Joggen und Sex: Das Treiben auf den Friedhöfen

Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer mehr Münchner entdecken die Friedhöfe als Freizeit-Oasen. Viele Hinterbliebene fühlen sich in ihrer Trauer gestört. Die Bilder.
Thomas Gautier |
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Ein Sonnenbad auf dem Alten Nördlichen Friedhof - wer sich mehr traut, riskiert eine Menge Ärger.
dpa 6 Ein Sonnenbad auf dem Alten Nördlichen Friedhof - wer sich mehr traut, riskiert eine Menge Ärger.
Gruselig: Bräune tanken neben einem Grabkreuz
dpa 6 Gruselig: Bräune tanken neben einem Grabkreuz
Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Martha Schlüter 6 Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Martha Schlüter 6 Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Schramek/Loeper 6 Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen
Schramek/Loeper 6 Vorbei ist's mit der ewigen Ruhe: Immer Trubel auf den Friedhöfen

Immer mehr Münchner entdecken die Friedhöfe als Freizeit-Oasen. Viele Hinterbliebene fühlen sich in ihrer Trauer gestört

München - Wenn jemand auf dem Friedhof liegt, dann meist unter der Erde. Dieter Pausch hat sich deshalb gewundert, als er die vier nackten Füße sah. Sie ragten aus einem Busch, ineinander verschlungen. Und zuckten. Der Friedhofsaufseher hörte leises Stöhnen – und entdeckte ein nacktes Pärchen. Beim Sex. Mitten am Ostfriedhof.

Pausch wundert heutzutage gar nichts mehr. „Der Respekt vor den Friedhöfen geht immer mehr verloren“, sagt der 57-Jährige. Seit 25 Jahren kümmert er sich auf dem Ostfriedhof um die Gräber, organisiert Bestattungen und pflegt die Wege. Die Ruhe, die einst herrschte, ist vorbei.

Immer mehr Münchner betrachten Friedhöfe nicht mehr als Ort der letzten Ruhe, sondern als Freizeitoase. Jogger zum Beispiel. Viele hecheln über die Kieswege, sagt Dieter Pausch. „So viele wie jetzt waren es noch nie – auf allen Friedhöfen.“ Meistens sind es junge Frauen, die in ihrer Fitnesswut nicht einmal vor Trauerzügen Halt machen. „Die laufen einfach quer davor, und der ganze Zug muss anhalten“, sagt Pausch.


Besonders mittwochs ist es schlimm. Da ist Urnentag auf dem Ostfriedhof – „jede halbe Stunde eine Beerdigung“, sagt Verwalter Rudolf Wimmer. „Dann kommt eine Horde Jogger, lachend, schwitzend, quatschend und läuft mitten durch einen Trauerzug. Das ist extrem verstörend für die Angehörigen.“

Auch viele Radler lassen sich nicht von Trauernden aufhalten. „Die rasen vorm Zug in voller Montur – wie bei der Tour de France“, sagt Pausch. „Manche klingeln sogar.“ Auch hier seien „alle größeren Friedhöfe betroffen. Das hat Überhand genommen.“ Pausch und seine Kollegen sind machtlos: „Den meisten kommen wir gar nicht hinterher.“ Und wenn doch, „sehen sie oft nicht ein, dass sie einen Fehler gemacht haben. Manche werden sogar rabiat.“

Abseits von den Wegen wird es nicht besser. Da geht’s zu wie am Strand – besonders auf Anlagen wie dem West-, Ost- und Waldfriedhof mit ihren großen Wiesen: Schönheiten im Bikini sonnen sich auf Handtüchern, manche gern oben ohne. Familien picknicken auf Decken, Kinder krabbeln auf Grabsteinen herum, manche spielen Federball.

Die Sprecherin der Friedhofsverwaltung, Martina Weinzierl, weiß sogar von Slacklinern, die zwischen Bäumen balancieren – und von Fußballspielen. „Die nutzen die Grabsteine dann als Torpfosten.“ 29 städtische Friedhöfe gibt es in München mit insgesamt rund 250 000 Gräbern. Auf drei von ihnen wird seit Jahrzehnten niemand mehr beerdigt: der Alte Nördliche Friedhof in der Maxvorstadt, der Alte Südfriedhof im Glockenbachviertel und die Kriegsgräberstätte in Großhadern.


Auf dem Alten Nördlichen geht’s trotzdem sehr lebendig zu. „Wenn das Wetter schön ist, ist hier schwer was los“, sagt Gärtner Safet Jugovic. Tagsüber sei der Friedhof voll mit Joggern und Kindergeburtstagen. „Nachts gibt es Partys. Dann finde ich hier Bierflaschen, Schnapspullen, Pizzakartons“ – und abgebrannte Einweggrills.

Umweltreferent Joachim Lorenz, für die Friedhöfe zuständig, ist verärgert über das wilde Treiben auf Gottes Äckern: „Alles wird inzwischen in Beschlag genommen, der gesamte öffentliche Raum. Dieses Gefühl, ich muss alles überall machen können, das geht einfach nicht.“ Mit dem Bezirksausschuss Maxvorstadt will Lorenz jetzt auf dem Alten Friedhof Flyer verteilen und Infotafeln aufstellen, auf denen beschrieben ist, was auf Friedhöfen verboten ist: „Wenn das nicht hilft, müssen wir den Friedhof nachts schließen“, sagt er.

Rudolf Wimmer vom Ostfriedhof will sogar die Polizei um Hilfe bitten. Eine Friedhofstreife wäre ihm zwar am liebsten, doch das geht nicht. Aber „einmal im Monat Kontrolle zur Abschreckung“, sagt Wimmer, „das könnte sich bemerkbar machen


Das ist auf Friedhöfen erlaubt:

Joggen und Radfahren sind laut Friedhofsverwaltung auf Friedhöfen prinzipiell nicht erlaubt. Auch Sport, Partys, Picknicks oder Kindergeburtstage sind verboten. Auf dem Alten Nord- und dem Alten Südfriedhof werden Jogger und Radler von der Stadt höchstens geduldet – noch. Sonnenbaden sei hier nur „in angemessener Kleidung“ erlaubt, so Friedhofsverwaltungssprecherin Martina Weinzierl. Und dann bitte auf einer Decke. Alkohol? Geht gar nicht. Wer radelt, joggt oder feiert, kann wegen einer Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die Geldbußen gehen von fünf bis 1000 Euro – je nachdem, wie gravierend der Vorfall ist. Bisher blieb es aber höchstens bei Verwarnungen. „Ein Bußgeld haben wir bisher noch kein einziges Mal verhängt“, sagt ein Sprecher der Friedhofsverwaltung der AZ.

 

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