": die Letzte Genertion

Letzte Generation
Über die Klimaschutzbewegung sagt Marx: "Es freut mich, dass das Bewusstsein heller und wacher ist als vor 20 Jahren. Die Formulierung 'letzte Generation' gefällt mir nicht, das Leben geht immer weiter." Protest solle "im Rahmen des Rechtsstaats" geschehen, er könne aber "den Eifer und die Leidenschaft durchaus nachempfinden". Weiter sagte er: "Der Papst hat sich klar geäußert, dass er auf der Seite derer steht, die Schöpfung bewahren will." Er selbst findet "es großartig, was die junge Generation in den letzten Jahren auf den Weg bringt".

Synodaler Weg
"Wir müssen einen Weg nach vorne finden unter stärkerer Beteiligung aller Gläubigen. Das ist ganz klar", sagt Marx. Es werde ein längerer Weg. Nun werde erstmal ein Synodalauschuss eingerichtet. Wichtig sei, "die Beteiligung des ganzen Gottesvolkes am Weg der Kirche offener zu gestalten". Das Spezifische an einer synodalen Kirche sei Einmütigkeit und dabei die Tradition zu respektieren.

Geheimnisse um das "rote Buch"

Rotes Buch
Es soll ein "Rotes Buch" geben, in dem Namen von Opfern und Kirchenmännern stehen, die unter Missbrauchsverdacht stehen. Auf die Frage, warum dieses Buch bis heute unter Verschluss sei, antwortet Marx: "Es war nie daran gedacht, das zu veröffentlichen. Das war datenschutzmäßig nicht möglich. Deswegen haben wir ja diese Kanzlei mit einem Gutachten beauftragt."

Kardinal Woelki
Der Kardinal wird gefragt, ob er nicht "leide wie ein Hund", dass Kardinal Woelki in Köln nach zahlreichen Skandalen immer noch im Amt ist. Marx sagt dazu: "Wir müssen sowohl die Frage, wie jemand in ein Amt kommt, transparenter gestalten" als auch diejenige, wie man sich gegebenenfalls von einem Bischof trenne. Marx sagt über das Wirken seines Kollegen in Köln: "Ich höre auch, dass die Situation schwer erträglich ist."

Christstollen für den Papst emeritus

Papstbesuch
Im September hat Marx den emeritierten Papst Joseph Ratzinger besucht. Er erzählt: "Ich habe ihm Christstollen vorbeigebracht und gebackene Plätzchen von den Schwestern. Ich habe ihn wach erlebt." Auch Papst Franziskus habe er einen Christstollen vorbeigebracht. Franziskus habe "Christstollen" Deutsch ausgesprochen.

Eigener Rücktritt
2021 hatte Marx dem Papst seinen Rücktritt angeboten, um Verantwortung zu übernehmen für institutionelle Versäumnisse im Missbrauchsskandal. Der Papst lehnte ab. Dazu sagte Marx im Presseclub: "Der Papst hat gesprochen, also mach ich's eben weiter." Manchmal hadere er mit seinem Beruf. Selbst wenn er irgendwann in den Ruhestand trete, lasse er die Kirche nicht zurück. "Das ist ja meine Familie. Man leidet ja mit wie ein Hund." Priester würde er immer wieder werden wollen: "Ich kann ohne die Messe nicht leben. Aber ich habe nicht gedacht, dass es so schwer wird."

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