Hausliche Gewalt gegenüber Kindern: Expertin spricht über Folgen

Laut Statistik erlebt jede vierte Frau Gewalt durch den Partner. Für viele ist es sogar Alltag. Auch jedes fünfte Kind erlebt zuhause häusliche Gewalt. Heute beginnen in München die Aktionswochen gegen Gewalt an Frauen, Mädchen und Buben.
Häusliche Gewalt betrifft meistens auch Kinder – sie wachsen in einer von Gewalt geprägten Atmosphäre auf oder erleben sie unmittelbar. Die AZ sprach mit der Sozialpädagogin Sandra Dlugosch. Sie hat ein Buch über die Folgen für Kinder geschrieben ("Mittendrin oder nur dabei", VS Verlag).
AZ: Frau Dr. Dlugosch, wie viele Kinder erleben häusliche Gewalt mit?
SANDRA DLUGOSCH: Etwa jedes Fünfte. Laut einer Studie haben 21,3 Prozent der Befragten angegeben, dass sie Gewalt zwischen erwachsenen Bezugspersonen miterlebt haben.
Reagieren Buben anders als Mädchen, wenn die Mutter angegriffen wird?
Es ist für beide gleich belastend. Jedes Kind fühlt sich allein und hilflos. Und sowohl Buben als auch Mädchen können sich nicht vorstellen, dass es so etwas auch anderswo gibt. Sie wünschen sich einfach nur, dass das aufhört. Unterschiede gibt es in der Art, wie das Erlebte verarbeitet wird. Mädchen identifizieren sich stärker mit ihrer Mutter und damit mit dem Opfersein, Buben mit der Vaterfigur. Sie entwickeln leichter Rechtfertigungsstrategien – wie der männliche Partner sie vorlebt. Er sagt beispielsweise: "Die Mutter hat mich dazu gebracht."
Häusliche Gewalt bei Kindern: So reagieren sie richtig
Welche Symptome zeigen betroffene Kinder?
Mädchen ziehen sich oft zurück, sie werden eher ruhiger, zeigen depressives und selbstverletzendes Verhalten. Buben reagieren eher mit Aggressionen und nach außen gerichteten Auffälligkeiten.
Wie kann diesen Kindern geholfen werden?
Sie müssen Positives erleben und lernen, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Ganz wichtig sind Selbstbestätigung und Selbstwirksamkeit. Sie brauchen die Erfahrung, selbst etwas erreichen zu können.
Warum suchen Jugendliche selten selbst Hilfe?
Weil sie häufig gesagt bekommen, dass das niemanden etwas anginge. Wenn sie erzählen würden, haben sie das Gefühl ihre Familie zu verraten. Auch haben sie Angst vor den Folgen. Erwachsene drohen häufig mit Sätzen: "Dann kommt das Jugendamt und nimmt dich weg."
Gewaltfreie Beziehung
Wie erfahren Jugendämter und andere Stellen von häuslicher Gewalt?
Am häufigsten kommt es ans Licht, wenn Lehrer oder Betreuer Verhaltensauffälligkeiten und Entwicklungsdefizite feststellen. Dann macht man sich auf die Suche nach dem Grund. Die zweite Säule sind die Mütter, die selbst Hilfe suchen, die dritte ist die Polizei, die zu Einsätzen wegen häuslicher Gewalt gerufen wird.
Wie hoch ist das Risiko, dass betroffene Kinder später ebenfalls in gewalttätigen Partnerschaften leben?
Das Risiko ist ums Dreifache höher. Aber wenn sie Möglichkeiten haben, gehört zu werden und Alternativen zu erleben, haben sie genau so gute Chancen wie andere Kinder später eine gewaltfreie Beziehung zu führen.
Was können Außenstehende tun, wenn sie sich Sorgen um ein Kind machen?
Man muss genau hinschauen, um herauszufinden, warum sich ein Kind auffällig verhält. Ein Gespräch anzubieten ist nie verkehrt, aber man muss dem Kind auch einen Ausweg lassen, denn es ist wahnsinnig schwierig, über so etwas zu sprechen. Auch einen angstfreien Raum anzubieten, wo Kinder gewaltfrei spielen können, hilft. Wenn man das Gefühl hat, mit diesem Kind stimmt etwas nicht, rufen Sie bei einer Beratungsstelle an und sagen Sie, dass Sie sich Sorgen machen.
Manche haben Angst zu denunzieren.
Bei einer Beratungsstelle anzurufen, hilft, die Situation besser einzuschätzen. Das geht auch anonym. Auch beim Jugendamt kann man anonym anrufen.
Wege aus der Gewalt
Dokumentarfilme, Selbstbehauptungskurse, Fortbildungen für Fachkräfte, Lesungen: Ab Dienstag finden in ganz München Veranstaltungen und Vorträge statt (auch auf Türkisch, Polnisch, Englisch, Rumänisch). Die zentrale Veranstaltung der Aktionswochen ist am Freitag, 16. November im Rathaus. Thema: "Digitale Gewalt gegen Frauen, Mädchen und Jungen – Was tun gegen 'Cyber Mobbing', 'Cyber Stalking'?" Das komplette Programm gibt es kostenlos bei der Gleichstellungsstelle im Rathaus, in der Stadtinformation, bei KOFRA, Baaderstraße 30, oder bei den Veranstaltern. Sowie im Netz unter: www.muenchen.de /frauengleichstellung