Hellabrunn trauert um „Mockel“
MÜNCHEN - Sie hatte mehrere Brüche in allen vier Beinen: Gestern Nachmittag musste Elefanten-Baby Jamuna Toni eingeschläfert werden. Die Ursache ihrer Erkrankung bleibt rätselhaft.
Die schreckliche Nachricht schockiert nicht nur Tierfreunde, sie macht alle Münchner traurig: Jamuna Toni, das Hellabrunner Elefantenmädchen, ist tot. Nachdem sich der Zustand des sechs Monate alten Dickhäuters am Wochenende rapide verschlechtert hatte, wurde er gestern Nachmittag eingeschläfert. Jamuna Toni war Münchens erster Baby-Elefant seit mehr als 60 Jahren und der Besuchermagnet des Tierparks.
„Jeder, der einmal so einen kleinen Rüssel gesehen hat, kann sich vorstellen, wie schwer uns diese Entscheidung gefallen ist“, sagt Zoo-Direktor Andreas Knieriem am Abend auf einer Pressekonferenz und kämpft mit den Tränen. „Letzen Endes war es jedoch das einzige, was wir noch für sie tun konnten.“ Jamunas Ersatz-Mamas, die Tierpfleger vom Elefantenhaus, sind nicht zum Gespräch mit den Journalisten gekommen. Die Trauer ist zu groß.
Der Mini-Dumbo litt an einer rätselhaften Erkrankung, deren Auslöser noch nicht gefunden ist. Am Freitag entdeckten die zuständigen Veterinäre auf Röntgenbildern von Jamunas Vorderbeinen, dass sich die Wachstumsfugen an den Knochenenden verschoben hatten. Der Elefant schrie vor Schmerzen. Knieriem und sein Team beschlossen, ihn in eine Spezial-Klinik für Wildtiere bei Augsburg zu bringen. „Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch die Hoffnung, dass wir einfach nur warten müssen, bis ihre Beine wieder heilen.“ Aufgeregt und mit hängenden Köpfen verabschiedeten sich die sechs anderen Elefanten vom jüngsten Mitglied ihrer Herde.
In der Klinik wurde das 170-Kilo-Baby in einer Hänge-Trage-Vorrichtung für Ponys untergebracht, um seine Beine zu entlasten. Zusätzlich wurden die Gliedmaßen mit Gipsschienen stabilisiert. „Trotzdem haben sich an Vorder- und Hinterläufen weitere Brüche gebildet, ähnlich wie bei der Glasknochenkrankheit“, erzählt Knieriem. Vermutlich entstanden auch an anderen Stellen Frakturen. „Aber so ein großes Tier lässt sich nicht einfach röntgen wie ein Dackel“, sagt der Zoo-Direktor.
Schließlich konnte der kleine Elefant nur noch liegend behandelt werden. Massive Kreislaufprobleme und eine Lungenentzündung waren die Folge. Schweren Herzens rang man sich dazu durch, Jamuna von ihren Qualen zu erlösen. „Wir haben das nicht allein entschieden. Wir waren einfach zu nah dran.“ Wieder stockt Andreas Knieriem die Stimme. Eine Ethik-Kommission aus Pflegern, Veterinären, Tierschützern und Behörden-Vertretern habe das letzte Wort gehabt. Den schmerzgeplagten Elefanten weiter am Leben zu erhalten, sei nicht vertretbar gewesen.
Ihre Pfleger und die zuständigen Veterinäre waren bis zur letzten Sekunde an Jamunas Seite. „Sie war doch ein Mitglied der Hellabrunner Familie“, sagt Knieriem. Der Elefant habe ein Morphin-Präparat gegen die Schmerzen bekommen und sei sehr entspannt gewesen. „Um 14 Uhr haben wir ihr etwas gegeben, das sie in Ruhe einschlafen ließ.“ Der Zoo-Direktor holt tief Luft. „Jetzt trauert der gesamte Tierpark um unseren kleinen ,Mockel’, der uns in den letzten Monaten sehr ans Herz gewachsen ist.“
Die Gründe für das mysteriöse Leiden liegen auch nach Jamunas Tod im Dunkeln. Noch warten die Hellabrunner auf die Auswertung verschiedener Untersuchungen. „Das Problem ist, dass es sich um einen ganz singulären Fall handelt, der so in keinem Buch nachzulesen ist“, sagt Andreas Knieriem. Die Erkrankung könne genetische Ursachen haben, „es kann auch an der Aufzucht liegen – wir wissen es noch nicht.“ Hartnäckig hält sich außerdem der Verdacht, dass sich aufgrund einer Stoffwechsel-Störung nicht genug Kalzium in Jamunas Knochen ablagern konnte.
Wie wichtig dieses Element für das Wachstum von Säugetieren ist, erklärt Ellen Kienzle, Inhaberin des Lehrstuhls für Tierernährung und Diätetik am Institut für Veterinärmedizin der LMU: „Eine junge Dogge lagert jeden Tag vier Gramm Kalzium in ihren Knochen ab, ein Pferd 20 Gramm, ein Elefant noch viel mehr.“ Aufgenommen wird Kalzium mit der Nahrung. Jamuna, die von ihrer Mutter Panang nach der Geburt verstoßen worden war, wurde mit einer speziellen Baby-Milch für Elefanten gefüttert. „Einer hochwertigen Milch, die sehr aufwendig entwickelt wurde“, so der Zoo-Direktor. Allerdings räumt er ein: „Die Milch gibt es noch nicht lange und es wurden auch noch nicht viele Elefanten damit aufgezogen.“ Der Kalzium-Spiegel in Jamunas Blut sei jedoch völlig normal gewesen. „Wir wissen aber nicht, wie es von den Knochen absorbiert wurde.“
Laut Ellen Kienzle können auch Kupfer-, Zink- oder Manganmängel Störungen am Skelett verursachen. „Genau wie ein plötzlicher Wachstumsschub.“
Oder eben doch ein genetischer Defekt. Nach AZ-Informationen sorgten sich die behandelnden Veterinäre schon viel länger um den Elefanten, als bisher bekannt war. So soll etwa Jamunas Kot ungewöhnlich hell gefärbt gewesen sein. Auch Ellen Kienzle macht sich bereits seit einiger Zeit Gedanken um die Gesundheit des Mini-Dumbos. „Auf den Bildern, die von ihr veröffentlicht wurden, hat sie mir gar nicht gefallen. Ihr Kopf wirkte im Verhältnis zum Körper sehr groß. Ein Zeichen dafür, dass ein Jungtier nicht richtig gedeiht.“
Hat Panang ihre Tochter deshalb im Stich gelassen? Weil sie vor allen anderen erkannte, dass ihr Baby nicht überlebensfähig war? „Säuglingssterblichkeit gehört leider auch zum Elefantenleben“, sagt Josef Reichholf von der Zoologischen Staatssammlung. „Eingeschläfert zu werden, erspart Jamuna den langsamen schmerzvollen Tod, dem sie in der Natur ausgesetzt gewesen wäre.“
Gewissheit soll nun eine Sektion im Berliner Institut für Zoo- und Wildtierforschung bringen. Ein Pfleger und Hellabrunns leitende Tierärztin Christina Kempter brachten den toten Elefanten gestern dort hin. Denn schon nächstes Jahr steht im Münchner Tierpark wieder eine Schwergewichts-Geburt bevor: Elefanten-Dame Temi ist schwanger. In ihrem Fall sind Knieriem und seine Crew guter Dinge. „Bei Temi läuft alles glatt und wir haben die Hoffnung, dass sie die Aufzucht selber schafft.“ Das sei dann auch Jamunas Verdienst. „Durch sie konnten unsere Elefanten zum ersten Mal erleben, dass hier ein Junges geboren wird und aufwächst. Das ist für die soziale Kompetenz der Tiere sehr wichtig.“
Natalie Kettinger