Grundschul-Rektor zur Corona-Krise: Die Kinder sind bedrückt
München - Seit fünf Wochen ertönt in dem großen Schulgebäude an der Berg-am-Laim-Straße kein Gong mehr. Der Schulhof, die langen Flure und die Klassenzimmer werden auch am Montag wieder nahezu verwaist sein. Es ist seit 38 Tagen so ruhig, als wäre immer Wochenende. Nur die Schulleiter und ein paar Lehrer halten vor Ort und am Telefon die Stellung. Und neun Kinder kommen nach wie vor fast jeden Tag. Sie werden in einem Klassenzimmer "notbetreut", da ihre Eltern in systemrelevanten Berufen arbeiten. Bald werden es wohl deutlich mehr werden, denn dann haben auch die Kinder alleinerziehender Eltern einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz.

Am 13. März wurde die Grundschule – wie alle anderen Schulen auch – auf unbestimmte Zeit geschlossen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. "Wer meint, die Kinder seien freudig raus, täuscht sich", berichtet Rektor Michael Hoderlein (54) über den letzten Schultag. "Viele waren bedrückt. Die Ängste und die Unsicherheiten der Erwachsenen übertragen sich."
Die "BaL", wie Lehrer und Eltern sie nennen, ist eine der größten Grundschulen in München. Fast 600 Schüler werden hier von 60 Lehrern unterrichtet, dazu kommen Erzieher, pädagogische Hilfskräfte und 40 weitere Mitarbeiter. Morgens, halb acht kommen die ersten Kinder zum Frühstücken, rund 100 Schüler nehmen das tägliche Angebot an. Erst um 18 Uhr verlassen die letzten Kinder das Gebäude wieder, dann ist die Ganztagsbetreuung vorbei. "Die Schule ist für die Kinder das zweite Zuhause", sagt der Rektor.
Hoderlein: "Den Kindern wird emotional viel abverlangt"
Zwei Drittel von ihnen haben einen Migrationshintergrund, ihre Eltern kommen aus 83 verschiedenen Nationen. "Das entspricht der Mischung im Stadtteil", erklärt Hoderlein. Manche Kinder sprechen kein Wort Deutsch, wenn sie die Schule das erste Mal betreten. Mit Vorschulkursen und speziellen Förderklassen auch für traumatisierte Kinder, schaffen es fast alle nach ein, zwei Jahren in reguläre Klassen, sagt der Schulleiter. Nun, während der Schulschließung, sind die Kinder und ihre Eltern weitgehend auf sich gestellt.
"Es ist eine schwere Zeit. Den Kindern wird emotional viel abverlangt", sagt der Rektor. "Man muss bedenken, unter welchen Bedingungen manche leben. In einem Haus mit Garten lässt sich diese Zeit leichter überstehen, als in einer Zwei-Zimmer-Wohnung mit drei Kindern." Andere Kinder wiederum sind den ganzen Tag allein. Bis Sonntag durften sie sich draußen nicht einmal mit einem Freund draußen zum Spielen treffen.
"Wir sind auch weiter für alle Schüler und die Eltern da", betont der Rektor. Gleichzeitig ist ihm bewusst, dass die Einflussmöglichkeiten nun deutlich begrenzter sind. "Momentan ist vieles nicht zu sehen für uns. Wenn die Kinder jeden Tag in der Schule sind, kriegen wir natürlich mehr mit."
So läuft das Homeschooling ab
Am letzten Schultag bekamen die Schüler Bücher und Hefte mit nach Hause. Nun, da die Osterferien zu Ende sind, bekommen die Schüler wieder Wochenpläne und Arbeitsblätter, die sie bearbeiten sollen. Per Mail, per Post oder sogar persönlich. Eine Lehrerin fuhr mit dem Fahrrad alle Adressen ab, um ihren 23 Schülern die Aufgaben zu bringen. "Die Kinder standen auf dem Balkon oder am Fenster, um mit ihr zu sprechen", erzählt der Rektor.
Digitaler Unterricht in der Grundschule sei "Gerede" und eine Illusion. "Es gibt viele Familien, die keinen PC, kein Tablet und keinen Drucker haben." Michael Hoderlein leitet die Grundschule in Berg am Laim seit 14 Jahren, er ist sich sicher: "Die Leistungsschere wird gewaltig aufgehen" – durch das Lernen zuhause. Oftmals verzichten die Lehrer darauf, die Arbeitsblätter korrigiert zurückzuschicken.
"Wenn man sehr viele Fehler anstreicht, kann das viel Negatives anrichten. Bei den Erst- und Zweitklässlern werden wir die Defizite später wieder auffangen können. Sorgen machen mir eher die Dritt- und Viertklässler", sagt der Rektor.
Doch das Vermitteln von Lerninhalten sei nur die eine Seite. "Die andere ist die fehlende emotionale Sicherheit, dass die Kinder nicht wissen, wie es weitergeht."
Zwei Meter Abstand halten? "Das ist unmöglich"
Trotz allem findet es der Rektor richtig, dass die Grundschulen und Kindertagesstätten als Letzte wieder öffnen sollen. "Versuchen Sie mal, einem Sechs- oder Siebenjährigen beizubringen, eine Maske aufzusetzen, die er von 7.30 bis 18 Uhr tragen soll. Oder zwei Meter Abstand zu den anderen Kindern einzuhalten. Das ist unmöglich!"
Wann in Berg am Laim wieder Kinder über den Schulhof toben und in den Zimmern das Einmaleins büffeln werden, ist noch unklar. Michael Hoderlein geht davon aus, dass man dann alle Klassen teilen wird. "Ich sehe das zwar mit Skepsis, wie wir das mit dem Lehrermangel schaffen sollen. Aber irgendwie werden wir es schon hinkriegen. Ich bin Optimist."
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