Homosexuell in Rumänien: "Wir müssen fliehen"
Weil es in Rumänien unmöglich ist, als homosexuelles Paar zusammen zu leben, wohnen Raluca und Maria jetzt in München
Dass sie lesbisch sein könnten – daran hatten Maria und Raluca nie einen Gedanken verschwendet. Bis sie einander an der Uni von Iasi begegneten. „Nach einem Jahr haben wir gemerkt, dass wir mehr sind als Freundinnen“, sagt Maria. Die Studentinnen waren bis über beide Ohren verliebt. Sie wollten als Paar zusammen leben – doch das ist in ihrer Heimat Rumänien unmöglich. Homosexualität ist dort zwar nicht verboten, aber gesellschaftlich geächtet. Raluca: „Eine andere Frau zu lieben, ist genau so schlimm, als hättest du eine Affäre mit deinem Bruder. So denken die Menschen bei uns.“ Nur im Ausland hatte ihre Liebe eine Chance, das wussten beide. Heute wohnen Maria und Raluca (beide 30) in München.
Die ersten, die sich den jungen Frauen in den Weg stellen, sind ihre Eltern. Sie ahnen, was vor sich geht. „Wir waren ja jeden Tag zusammen, von sechs Uhr morgens bis zwölf Uhr nachts. Kino, Oper, Theater – wir haben alles gemeinsam gemacht. Das war verdächtig“, erzählt Maria. Die Eltern verbieten ihnen, sich weiterhin zu treffen. Sie lassen sie nicht mehr allein aus dem Haus, und drohen, sie in die Psychiatrie einzuweisen.
Seit 1996 ist in Rumänien gleichgeschlechtliche Liebe im privaten Bereich legal. Seit 2000 dürfen Schwule und Lesben auch in der Öffentlichkeit als Paar auftreten. Rein rechtlich. Die Realität sieht anders aus. Fast 90 Prozent der 20 Millionen Rumänen sind orthodoxe Christen mit einem ultra-konservativen Gesellschaftsbild. Raluca: „In Rumänien steht die Familie an erster Stelle, und die besteht aus Mann und Frau. Basta.“ Dass Eltern sich massiv in das Leben ihrer Kinder einmischen, sei ganz normal. „Sie bestimmen, in welche Schule du gehst, was du studierst, wen du heiratest, wie viele Kinder du bekommst und wie die heißen.“ Wehe dem, der die Ketten der Konvention sprengt, etwa indem er sich einen gleichgeschlechtlichen Partner sucht.
Seit ein paar Jahren gibt es auch in der Hauptstadt Bukarest einen CSD, erzählt Maria. „Ein Alptraum! Da waren mehr Polizisten zum Schutz der Parade als Teilnehmer.“ Die Orthodoxen hätten sich derweil mit Kreuzen bewaffnet vor den Kirchen zu Gegendemonstrationen getroffen und die Homosexuellen in die Hölle gewünscht. Kaum waren die Ordnungshüter abgezogen, seien die CSD-Teilnehmer von Rechtsradikalen verprügelt worden.
Maria und Raluca selbst sind nie beim CSD in Bukarest mitmarschiert. „Da musst du entweder verrückt sein oder nichts mehr zu verlieren haben“, sagt Maria mit einer Mischung von Bewunderung und Unverständnis. „Wenn dein Boss das erfährt, wird er einen Grund finden, dir zu kündigen. Du verlierst deine Freunde und deine Familie.“
Der Hass auf Homosexuelle ist groß. Vor einiger Zeit erklärten 84 Prozent der Teilnehmer bei einer Umfrage, sie würden auf keinen Fall mit einem Schwulen aus demselben Glas trinken. Eine Studie der sozial-politischen Soros-Stiftung ergab, dass drei von vier rumänischen Teenagern unter keinen Umständen Tür an Tür mit einem gleichgeschlechtlichen Paar leben wollen.
„Ich kenne niemanden in Rumänien, der sich geoutet hat. Keinen Promi, keinen Politiker – niemanden“, sagt Maria. Unlängst sei in einem Magazin eine Serie über Homosexuelle in Rumänien erschienen. Ärzte und Anwälte hätten dort von sich erzählt. Anonym. „Zu einem Arzt, den die Menschen für krank halten, geht doch keiner mehr“, habe einer von ihnen gesagt.
Vor diesem Hintergrund ist Maria und Raluca schnell klar: „Wir müssen fliehen – ganz weit weg.“ 2004 bekommt Maria ein Stipendium für einen einmonatigen Deutschkurs in München, ihr Weg in die Freiheit. Raluca folgt ihr mit einem Touristen-Visum. Sie können ihr Glück kaum fassen. „Wir haben auch in München nicht auf der Straße Händchen gehalten oder uns geküsst. Aber wir haben zum ersten Mal zusammen gewohnt, und wenn wir raus gingen, mussten wir niemandem Rede und Antwort stehen“, sagt Maria. „Unseren Flittermonat“ nennen die beiden diese schöne Zeit in Bayern.
Trotzdem kehren sie nach Rumänien zurück, sie wollen die Uni nicht ohne Bachelor verlassen. Maria studiert Physik, Raluca BWL.
Maria ist zuerst fertig. 2005 bewirbt sie sich als Werksstudentin in München, wird genommen und macht hier den Master. Wieder folgt ihr Raluca. Diesmal heimlich. „Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich zur Uni gehe, dabei war ich auf dem Weg nach Deutschland.“ Mit zwei Koffern und viel Hoffnung ziehen sie Anfang Oktober 2005 in ihre Münchner Wohnung ein. Erst eine Woche später schreibt Raluca ihren Eltern einen Brief: Sie studiere jetzt in Bayern. Dass sie hier mit Maria zusammenlebt, verschweigt sie. Eine rumänische Freundin schickt ihr fortan die Vorlesungen per E-Mail, für die Prüfungen und die Verlängerung ihres Touristen-Visums kehrt sie regelmäßig nach Isas zurück. Besuche ihrer Eltern legt Maria in diese „Raluca-freien“ Phasen. Dann räumt sie alles weg, was ihre große Liebe verraten könnte: persönliche Dinge, Fotos, die zweite Zahnbürste. „Zum Glück sind wir beide Frauen, so konnte ich wenigstens die Klamotten hängen lassen.“ Sie lacht. Maria ist ein fröhlicher Mensch.
Mit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 kann Raluca endlich ganz nach München ziehen. In einer E-Mail gesteht sie ihren Eltern, dass sie hier bei Maria wohnt. Die Antwort sind drei Monate Funkstille. Dann erreicht Raluca ein Brief voller Vorwürfe: Das sei nicht normal, sie sei krank.
Die Anschuldigungen verletzen Raluca bis heute, sie weint, als sie davon erzählt. Mittlerweile hat sie wieder Kontakt zu ihren Eltern, doch wenn sie miteinander telefonieren, sprechen sie ausschließlich über Banalitäten. „Es geht ums Wetter, immer ums Wetter. Maria existiert für sie nicht.“
Marias Eltern wissen inzwischen ebenfalls, dass ihre Tochter mit einer Frau zusammengezogen ist. Sie haben Maria oft in München besucht, Raluca als Mitbewohnerin kennen gelernt und sie ins Herz geschlossen. „Ich glaube, sie wissen, dass wir ein Paar sind. Aber sie wollen das nicht akzeptieren und deshalb auch nicht darüber sprechen“, sagt Maria. Sie selbst hat ihren Beziehungsstatus – seit einem Jahr sind Maria und Raluca offiziell verpartnert – nie direkt angesprochen. Aber sie hat Andeutungen gemacht. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich ein Kind möchte und es zusammen mit Raluca großziehen will. Wie hätte ich noch deutlicher werden sollen?“
Maria vermutet, dass ihre Eltern sich ahnungslos stellen, um nicht lügen zu müssen, wenn sie von Landsleuten gefragt werden, ob ihre Tochter eine Lesbe ist. „Denn das kannst du in Rumänien auf keinen Fall zugeben.“
Auch Maria und Raluca hat der Konservativismus ihrer Heimat geprägt. Sie haben sich nie geoutet. Nicht einmal in München. Für Freunde und Kollegen sind sie Mitbewohnerinnen, mehr nicht. „Ich weiß nicht, warum wir das tun sollten“, sagt Maria. „Und ich weiß auch nicht wie. Soll ich mir etwa ein T-Shirt anziehen, auf dem steht: Ich liebe Raluca?“
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