„Ich bin ein Entwurzelter“
Helmut Dietl gilt als der Parademünchner schlechthin – was steckt hinter diesem Image? Der Regisseur über München, Berlin, Veronica Ferres und den Mythos Kir Royal.
Er kommt mit dem Rad und parkt es, natürlich, neben seinem Schwabinger Lieblingslokal, dem Rossini. Den Wirt kennt er seit Jahrzehnten, die Gegend ist seine Heimat. Ein großes Thema für Helmut Dietl, denn die meiste Zeit verbringt er in Berlin, wo er die Fortsetzung von Kir Royal vorbereitet. Wir sitzen draußen an der Straße, alle paar Minuten wird Dietl angesprochen. „Servus Helmut, wir ham’ uns ja scho lang nimmer gsehn!“ Dietl grüßt freundlich – und fragt danach: „Wer war jetzt des...?“
AZ: Herr Dietl, Sie sind jetzt dauernd in Berlin. Kann man außerhalb von München eigentlich glücklich sein?
HELMUT DIETL: Das schon, aber nach zwei oder drei Wochen komm ich wieder zurück, weil ich es länger in Berlin nicht aushalte.
So schlimm?
Schlimm nicht, eher grotesk. Am Anfang denkt man: Das ist spannend da. Aber das denkt man nur, solang man im Hotel ist. Jetzt habe ich eine Wohnung in Berlin-Mitte. Dort spielt sich der ganze Hype ab, der um Berlin gemacht wird. Für einen Satiriker ist das ein Geschenk. So viele Narren wie da auf einer preußischen Quadratmeile herumlaufen gibt es sonst nirgends in Deutschland. In den Lokalen sitzen die Politiker, die Lobbyisten, die ganzen Dampfplauderer. Ein Wahnsinn. Es herrscht eine ständige Aufbruchsstimmung ins Nirgendwo. Man hat immer das Gefühl, es tut sich was. In Wahrheit tut sich aber gar nix. Und man vermutet dauernd irgendwelche Geheimnisse, es gibt aber gar keine.
Hat sich Ihr Blick auf München verändert?
Sicher. Hier ist alles so ruhig, unaufgeregt, es ist alles halb so wild. Das ist mir natürlich vertrauter, aber auch nicht richtig meine Welt. Das Münchner Laissez-faire, die Berliner Aufgeregtheit – ich lebe immer zwischen allem. Das war früher schon so, als ich lange in Frankreich und in Los Angeles gewohnt habe. Dabei brauche ich ein Zuhause. Eigentlich komme ich mir entwurzelt vor.
Entwurzelt? Wenn Sie in München sind, trifft man Sie doch ständig im gleichen Lokal...
Schon, aber auch das hat sich verändert. Jahrzehntelang sind wir im Romagna in der Elisabethstraße gesessen. Und jetzt sind wir plötzlich in der Türkenstraße. Dabei bin ich froh, dass es das Lokal überhaupt noch gibt. Eigentlich muss man sagen, dass ich mein Leben ab 19 Uhr in den letzten 30 Jahren im Wesentlichen in diesem Restaurant verbracht habe.
Gibt es etwas typisch Münchnerisches, das Ihnen im Ausland fehlt?
(Überlegt lange) Naa, eigentlich nicht. Vielleicht wenn man darunter eine Atmosphäre versteht – ja, die fehlt mir. Berlin ist mir zu anstrengend. Hier sind die Leute so nett, zumindest zu mir. Generell stelle ich fest, dass ich nicht richtig da bin und nicht richtig dort. Das war schon immer so bei mir.
Was bedeutet eigentlich „münchnerisch“ für Sie?
So genau kann ich das gar nicht sagen. Vielleicht ist es so: München ist die Mutter. Und dieses Gefühl des Entwurzeltseins ist wie die vorübergehende Trennung von dieser Mutter. Das kann nur aufgefangen werden, wenn die andere Stadt die Geliebte ist. Dafür eignet sich Berlin aber nicht. Denn München ist eher eine weibliche Stadt, Berlin eher eine männliche. Bestenfalls zweigeschlechtlich.
Ein schwieriges Verhältnis.
Ja. Dazu kommt, dass München für mich keine Geheimnisse mehr hat, das ist mir vertraut, im Guten wie im Schlechten. Berlin hat sowieso keine Geheimnisse. Ich kann mir aber vormachen, es hätte welche.
Sie gelten für viele Menschen als der Parademünchner.
Ich weiß. Ich habe lange versucht, das zu differenzieren. Aber es hat keinen Sinn. Ich persönlich fühle mich überhaupt nicht als Parademünchner. Das Image gibt es, weil meine Figuren so sind. Jetzt sage ich: Ist halt so. Man kann seiner eigenen Legende nicht entrinnen.
Dazu gehört auch die Schickeria, die notorische Bussi-Gesellschaft.
Diesen Schmarrn kann ich nicht mehr hören. Es gab damals einfach Leute, die hier die Geheimnisse vermutet haben, so wie ich sie heute in Berlin vermute. Diese Gesellschaft ist heute in Berlin. Manchmal kommt es mir dort heute so vor wie in München vor 20 Jahren.
Haben Sie damals zur „Gesellschaft“ dazu gehört?
Damals wahrscheinlich schon. Das waren die Zeiten, als ich mit Barbara Valentin verheiratet war, vor 30 Jahren. Da bin ich gelegentlich ausgegangen. Seitdem geh’ ich kaum mehr weg. Keine Partys, keine Vernissagen, eigentlich nirgends hin. Naja, vielleicht zwei oder drei Mal im Jahr.
Und, wie ist es dann?
Neulich war ich mal bei der Eröffnung von so einem Edelshop. Das war wahnsinnig fad. Die Leut sind nur so rumgestanden. Nach einer Viertelstunde sind wir dann ins Schumann’s rüber. Eigentlich geh ich am liebsten nirgendwo hin. Zum Leidwesen meiner Frau, die gern unter Leuten ist.
Aber in den 70er- und 80er-Jahren: Haben da etwa nicht alle so richtig die Sau rausgelassen?
Ich war in dieser Zeit vor allem im Ausland oder habe an meinen Serien gearbeitet. An Partys hab ich nicht teilgenommen, tut mir leid. Wahrscheinlich wär es besser, an dieser Legende weiterzustricken. Aber es stimmt halt nicht.
In den 90er-Jahren hat man Sie aber oft als Partygast gesehen, zusammen mit Veronica Ferres...
Ja, schon, mit der Vroni bin ich mehr ausgegangen, aber auch nicht so oft, wie sie wollte. Jetzt geht sie mit ihrem Mann ja ständig überall hin. Dieses öffentliche Leben passt gut zu ihr. Das Leben mit mir hat nicht zu ihr gepasst. Auch diese Dinge, die sie dreht, sind richtig für sie. Mit mir wäre sie keine Quoten-Queen geworden. Weil ich das nicht gewollt hätte.
Es gibt in München jetzt ständig diese Kir-Royal-Partys und ähnliche Dietl-Verherrlichungen. Wie gefällt Ihnen das?
Am Anfang hab ich mich gefragt: Dürfen die das eigentlich? Dann habe ich beschlossen, solche Veranstaltungen als Ehre zu betrachten. Die längste Lebensdauer hat offenbar Kir Royal, die Leute kennen die Dialoge auswendig. Sogar in Berlin sprechen mich die Leute auf der Straße darauf an. Da gibt es sogar einen Kir-Royal-Verein. Die Mitglieder schauen sich dauernd die Serie an.
Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Mit der vielen Arbeit, die da drin steckt. Je mehr Kraft und Energie und Originalität man vorne reingibt, desto mehr kommt hinten wieder raus. Man darf nicht zufrieden sein, sondern muss immer wieder nachdenken, immer nochmal und nochmal. Mit dem Patrick Süskind hab ich über einen einzigen Satz einen Tag lang nachgedacht.
Und wie merkt man, ob es passt?
Ich spür’ es. Mindestens spür’ ich, ob es nicht passt.
Vielleicht gibt es auch eine Sehnsucht nach diesem Kir-Royal-München?
Das kann sein. So eine nostalgische Verklärung der Stadt. Eigentlich war Kir Royal im Jahr 1986, als ich es gedreht habe, schon veraltet, schon nostalgisch. Genau wie der Monaco Franze. Der Stucki, mein jetziger Co-Autor Benjamin Stuckrad-Barre, sagt immer: Der Dietl erzählt in seinen Filmen nur Märchen. Das stimmt auch. Ich erzähle meine München-Märchen. Einen Anspruch auf Wirklichkeit erhebe ich nicht. Auf Wahrheit, vielleicht.
Gibt es in München heute noch etwas, worüber Sie gerne einen Film machen würden?
Ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl: Alles, was ich zu München beitragen kann, ohne mich zu wiederholen, das habe ich gemacht.
Interessieren Sie sich eigentlich für das, was in der Stadt passiert?
Ich weiß nicht, wie sich der Stadtrat zusammensetzt und solche Dinge, das interessiert mich ehrlich gesagt nicht so besonders. Den Oberbürgermeister Ude kenne ich persönlich und weiß, dass er im Rahmen der Möglichkeiten eines Politikers ein anständiger Mensch ist.
Und Ihr Münchner Leben – ist das komplett auf Schwabing fixiert?
Natürlich nicht, aber hier fühle ich mich zuhause. Das lässt sich auch geographisch genau eingrenzen. Im Norden geht meine Heimat bis zur Clemensstraße, im Süden bis zur Theresienstraße, im Westen maximal bis zur Tengstraße und im Osten bis zum Englischen Garten.
Herr Dietl, richtig entwurzelt klingt das nicht.
Nein... das ist wahr. Entwurzelt, verbunden – es stimmt halt immer beides.
Interview: Arno Makowsky