„Ich hör jetzt eh gleich auf!“

Wenn Glücksspiel zur Krankheit wird, und warum der Staat helfen muss – Szenereport aus München. Wie viel Geld die Spieler verlieren – und sich selber in die Tasche lügen.
von  Abendzeitung
Seit 36 Stunden spielt Mallm im Jokers Casino in der Goethestraße an fünf Automaten gleichzeitig. Den Blick nimmt er trotzdem nicht von den leuchtenden Symbolen.
Seit 36 Stunden spielt Mallm im Jokers Casino in der Goethestraße an fünf Automaten gleichzeitig. Den Blick nimmt er trotzdem nicht von den leuchtenden Symbolen. © Ronald Zimmermann

MÜNCHEN - Wenn Glücksspiel zur Krankheit wird, und warum der Staat helfen muss – Szenereport aus München. Wie viel Geld die Spieler verlieren – und sich selber in die Tasche lügen.

Es läuft nicht gut für Mallm. Nicht an diesem Morgen. Nicht am Sonntagnachmittag. Auch nicht in der Nacht davor. Samstagabend hat der Münchner seinen ersten Euro in einen der Spielautomaten im Jokers Casino in der Goethestraße geworfen. Jetzt, rund 36 Stunden später, sitzt er noch immer vor den bunt leuchtenden Geräten und starrt träge auf die Sonderspielanzeige: „Eine halbe Stunde habe ich zwischendurch mal geschlafen“, erzählt er, ohne dabei seine müden Augen von der Anzeige zu nehmen. Mehr Pause hat sichMallm nicht gegönnt: „Ich spiele schließlich an fünf Automaten gleichzeitig, da muss man bei der Sache bleiben.“

Neben Mallm steht Service- Mitarbeiter Sebastian und wechselt einen 50-Euro- Schein. Es ist 11 Uhr früh, doch in der kleinen Spielothek im Bahnhofsviertel herrscht bereits Hochbetrieb. Ein gutes Dutzend Kunden stehen vor den Geräten. Es blinkt und klingelt, es klimpert und ringt im gesamten Raum. „Vor sechs Wochen hat mal einer hier 3600 Euro rausgeholt“, erzählt Sebastian. Doch solche Glücksmomente sind die Ausnahme. Auch das Jokers ist eher ein Ortmenschlicher Tragödien, in denen die Zocker mal 50, mal 700 Euro am Abend verlieren. Bei Mallm sind es derzeit sogar rund 1000 Euro, die im Rachen des Gerätes verschwunden sind. „Sie wissen ja“, sagt Sebastian, „letztlich gewinnt immer die Spielothek.“

Zahl der Spielhallen verdreifacht

Kein Wunder, dass das Geschäft mit dem Glück boomt. In München hat sich die Zahl der Spielhallen in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht. 160 solcher Kasinos gibt es mittlerweile in der Stadt. Alarmierend ist aber vor allem die Anzahl an Automaten, die in ganz normalen Wirtshäusern und Kneipen zu finden sind. 390 waren das in München 1998. Mittlerweile gibt es über 1100 in der Stadt. Tendenz steigend.

Die Kunden, die davor sitzen, halten Münzen griffbereit und drückenmit automatisierten Bewegungen auf die leuchtenden Knöpfe. So wie Bernd, der seit den frühen Morgenstunden in einer Spielothek in der Landwehrstraße sitzt, aber darauf wert legt, dass er das erste Mal in diesem Jahr hier ist. Oder wie Hans, der es sich bereits vor Stunden vor einem Automaten in der Schillerstraße bequem gemacht hat, aber erst 50 Euro in den Schlitz geworfen haben will: „Ich höre jetzt eh gleich auf“, sagt er, „ich spiele schließlich nur zum Spaß, nicht um mir etwas dazu zu verdienen.“

Miete, Strom und Telefon verspielt

Erst wenn dieser Spaß den Spielern den Job oder die Beziehung gekostet hat, begreifen viele, dass sie spielsüchtig sind. Verdoppelt hat sich seit dem vergangenen Jahr die Zahl der Menschen, die bei der Psychosozialen Beratungsstelle der Stadt Hilfe suchen. „Dass sind vor allem Personen, die trotz erkennbaren Schädigung das Spielen nicht lassen können“, sagt Alois Mayer. Viele habe bereits ihre Miete, den Strom und das Telefon verspielt und gehen trotzdem immer wieder hin: Der Übergang zur Sucht ist fließend. „Letztlich ist auch der Spielautomat eine Droge“.

Das hat auch die Besitzerin einer Spielhalle gegenüber des Jokers erkannt. Ab und an kämen mal ein paar Frauen, die lediglich fünf bis zehn Euro in den Automaten schmeißen würden. „Aber der große Rest muss das immer wieder tun“, sagt sie. 80 Prozent ihrer Kundschaft, so schätzt sie, sind spielsüchtig. „Es gibt sogar eine Reihe von Spezialisten, die gehen von Halle zu Halle, umzu schauen, wo der Jackpot gerade besonders hoch ist.“

Pferdewetten

Sepp gehört nicht zu diesen Automaten-Junkies. Stattdessen hat sich der Rentner auf Pferdewetten spezialisiert. Bei einem Buchmacher in der Goethestraße überlegt der Münchner gerade, ob er beim nächsten Rennen in Daglfing auf das Pferd von Georg Biendl setzen soll: „Der kommt aus Daglfing, das könnte was werden“, sagt er. 5000 Euro hat Sepp mal mit einer Dreierwette verdient. Aber oft genug sieht’s auch ganz anders aus: „Diese Wettbüros nehmen einen doch aus, wie eine Weihnachtsgans!“

Ob Mallm das auch schon begriffen hat? Es ist kurz vor Zwölf, als er im Jokers erneut ein paar Euro in den Automaten wirft: „In der Regel gewinne ich genauso viel, wie ich verliere“, erzählt er. Deshalb will er heute höchstens noch 200 Euro investieren: „Dann gehe ich nach Hause und schlafe mich aus.“ Morgen wird er dann wieder kommen.

Daniel Aschoff

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