Interview

"In der Karibik wurde ich schwanger": Münchner segeln um ganze Welt, dann musste er allein zurück

Das Münchner Paar Alina und Thilo Thum hat etwa ein Jahr auf dem Wasser gelebt. Sie segelten auch mehr als drei Wochen über den Atlantik. Nun sind sie wieder an Land.
Hüseyin Ince
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Ankern in der Karibik: Der Tag, an dem das Segler-Paar das erste große Ziel erreicht hat: den Atlantik zu überqueren.
Alina und Thilo Thum 5 Ankern in der Karibik: Der Tag, an dem das Segler-Paar das erste große Ziel erreicht hat: den Atlantik zu überqueren.
Horta, auf den Azoren. Nach altem Brauch verewigen sich alle Segler mit einem Gemälde an der Kaimauer - auch Alina und Thilo.
Alina und Thilo Thum 5 Horta, auf den Azoren. Nach altem Brauch verewigen sich alle Segler mit einem Gemälde an der Kaimauer - auch Alina und Thilo.
Auf der Segelfahrt zurück nach Europa hat Thilo Thum zusammen mit seinem Kumpel Clemens einen 50 Kilogramm schweren Großaugen-Thun geangelt. "Big Game Fishing" nennt sich das.
Alina und Thilo Thum 5 Auf der Segelfahrt zurück nach Europa hat Thilo Thum zusammen mit seinem Kumpel Clemens einen 50 Kilogramm schweren Großaugen-Thun geangelt. "Big Game Fishing" nennt sich das.
Alina Thum, unterwegs mit gehisstem Parasailor-Segel, das Boote angenehm dahingleiten lässt.
Alina und Thilo Thum 5 Alina Thum, unterwegs mit gehisstem Parasailor-Segel, das Boote angenehm dahingleiten lässt.
Zurück in München, auf Kurzbesuch. Die AZ hat Thilo und Alina Thum an der Alten Utting getroffen.
Daniel von Loeper 5 Zurück in München, auf Kurzbesuch. Die AZ hat Thilo und Alina Thum an der Alten Utting getroffen.

München - Erst sparten sie drei Jahre, dann kauften sie ein Boot - die Strawanza. Sozialpädagogin Alina (32) und Ingenieur Thilo Thum (33) hatten Vollzeitjobs, die sie für ihren Lebenstraum aufgaben. Die Entscheidung war gefallen: im Mittelmeer starten, am Ende über den Atlantik segeln, die Welt erkunden und wieder zurück. Motto: jetzt oder wahrscheinlich nie.

Nun sind sie zurück und fangen ein Leben an Land in Stuttgart an. Ein Gespräch über atlantische Wellen, Seegang, Überraschungen und dem Segeltörn als Feuerprobe für die Beziehung.

AZ: Herr und Frau Thum, wie geht es Ihnen nach fast 14 Monaten Leben auf See?
ALINA THUM: Wieder dauerhaft auf dem Festland zu sein, tut auch gut.
THILO THUM: Ja, absolut. Es ist auch schön, wieder in München zu sein.
A: München ist einfach wunderschön. Wir besuchen gerade Freunde in der Stadt, bei denen wir übernachten. Es fühlt sich fast wie die alte Heimat an.
T: Wenn man die Berge sieht, geht einem das Herz auf.

Zurück in München, auf Kurzbesuch. Die AZ hat Thilo und Alina Thum an der Alten Utting getroffen.
Zurück in München, auf Kurzbesuch. Die AZ hat Thilo und Alina Thum an der Alten Utting getroffen. © Daniel von Loeper

Sind Sie meeresmüde?
T: Das kann man nicht sagen. Es ist die Summe alltäglicher Kleinigkeiten. Ich weiß zum Beispiel meine Siebträger-Kaffeemaschine mehr zu schätzen.
A: Oder dass wir einfach keine begrenzten Ressourcen mehr haben. Wasser und Elektrizität. Da mussten wir auf dem Boot sparsam sein.

Und während der Reise?
A: Da haben wir alles genossen, was wir an Land und in der Stadt nicht haben. Der Blick in die Ferne. Das Wasser, die Natur um einen herum.

Meeresbewohner so groß wie das Boot

Besuch von Meerestieren? Delfine?
A: Richtig. Auch Orcas.

Das war ja Ihre große Sorge vor der Reise, Orcas können das Boot zerstören.
A: Gott sei Dank hatten wir einen lieben Orca, mitten auf dem Atlantik. Das Tier war ähnlich groß wie das Boot. Es war neugierig, hat sich das Ruder genauer angeschaut, ist unter uns durchgetaucht. Das sorgt im ersten Moment für ein sehr mulmiges Gefühl. Wir kannten ja die Geschichten, wenn die Tiere das Ruder zerstören.

Was macht man da, einfach still halten und hoffen?
T: So in etwa. In Küstennähe am besten sofort den Motor einschalten und in Richtung Land fahren. Aber wir sind ja unserem Orca mitten auf dem Atlantik begegnet. Die sind dort friedlicher.

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Warum ist das so?
A: Ich glaube, die bringen sich gegenseitig bei, die Boote umherzuschubsen. Und die atlantischen Orcas haben das wohl noch nicht gelernt. Mittelmeer-Orcas sind gefährlicher.
T: Sie folgen meistens den Thunfischschwärmen.

Kommen wir zu den schönsten Momenten.
T: Auf der anderen Seite vom Atlantik anzukommen, war sehr emotional. Wir haben uns ja lange auf diese Reise vorbereitet. Monatelang.
A: Unbeschreiblich war das, im Westen Land zu sehen. Nach drei Wochen nur Wasser um einen herum, 360-Grad-Wasserblick.
T: Da fällt eine große Last von den Schultern. Wir kamen nachts an und wachten in der Karibik auf weißem Sand zwischen Palmen auf. Da musste ich mich manchmal kneifen, ob das alles echt ist. Es war, wie auf einer Wolke zu schweben.
A: Viele brechen so eine Reise ab, bleiben im Mittelmeer.

Höchstens drei Stunden Schlaf pro Tag

Weil irgendwas kaputtgeht oder das Wetter umschwingt?
A: Weil es auch wahnsinnig anstrengend ist. Mehr als drei Wochen lang schläft man höchstens drei Stunden am Stück.

Warum das denn?
T: Einer muss immer an Deck bleiben und beobachten.

Trotz aller Technik?
T: Man hat Autopilot und einen einfachen Radar. Es ist aber sicherer, wenn einer an Deck ist. Auf offenem Meer muss man alle Risiken möglichst ausschließen.

Ist es reizvoll, auf hoher See auch mal zu schwimmen?
A: Für mich ist das nichts.
T: Es ist schon gefährlich, für mich war es ein Reiz. Es sollte unbedingt ruhiges Gewässer sein. Kein Wind, keine Welle, ganz glatt. Auf dem Hinweg hatten wir das nie. Auf dem Rückweg schon. Da bin ich bei 5.000 Meter Wassertiefe hineingesprungen. 

Wie muss man sich Wellen auf dem Atlantik vorstellen?
T: Sie sind recht lang. Bootshoch, zwei bis drei Meter.

Wie eine Berg- und Talfahrt?
T: Ähnlich. Das Boot rollt stark, wenn die Welle von schräg hinten kommt, es schwimmt von links nach rechts. Das ist anspruchsvoll für Mensch und Material. Es schaukelt.

Bei Seegang wird Kochen zur Herausforderung

Wird man da seekrank?
A: Mir ging es in der ersten Woche sehr schlecht. Gerade wenn du den Horizont nicht sehen kannst, wird das zur Herausforderung. Kochen und Spülen geht kaum noch. Das hat erst mal alles Thilo durchgehend übernommen. Und ich hab mich bemüht, nicht die Fische zu füttern. Das Boot wankt ja 24 Stunden bei Wellengang.

Ist man da nach so einer Woche Seekrankheit abgehärtet?
A: Sobald du an Land bist, kommt ein Reset. Und es kann wieder passieren. Leider.
T: Ich hatte zum Glück keine Probleme mit Seekrankheit.

Sie haben auf der Überfahrt viel gelesen, hab ich gehört.
T: True Crime ist auf See sehr unterhaltsam.
A: Wir hatten ja nicht durchgehend Internet. Das tut gut, einfach mal ganz weg zu sein von Social Media und sich auf Bücher konzentrieren zu können.

Moderndeutsch heißt das ja Digital Detox. Welche Gedanken kommen einem da?
A: Man philosophiert schon ein wenig.
T: Manchmal denkt man gar nicht. Allein dieser Sternenhimmel, wenn die Milchstraße leuchtet. Da liegt man ein bis zwei Stunden da und schaut nach oben. Das ist Gedankenurlaub.
A: Und hinzukommt, wir waren ja ständig beschäftigt. Wetterrouting, kochen, abspülen, sichten, Schlaf nachholen, Rundgang übers Boot ...
T: Auf der Rückfahrt habe ich mir mehr Gedanken gemacht.

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Warum?
T: Erst einmal mussten wir ja unser weiteres Leben langsam planen. Und außerdem war Alina ja nicht mehr an Bord.

Die Rückreise tritt Thilo Thum ohne sein Frau an

Wieso das denn?
A: In der Karibik wurde ich schwanger. Und da sollte man keine Atlantiküberquerung mit dem Segelboot mehr machen. Das ist zu gefährlich.

Glückwunsch. Sind Sie dann alleine zurückgesegelt, Thilo?
T: Nein, meine Mutter - eine begeisterte Seglerin - und ein guter Freund - Clemens, ein begnadeter Fischer - haben sich gefreut, dass sie spontan einspringen konnten. Wir sind dann zu dritt zurückgesegelt. Mit Clemens haben wir dann einen 50 Kilogramm schweren Thunfisch geangelt.

Auf der Segelfahrt zurück nach Europa hat Thilo Thum zusammen mit seinem Kumpel Clemens einen 50 Kilogramm schweren Großaugen-Thun geangelt. "Big Game Fishing" nennt sich das.
Auf der Segelfahrt zurück nach Europa hat Thilo Thum zusammen mit seinem Kumpel Clemens einen 50 Kilogramm schweren Großaugen-Thun geangelt. "Big Game Fishing" nennt sich das. © Alina und Thilo Thum

Los ging es ja in Griechenland. Wie war die Route eigentlich?
T: Quer durchs Mittelmeer, von Insel zu Insel Richtung Westen, Kanaren, Karibik von Februar bis Mai. Zurück ging es von St. Martin über die Azoren, wieder ins Mittelmeer bis Barcelona.

Auf so einer Überfahrt sind Sie beide völlig aufeinander angewiesen. Wie war das für Ihre Partnerschaft?
A: Du lernst dich schon deutlich besser kennen. Es schweißt zusammen. Auch in schwierigen Situationen, wenn man vielleicht gerade streitet, musst du gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn das Wetter umschlägt. Und im Alltag ist man jede Minute auf einem Fleck.
T: Je kleiner das Boot, desto größer das Konfliktpotenzial. In unserer Lebensphase sieht man ja normalerweise seine Kollegen mehr als seinen Partner. Daher haben wir die Zeit schon genossen. Ich meine, wir haben ja auch bewusst geheiratet.

Die Strawanza will das Paar behalten

War diese Reise eine einmalige Sache oder würden Sie am liebste sofort wieder lossegeln?
T: Wenn es nach mir ginge schon. Aber es ist auch gut, wieder zurück an Land zu sein.
A: Ja, eine Wohnung zu haben. Wieder angekommen zu sein.
T: Hält der Anker, dreht der Wind? Man kriegt wieder alles im Supermarkt um die Ecke. Das schätze ich deutlich stärker.

Die Strawanza bleibt?
A: Wir wollen das Boot erst einmal halten.
T: Das ist aber auf Dauer wirklich teuer. Der Traum wäre, mit unserem Kind noch mal eine kleine Tour auf der Strawanza zu machen - aber nicht über den Atlantik.

Mehr Eindrücke samt Fotos von Alina und Thilo Thums Atlantik-Abenteuer finden Sie auf Instagram 

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3 Kommentare
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  • freeman am 21.11.2023 10:21 Uhr / Bewertung:

    Manche Leute haben schon echt coole Hobbys!

  • Witwe Bolte am 19.11.2023 14:38 Uhr / Bewertung:

    Was haben die drei denn mit dem 50 kg schweren Thunfisch gemacht? Zerteilt und eingefroren, auf 2x aufgegessen oder wieder zurück ins Meer geworfen?
    Ansonsten: Respekt vor dieser Atlantik-Herausforderung. Für mich wär's ein Albtraum.

  • am 19.11.2023 10:24 Uhr / Bewertung:

    Ein schönes Erlebnis von dem man ein Leben lang zehren kann!

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