"Jeder legt die Regeln zu seinen Gunsten aus"
Sollen Eltern klagen, wenn sie 2013 keinen Krippenplatz kriegen? Was die Expertin rät
AZ: Frau Schönberger, Wenn in einem Jahr der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gilt, rechnen Experten mit bis zu 200000 Klagen bundesweit. Glauben Sie auch an eine solche Klageflut?
EVA SCHÖNBERGER: Nein, grundsätzlich neigt der Großteil der Rechtssuchenden dazu, den Klageweg zu vermeiden. Zu diesem Klageweg kann ich als Rechtsanwältin erfahrungsgemäß auch nicht automatisch raten. Die betroffenen Eltern müssen zunächst alle außergerichtlichen Möglichkeiten und Angebote erfolglos ausschöpfen.
Wer hat einen Rechtsanspruch und worauf konkret?
Laut Kinderförderungsgesetz hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder Kindertagespflege. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Somit hat man nicht automatisch einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz, da sich der Anspruch des Betreuungsumfangs nach den individuellen Bedürfnissen der Familien bestimmt.
Wo klage ich den Anspruch ein?
Das hängt davon ab, was geltend gemacht werden soll. Vor dem Verwaltungsgericht wird nur über den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz gestritten. Eventuelle Schadenersatzansprüche sind vor den ordentlichen Gerichten bzw. Zivilgerichten zu klären.
Was kostet das?
Bei den Zivilgerichten bestimmen sich die Kosten nach dem Streitwert. Insofern hängt das von der Höhe der Schadenersatzforderung ab. Auch vor dem Verwaltungsgericht sind die Gebühren streitwertabhängig. Der so genannte Auffangwert liegt meiner Kenntnis nach bei 5000 Euro, der mindestens anfallen müsste.
Brauche ich einen Anwalt?
Vor den Landgerichten besteht Anwaltszwang, vor dem Verwaltungsgericht nicht.
Gibt es Haken beim Rechtsanspruch? Etwa Entfernungen, die ich akzeptieren muss?
Erst die ersten Gerichtsentscheidungen werden festlegen, welche Entfernungen im Einzelfall zwischen Wohnung, Arbeitsplatz und Krippe zumutbar sein sollen. Dabei wird es sicher auch auf weitere individuelle Umstände in den Familien ankommen – wie Anzahl der Verdiener, Anzahl der zu betreuenden Kinder in der Familie, wirtschaftliche Situation. Insofern kann vermutlich auch jeder Fall anders entschieden werden. Sollte der angebotene Krippenplatz zumutbar sein und der Betroffene ihn nicht annehmen wollen, könnte dies zur Folge haben, dass dieser erloschen ist. In diesem Falle bestünde auch kein Anspruch auf Schadenersatz.
Wenn die Stadt mir keinen Platz anbieten kann, muss sie dann Kosten – etwa für eine Tagesmutter – übernehmen?
Das hängt davon ab, ob ein Schadenersatzanspruch gegeben ist, da der Rechtsanspruch nicht erfüllt wurde. Zunächst muss der Umfang der Betreuung nach dem individuellen Bedarf feststehen. Zudem müssten sich die betroffenen Eltern zunächst um öffentliche und zumutbare Krippenplätze erfolglos bemüht haben. Dabei ist meiner Kenntnis nach offen, in welcher Vorlaufzeit und in welchem Umfang die Eltern sich erfolglos um einen Krippenplatz bemüht haben müssen.
Gibt es Schlupflöcher für die Kommunen?
Das wird auch erst die Praxis zeigen können. Dabei muss auch gefragt werden, wie sich die Übergangsregelung und der stufenweise Ausbau des Förderangebots für Kinder unter drei Jahren auswirken wird. Selbstverständlich wird jeder Beteiligte, also Gemeinden und betroffene Eltern, versuchen, die Regelungen zu seinen Gunsten auszulegen.
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