Gewalt in S- und U-Bahnen: Weniger Fälle als gefühlt

Der Fall Dominik Brunner war ein "Schlüsselereignis". Doch statistisch gesehen ist die Zahl der Gewalttaten in S- und U-Bahnen in Bayern gesunken. Medienexperten sehen eine verzerrte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.
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Notrufsäule am Sollner S-Bahnhof
dpa Notrufsäule am Sollner S-Bahnhof

MÜNCHEN - Der Fall Dominik Brunner war ein "Schlüsselereignis". Doch statistisch gesehen ist die Zahl der Gewalttaten in S- und U-Bahnen in Bayern gesunken. Medienexperten sehen eine verzerrte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit.

Seit dem Tod von Dominik Brunner im September 2009 tauchen immer wieder Negativschlagzeilen über den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in München auf. Bürger der Stadt hören häufig die bange Frage von Gästen, ob man denn angesichts der vielen bekanntgewordenen Gewalttaten überhaupt noch mit der U-Bahn fahren sollte. Dabei ist das Gegenteil der Fall: Die Zahl von gewaltsamen Übergriffen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geht laut Innenministerium zurück. Medienwissenschaftler sprechen von verzerrter Realität und einem immer wiederkehrenden Phänomen.

Wie die Nachrichtenagentur ddp schon vor Veröffentlichung der aktuellen Kriminalstatistik aus dem Innenministerium erfuhr, ging die Gewaltkriminalität im ÖPNV im vergangenen Jahr im Vergleich zu 2008 um 5,1 Prozent zurück. 2009 wurden 394 solcher Fälle gezählt. Die Münchner Polizei kam bei einer Auswertung der Monate Januar bis September 2009 zu einem ähnlichen Ergebnis. Mit 156 Gewaltdelikten im Münchner ÖPNV sank der Wert im Vergleich zu 2008 um 37 Fälle. Damit setzte sich die Entwicklung aus den Vorjahren fort, denn bereits zwischen 2007 und 2008 verringerte sich der Wert um fast ein Viertel.

Den Tod von Brunner, der von zwei Jugendlichen am Münchner S-Bahnhof Solln totgeprügelt wurde, nennt der Kommunikationswissenschaftler Hans-Bernd Brosius von der Ludwig-Maximilians-Universität München ein „Schlüsselereignis“. Dieser Vorfall habe wie bereits viele andere vor ihm eine ganze Reihe von immer gleichen Abläufen zur Folge, sagt Brosius und: „Sie ändern das Orientierungsverhalten von Journalisten.“ Damit meint er, dass auch Kleinereignisse wie harmlose Pöbeleien thematisch „hochgezogen“ werden, sofern sie strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Schlüsselereignis haben. Wenn etwa der Tatort ebenfalls eine S-Bahn ist.

Für die Opfervereinigung Weißer Ring sind vor allem die stärkeren Überwachungsmaßnahmen eine Folge der öffentlichen Debatte. “Der Fall Brunner hat schon aufgerüttelt„, sagt Verbandssprecher Arved Semerak. Mittlerweile gebe es in jedem Waggon Überwachungskameras und auch das Sicherheitspersonal sei viel präsenter in den Zügen. “Das schreckt sicher einige ab", sagt Semerak.

Wegen der hohen medialen Aufmerksamkeit für das Thema könnten Leser jedoch den Eindruck gewinnen, die Realität habe sich verändert, sagt Kommunikationsforscher Brosius. Der Wissenschaftler weiß von Fällen mit einem vergleichbaren Medienecho wie der Debatte um Maulkörbe für Kampfhunde oder der Forderung nach schärferen Waffengesetzen in der Folge von Amokläufen, dass das Medieninteresse nach einer gewissen Zeit von ganz alleine wieder abnimmt. „Auf die Dauer stumpfen die Leute ab“, sagt Brosius.

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