Gigolo Helg Sgarbi und sein Guru: Der Verführer im Hintergrund

MÜNCHEN/PESCOSANSONESCO - Im Prozess gegen Helg Sgarbi wird Sekten-Guru Ernani Barretta (64) aus Pescosansonesco keine Rolle spielen. Dabei deutet vieles darauf hin, dass der selbst ernannte Wunderheiler der eigentliche Drahtzieher ist.
Als Ernani Barretta Ende Februar das Gefängnis San Donato in Pescara verlässt, erkennen ihn die wartenden Journalisten nicht. „Ernani? Der kommt nach mir“, sagt er. Fast wäre es ihm so gelungen, sich unerkannt aus dem Staub zu machen. Das passt zu Barretta – dem Mann, dessen Charme auch Helg Sgarbi erlegen ist, der auch bei der Klatten-Erpressung die Fäden im Hintergrund gezogen hat.
Nach acht Monaten Haft ist der einst so strahlende Italiener mit den dunkelbraunen Haaren völlig verändert: Ausgezehrt, ergraut, um zehn Jahre gealtert. Doch kein übernatürliches Phänomen hat den Sekten-Guru verwandelt. Im Gefängnis ist Barretta ausnahmsweise irdischen Gesetzen ausgeliefert. Und weil er so eine Fremdbestimmung nicht gewohnt ist, zieht er einen letzten Trumpf – und tritt über 40 Tage in Hungerstreik.
Die Italiener nennen Susanne Klatten Lady BMW
Auch wenn Barretta in München nicht vor Gericht stehen wird, in der Erpressungsserie um wohlhabende Frauen und Lady BMW, wie Susanne Klatten in Italien genannt wird, spielt der Bauernsohn keine bloße Statistenrolle.
Er stammt aus Pescosansonesco, einem 550-Seelen-Ort in den italienischen Abruzzen, der sich an die Hänge zwischen Gran Sasso und Maiella schmiegt. Wallfahrer beten hier zum heiligen Nunzio Sulprizio, auf den Wiesen weiden Schafe, unter der Erde wachsen Kartoffeln. Hier hat sich Barretta ein Imperium mit neun Immobilien aufgebaut, darunter den Luxus-Agriturismo Rifugio Valle Grande. Diese scheinbar naive Idylle – sie ist sein Erfolgsgeheimnis.
Barretta sagt, sein Sperma sei das Blut Jesu
Barretta, drittes von zehn Kindern, ist ein armer Pescolano, wie die Menschen aus Pescosansonesco genannt werden. In den 60ern geht der Automechaniker nach Konstanz, später in die Schweiz. Bald merkt er, dass er auf Menschen große Anziehungskraft ausübt: Er fängt an, das auszunutzen und Sinnsuchende um sich zu scharen. Einige halten ihn für die Reinkarnation Jesus Christus. Immer freitags lässt der Guru Wunder geschehen und seine Hände bluten. Auf seinen Vistitenkarten nennt er sich fortan „Sensitivo“ – einen Mann mit übernatürlichen Fähigkeiten.
Weil in Barrettas Welt nichts umsonst ist, geben ihm seine Jünger Geld. Viele der jungen Frauen auch ihren Körper – wie ein ehemaliges Sektenmitglied dem Zürcher Tages-Anzeiger berichtet. „Hatten wir Sex, sagte er immer, er heile mich damit. Sein Sperma sei das Blut Jesus Christus Jesus Christus, es reinige den Geist.“ Helg Sgarbi gehört schon fast zwanzig Jahre zum Kreis des selbst ernannten Wunderheilers. Verkehrte Welt: Vom Verführer im Hintergrund ist er ähnlich fasziniert wie Klatten und Co. von ihm.
Hat auch Sgarbis Frau mit Barretta geschlafen?
Auch Sgarbis Frau Gabriele Franziska, genannt Ela, ist Teil von Barrettas-Gruppe. War auch sie mit dem Guru im Bett? Sicher ist, dass sie sich in Pescosansonesco aufhält und bei Barretta wohnt. Für die Menschen im Ort ist die Sekten-Geschichte ein alter Hut. „Dass Barretta auf eine pseudoreligiöse Weise Menschen beeinflusst hat, das wissen wir schon lange“, sagt Bürgermeister Domenico di Gregorio (60).
Er hat Sgarbi öfter im Dorf gesehen. „Aber immer wenn ich ihm begegnet bin, hat er die Straßenseite gewechselt. Er war sehr reserviert, hat mit niemandem gesprochen.“ Die Gruppe, zu der nur Ausländer gehören, bleibt lieber unter sich. Der Guru betont gerne, wie viel er für den Ort getan habe. Di Gregorio kann da nur lachen: „Barretta ist kein Wohltäter, er hat alles nur für sich gemacht.“
"Im Moment sieht man Barretta im Dorf nicht"
Am 24. März beginnt in Italien der Prozess gegen Barretta, bis dahin muss er sich in Pescosansonesco aufhalten. Den Pescolani gefällt die ganze Sache nicht. „Hier leben ehrliche Leute“, sagt di Gregorio. „Im Moment sieht man Barretta im Dorf nicht.“
Vielleicht, weil er sich in seinem Chalet oberhalb vom Rifugio Valle Grande auf die Verhandlung vorbereitet. Mit einem Teleskop beobachtet er die Umgebung. Im Prozess soll auch geklärt werden, ob es sich bei den 1,7 Millionen, die auf seinem Grund gefunden wurden, um Klatten-Geld handelt. Barretta muss nicht ins Fernrohr schauen, um die Antwort darauf zu finden.
Verena Duregger