Hamas-Überlebende in München: "Meine Freundin aus Kindertagen wurde umgebracht"

München - Ella Bargil sitzt in ihrem Auto. Die 17-Jährige ist auf dem Heimweg, hatte sich mit Freunden und ihrem Freund getroffen und eine schöne, lustige und vor allem unbeschwerte Zeit verbracht.
Doch die schöne Erinnerung daran wird jäh unterbrochen. Zehn Meter neben ihrem Wagen, kurz bevor sie ihr Elternhaus erreicht, schlägt plötzlich eine Rakete ein. Es ist der 7. Oktober und Hamas-Terroristen überfallen gerade ihren Kibbuz Nirim im nordwestlichen Negev in Israel, nahe der Grenze zum Gaza-Streifen, in dem 450 Menschen leben.
Jugendliche aus Israel berichten in München: Terroristen und Raketen
Die israelische Jugendliche schildert leise, aber konzentriert die schrecklichen Erlebnisse vor Schülerinnen der 11. Jahrgangsstufe des Mädchen-Gymnasiums Max-Josef-Stift in München-Bogenhausen. Sie ist nicht allein nach München gekommen, um an insgesamt sieben Schulen in Bayern von den traumatischen Ereignissen, die ihr junges Leben schlagartig verändert haben, zu berichten. Ori Hefetz und Idan Borenshtein, beide 15 Jahre alt und ebenfalls aus dem Kibbuz Nirim, haben sie begleitet. Idan hat sogar seinen Vater Tal mitgebracht.
Ella rettet sich mit einem Sprung aus ihrem Auto vor der tödlichen Rakete. Sofort ruft sie ihren Vater an. Etwa zehn Minuten später findet er seine Tochter. "Er trägt kein T-Shirt, nur eine Badehose und Flipflops. Wir versteckten uns für zwei Stunden in einem Schutzraum. Terroristen steiften umher, entdeckten uns zum Glück nicht. Anschließend konnten wir in den Schutzraum unseres Hauses flüchten." Dort hört die Familie die lauten und starken Explosionen. Und Terroristen, wie sie "Lasst uns alle Juden töten!", rufen.

Es dauert zehn Stunden, bis Ella, ihr Bruder und die Eltern vom israelischen Militär befreit werden. Mit den Worten: "Eine Freundin aus Kindertagen und ihr Vater wurden umgebracht. Andere meiner Freunde wurden ebenfalls ermordet oder in den Gaza-Streifen verschleppt", beendet Ella ihre Erzählung. Es herrscht Stille.
Große Verwirrung und Angst
Dann ergreift Idan das Wort. "Es war 6.40 Uhr in der Früh, als mein Vater mich weckte und mir sagte, ich solle in den Schutzraum gehen." Für etwa zehn Minuten harrt die Familie dort aus. Auf den Handys gehen zahlreiche Nachrichten von Nachbarn ein, die von Gewehrschüssen schreiben. Von wem kommen die? Vom israelischen Militär? Die Verwirrung ist groß. Idans Vater behält einen kühlen Kopf und lauscht. Er erkennt, dass es sich bei den Waffen um kein M16-Modell handelt, das das israelische Militär standardmäßig benutzt.
Er weiß sofort: Das sind die Gewehre der Terroristen. Schlagartig verlässt die Familie das Haus, flüchtetet mit dem Auto zur Großmutter. Auf dem Weg dorthin, geht erneut der Raketenalarm los. "Wir sprangen aus dem Auto, legten uns flach auf den Boden und hielten schützend unsere Hände über den Kopf", sagt er.
Zehn Minuten später sitzen sie wieder im Wagen, fahren weiter, erreichen ihr Ziel. Idan telefoniert mit einem Freund aus dem Kibbuz, wo die Terroristen mittlerweile den Strom abgestellt haben. "Ich war sehr angespannt und nervös, weil ich nicht wusste, was mit meinen Freunden passieren wird", erzählt der junge Mann.
Um Haaresbreite den Terroristen entkommen
Die Familie bleibt bis zum nächsten Tag bei der Oma und erfährt, dass die Bewohner ihres Kibbuz evakuiert und in die Hafenstadt Eilat gebracht werden. Sie beschließt, der Gemeinschaft zu folgen. "Zum Glück ist meinen Freunden nichts passiert. Sie sind alle wohlauf!" Erst im Nachhinein erfahren Idan und seine Eltern, dass ihnen auf der Flucht ein Fahrzeug mit Terroristen entgegengekommen ist und sie von denen nicht gestoppt wurden.
Auch Ori, ihr Bruder, ihre Mutter und ihr Stiefvater haben Glück und überleben den Terror-Angriff. Aber die Erinnerungen an den 7. Oktober sind nach wie vor präsent, werden die Schülerin vermutlich nie wieder loslassen. "Als meine Mutter mich weckte, war es halb sieben morgens. Raketenalarm war zu hören und wir flüchteten in den Sicherheitsraum. Mein Handy hatte ich nicht mitgenommen, weil ich dachte, dass ich nach 20 Minuten den Schutzraum wieder verlassen und weiterschlafen würde", erinnert sie sich. Nach kurzer Zeit begreift Ori, dass dieses Mal alles anders ist. Die vierköpfige Familie hört Schreie auf Arabisch. Es folgen Schüsse. Die Mutter liest auf dem Handy den Kibbuz-Gruppenchat. Allen ist klar, dass die Hamas-Terroristen in der Siedlung sind. Zwölf Stunden später wird die Familie befreit. Ori schaut auf ihr Handy: 50 unbeantwortete Text-Nachrichten.
Aktuell sind die drei Jugendlichen mit ihren Familien in einem Hotel im Ferienort Eilat am Roten Meer untergebracht. Sie können frühestens im Sommer in ihren Kibbuz Nirim zurückkehren.