Hochhäuser als Lösung für Wohnungsnot: Eine Frage der Dimension

In 20 Jahren werden rund 150000 mehr Menschen in der Landeshauptstadt leben als heute. Wo sollen sie wohnen? Die AZ hat darüber mit Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk gesprochen.
AZ: Soll München in Zukunft mehr in die Höhe bauen?
ELISABETH MERK: Grundsätzlich glaube ich, dass das Wohnen im Hochhaus eine Typologie ist, die neu bewertet wird. In den 70er Jahren gab es schlechte Erfahrungen mit Wohnsilos. Aber mittlerweile haben wir zum Beispiel mit den Wohntürmen an der Theresienwiese oder den Sternhochhäusern von Siemens gute Erfahrungen gemacht. Das Entscheidende ist, dass die Dimensionen für das Quartier stimmen müssen. Da ist die Frage: Wie ist die Versorgungsstruktur im Umfeld? Welche Gemeinschaftsangebote gibt es?
Können Hochhäuser das Wohnungsproblem lösen?
Sie können einen Beitrag dazu leisten, aber sie können es nicht alleine lösen. Es gibt zwar noch einige Standorte, wo höhere Gebäude entstehen können. Wie zum Beispiel am Vogelweideplatz im Osten – doch für Wohnungen ist das Areal dort wegen der Verkehrsbelastungen nicht geeignet. Man darf daher nicht der Vorstellung nachhängen, mit Hochhäusern hätten wir alle Probleme gelöst. Der Schall ist weiter oben noch stärker.
Hat München das 100-Meter-Hochhaus-Limit nach dem Bürgerentscheid 2004 geschadet?
Ich glaube nicht. Die Qualität eines Gebäudes kann man zwar nicht daran festmachen, ob es 99 Meter misst – oder 104. Aber wir haben eine schöne Stadt-Silhouette. Daher muss man sorgfältig überlegen, wo Hochhäuser Platz finden. Es wäre Unfug, in München über Hochhäuser zu sprechen, die 200 Meter hoch sind. Städte mit solchen Gebäuden haben oft eine breite Wasserfront, wie etwa Vancouver. Da passt das gestalterisch. An der Isar aber nicht.
Soll München sich also weiter ans 100-Meter-Limit halten, oder nicht?
Wir sollten uns daran halten – aber nicht dogmatisch. Es geht nicht um drei Meter hin oder her. Ich gebe gerne zu, dass ich mir zum Beispiel das Hochhaus der SZ in Steinhausen noch zehn Meter höher hätte vorstellen können.
Die Bindungsfrist des Bürgerentscheids dauerte nur ein Jahr. Was, wenn also jetzt ein Investor käme, der 130 Meter hoch hinaus will?
Dann müsste man in einen Dialog treten und genau überlegen, wo ein geeigneter Standort ist. In den drei Jahren, seit ich hier tätig bin, gab’s aber keine hochhauswütigen Investoren, die das wollten. Je höher Gebäude sind, desto teurer sind sie. Alles zwischen 100 und 120 Metern ist schon ehrgeizig.
Sie waren 2004 noch nicht in München. Wie hätten Sie damals abgestimmt? Mit Ja oder Nein?
So banal kann ich diese Frage nicht beantworten. Ich bin dafür, dass in München Hochhäuser gebaut werden. Aber ich finde es legitim, dass die Bürger damals ein kritisches Auge auf die Entwicklungen hatten. Frankfurter Verhältnisse passen nicht zur Charakteristik unserer Stadt.
Bis 2030 sollen in München 150 000 Menschen dazukommen. Platzt die Stadt dann nicht aus allen Nähten?
Es wäre Schönfärberei zu sagen, dass das kein Problem ist. Aber wir müssen noch nicht die große Alarmglocke schwingen. Wir müssen die Flächen, die wir haben, zügig zur Baureife bringen. Da ist einiges in der Pipeline. Alleine bei der Funkkaserne werden 1600 Wohneinheiten entstehen, im vierten Bauabschnitt in Riem sind es 850, am Ackermannbogen insgesamt 2150. Dann sind noch die anderen Kasernen-Gelände in der Vorbereitung.
Zuletzt hat München aber immer weniger Wohnungen gebaut, als es sich zum Ziel gesetzt hatte.
Wir hatten eine dreijährige Durststrecke. Unter anderem wegen der Finanzkrise. Aber wir gehen davon aus, dass wir ab nächstem Jahr wieder in die Vollen gehen können.
Werden die Mieten noch teurer?
Ich glaube nicht, dass wir endlose Mietsteigerungen haben werden. Es wird eine Entspannung geben. Es wäre aber blauäugig zu sagen, das Problem ist vom Tisch. Int.: J. Lenders