"Ich habe schon die Hoffnung verloren – und die Nerven": Münchner Kultwirte sprechen Klartext

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Fast zwei Jahrzehnte lang ist das "Stadion" in München ein Zuhause für Fußballfans aller Couleur – vom HSV- und Schalke-Anhänger bis zum Löwen. Hier wird gemeinsam gejubelt, gestritten, gehofft – und manchmal auch gebangt, wie zuletzt vor Weihnachten 2024, als Lärmbeschwerden die Kultkneipe an den Rand des Aus drängten.
Im Gespräch erzählen die Wirte Holger "Holle" Britzius und Michael "Michel" Jachan, warum Zweitliga-Fans die besten Partys feiern, wie sie ihre Existenz retteten – und wieso sie trotz aller Emotionen meist neutral bleiben.
Herr Britzius, Herr Jachan, im Stadion feiern bekanntlich Fans vieler verschiedener Vereine. Welche Fangruppe feiert am besten?
HOLGER BRITZIUS: Grundsätzlich feiern die Zweitliga-Fans besser. Bei uns ist die "Isarraute" – Münchner HSV-Fans – stark vertreten, ebenso viele Schalker. Die wissen, wie es geht. Jetzt warten wir noch auf den Aufstieg von 1860 – da erwarten wir dann schon auch einiges.
MICHAEL JACHAN: In der Zweiten Bundesliga ist einfach mehr Bewegung drin, da gibt es mehr Auf und Ab. In der ersten Liga weiß man meist schon im Voraus, was passiert.
Wie hat sich das Stadion zu einer solch offenen Fußballkneipe entwickelt?
HB: In München gibt es von fast allen Vereinen Fanklubs. Die hatten zunächst auch eigene Lokale, aber inzwischen zeigen immer weniger Kneipen Fußball, und so haben viele Fanklubs hier ihre neue Heimat gefunden. Wir organisieren das so, dass alle ihre Spiele bei uns schauen können.
MJ: Das liegt natürlich auch daran, dass nicht jede Sportkneipe die zweite oder dritte Liga zeigt – schon gar nicht jedes einzelne Spiel. Wir haben den Vorteil, dass wir auch mal fünf Partien parallel übertragen können.
Und für welche Mannschaften schlagen Ihre Herzen?
MJ: Ich bin VfB Stuttgart-Fan, schon seit Kindheitstagen. Das war immer ein Auf und Ab, aber im Moment fahre ich sogar manchmal zu Spielen.
HB: Ich bin in Karlsruhe aufgewachsen und dementsprechend ist es bei mir der KSC.

Fällt es Ihnen bei so viel Fanliebe und schönen Momenten im Stadion schwer, Ihren Herzensvereinen treu zu bleiben?
HB: Nein, das ist überhaupt kein Thema. Wir sind größtenteils neutral.
MJ: Für manche Vereine hat man mehr Sympathien, für andere weniger, aber bei jedem Verein haben wir inzwischen Gäste vor Augen, für die wir uns dann freuen.
Wie sieht es mit den großen Münchner Vereinen aus – fällt es da schwerer, neutral zu
bleiben?
MJ: Da haben wir eigentlich auch keine Probleme, obwohl wir beide keine großen Sympathisanten des FC Bayern sind.
HB: Gar nicht – spätestens seit den 90ern, als Oliver Kahn und Mehmet Scholl vom KSC zu Bayern gewechselt sind (lacht).
MJ: Trotzdem bleiben wir hier komplett neutral, auch wenn ich mich nicht freuen muss, wenn Bayern etwas gewinnt.
Was machen Sie, wenn sich ein FCB-Spiel mit einem 1860-Spiel überschneidet?
HB: Dann zeigen wir einfach beide. Das Bayern-Spiel meistens mit Ton, weil da mehr Fans anwesend sind.
Kommt es manchmal zu Reibereien unter Fangruppen?
MJ: Uns gibt es seit fast 20 Jahren, und hier gab es noch nie größeren Stress. Die meisten wissen inzwischen, dass sich hier jeder über seinen Verein freuen kann, ohne andere runterzumachen.
HB: Wir sorgen auch aktiv dafür, dass es so bleibt.
Wir sprachen vom Feiern. In den letzten Jahren gab es immer wieder Lärmbeschwerden. Kurz vor Weihnachten 2024 eskalierte die Situation dann, und das Stadion stand kurz vor dem Aus. Was ist seitdem passiert?
MJ: Nachdem uns das KVR angedroht hat, die Konzession auf 22 Uhr zu beschränken, wussten wir zunächst nicht weiter. Dann haben wir uns mit den Mietern und Vermietern zusammengesetzt und nach einer Lösung gesucht – die lautete: Wir machen unter der Woche um Mitternacht zu.
HB: Es ging vor allem um zu lauten Torjubel. Aber Fußball ohne Emotionen? Das geht nicht. Zusätzlich hat die Mieter über uns das Stühlerücken gestört. Letztlich haben wir ein Akustikbüro gefunden, das eine Lösung hatte: Die Wände wurden gedämmt, wir haben jetzt Teppichboden – wir sind also wirklich ein Fußball-Wohnzimmer geworden.
Das Aus ist also abgewendet?
MJ: Ja. Die jüngste Lärmmessung hat ergeben, dass wir unter allen Grenzwerten liegen. Es war aber ein Bangen bis zum Schluss – es ging um unsere Existenz.
HB: Das finale Schreiben haben wir einen Tag vor dem Start der Zweiten Liga bekommen – das war sehr befreiend.
Haben Sie zwischenzeitlich ans Aufgeben gedacht?
MJ: Oh ja – selbst als das mit der Schallisolierung aufkam, weil man da erstmal einen riesigen Berg vor sich hat.
HB: Ich habe schon die Hoffnung verloren und zwischendurch auch die Nerven. Insbesondere, wenn man jeden Abend hier drin stand und dieses Damoklesschwert über einem hing und man auf jeden Gast achten musste – das zermürbt stark. Die Situation zog sich schließlich über ein Dreiviertel Jahr.
Gerade ist auch im Univiertel eine Lärmdebatte ausgebrochen. Sind die Leute in dieser Hinsicht empfindlicher geworden?
HB: Ja, das glaube ich schon. Die Leute schauen öfter nur noch auf sich.
MJ: Man muss aber sagen, dass die Situation im Univiertel etwas anders ist. Das ist dort eine besondere Entwicklung, die seit Corona stattfindet. Bei uns hat es in den letzten 20 Jahren zwar auch eine Entwicklung gegeben, aber früher hat sich nie jemand beschwert, wenn es laut war, weil ein Tor gefallen ist. Ich habe Verständnis, aber man muss sich schon vorher überlegen, wohin man zieht.
HB: Dazu kommt: Früher war es hier noch viel wilder. Und wir achten seit Jahren darauf, dass draußen Ruhe ist – gerade deshalb war das Ganze für uns unverständlich.
Zahlreiche Menschen haben sich in der Zeit mit Ihnen solidarisiert und sogar 40.000 Euro für den Umbau gesammelt.
HB: Das war völlig verrückt.
MJ: Das ist für uns immer noch unbegreiflich.
HB: Wir haben das ja nicht selbst initiiert. Wir wurden schon während Corona von unseren Gästen gerettet, da wollten wir nicht noch mal fragen. Letztlich hat die "Isarraute" das von sich aus organisiert – und das war dann wie ein Lauffeuer. Wir sind nicht mehr hinterhergekommen, und innerhalb von sechs Tagen war das nötige Geld gesammelt. Wir sind immer noch sprachlos und einfach dankbar.
Welche schönen Momente der letzten Jahre sind Ihnen noch besonders in Erinnerung
geblieben?
MJ: Schwierig, aber 2014 – Brasilien gegen Deutschland – und natürlich das Finale waren absolute Highlights. Der Laden war voll bis zum Rand, so viele waren nie wieder da, die Emotionen waren überragend.
HB: Wir hatten ab 2011 auch die Sky-Sendung "Mein Stadion", die hier gedreht wurde – das war eine besondere Zeit. Wir erinnern uns gerade öfter daran, weil kürzlich der Moderator Ulli Potofski leider gestorben ist.

An diesem Wochenende startet die Bundesliga. Ist das für Sie eigentlich noch aufregend?
HB: Durch den Start der Zweiten und Dritten Liga hat der Betrieb ja schon begonnen, aber trotzdem fiebern wir dem Start entgegen. Wenn das nicht da wäre und alles Routine würde, dann bräuchten wir das auch nicht mehr machen.
Wie übersteht eine Fußballkneipe die Sommerpause?
MJ: Das sind im Normalfall sechs bis acht Wochen – unsere Urlaubszeit. Wir haben parallel ja noch das Wirtshaus Obacht – langweilig wird uns also nicht. Am Anfang haben wir uns noch irgendwelche Sachen überlegt, damit die Leute auch dann herkommen, aber das hat alles nicht funktioniert. Im Sommer sowieso nicht.
HB: Da verstehe ich jeden, der sich lieber in den Biergarten setzt.
Und wie bereiten Sie sich auf den Bundesliga-Start vor?
HB: Wir nutzen die Zeit vorher für all das, was ansonsten liegen bleibt. Gerade haben wir etwa die Deko neu gemacht und andere Trikots sowie Schals aufgehängt – und die vorher auch mal wieder gewaschen.
Wer wird deutscher Meister?
HB: Der FC Bayern. Große Konkurrenz ist für Bayern diese Saison eigentlich nicht da.
MJ: Seit Eröffnung 2006 war der FC Bayern 14-mal Meister. Meistens geht es also eher darum, was dahinter passiert – wer kommt in die Champions League und wer kämpft um den Abstieg.
Und 1860 schafft den Aufstieg?
MJ: Wenn sie sich nicht ganz blöd anstellen, sollte das mit dieser Mannschaft möglich sein.
Wie viele Bundesliga-Starts wollen Sie beide hier noch erleben?
HB: Mindestens bis der KSC einen Bundesligastart mitmacht – also vielleicht noch so 25 Jahre (lacht).
MJ: Auf jeden Fall so lange, wie wir nicht die Lust daran verlieren. Klar gibt es Phasen, in denen man mal mehr, mal weniger Bock hat, und zeitweise ist es auch einfach nur ein Job. Aber gerade solche Geschichten wie mit dem Crowdfunding haben wieder gezeigt, was hier eigentlich entstanden ist und was es zu bewahren gilt. Wir sind beide in einem Alter, in dem wir das noch ein paar Jahre machen können.
HB: Solange wir uns noch gerne über Fußball unterhalten und die Emotionen rauskommen, macht das auch weiterhin Spaß.
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