Gewalt auf Bahnhöfen - Warum immer in München?

Der Kriminologe Christian Pfeiffer über die Häufung brutaler Attacken auf Bahnhöfen – und die Notwendigkeit der Kamera-Überwachung.
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Blumen für das Opfer Dominik B.
AP Blumen für das Opfer Dominik B.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer über die Häufung brutaler Attacken auf Bahnhöfen – und die Notwendigkeit der Kamera-Überwachung.

AZ: Schon wieder ein Gewaltexzess von Jugendlichen in München – trügt der Eindruck oder passieren solche Fälle in München häufiger als in anderen Städten?

CHRISTIAN PFEIFFER: Wenn in München derzeit eine Häufung auftritt, dann ist das Zufall. Es gibt bundesweit statistische Erhebungen zu Gewalt- und Tötungsdelikten, die Jugendliche begangen haben. Dabei sticht München nicht hervor. Im Gegenteil: In Bayern liegt die Häufigkeit solcher Delikte unter dem Bundesschnitt.

Warum geschehen die Taten oft auf U- oder S-Bahnhöfen?

Der Konflikt beginnt meistens schon in der Bahn. Die anderen können nicht weglaufen, wie auf der Straße. Man ist gemeinsam eingesperrt bis zum nächsten Halt. Das provoziert bei Jugendlichen Kraftmeierei, Machogehabe. Die Situation schaukelt sich während der Fahrt auf. Und wenn die Türen aufgehen, wollen die Jugendlichen zeigen, dass sie es wirklich drauf haben.

Was kann man gegen solche Übergriffe tun?

Für Busse in einigen Städten Nordrhein-Westfalens ist ein tolles Konzept entwickelt worden. Wenn es während der Fahrt zu Konflikten kommt, drückt der Fahrer ein Knöpfchen. Dann werden auf den Bildschirmen in den Bussen sofort die Kamera-Aufzeichnungen des Vorfalls gezeigt – damit klar ist, dass alles dokumentiert wird. Dann hält der Fahrer und öffnet die Türen, damit man raus kann.

Das ist aber im U-Bahn-Tunnel nicht möglich.

Deswegen ist es wichtig, dass alle Bahnhöfe mit Kameras ausgerüstet werden. Das Risiko, bei einer Straftat erwischt zu werden, ist immer noch die beste Abschreckung.

Serkan und Spyridon, die Ende 2007 einen Rentner fast tot prügelten, ließen sich davon aber nicht abschrecken.

Vielleicht war ihnen nicht klar, dass sie gefilmt werden. Aber seit dieser Tat hat sich jedem eingebrannt, dass es an Bahnhöfen Kameras gibt.

Werden die Jugendlichen immer brutaler?

Im Gegenteil: Die Jugendgewalt geht zurück. Das liegt an mehreren Faktoren: Die Gewalt in Familien hat abgenommen, die Anzeigebereitschaft der Opfer und die Aufklärungsquote der Polizei sind gestiegen. Die Schulen haben eine Kultur des Hinsehens entwickelt und Jugendliche selbst missbilligen Gewalt stärker als früher. Gleichzeitig haben drei Risikofaktoren aber stark zugenommen.

Welche sind das?

Der Alkoholkonsum Jugendlicher ist deutlich gestiegen - und damit der Anteil angetrunkener Täter. Der Staat muss unbedingt mehr dagegen tun, dass Alkohol an Jugendliche verkauft wird – etwa durch den Einsatz von Testkäufern, die schwarze Schafe bei den Verkäufern überführen. Ein weiterer Faktor ist die Abstumpfung durch brutale Computerspiele. Bei ohnehin gefährdeten Jugendlichen kann das eine Desensibilisierung bewirken. Und der dritte Risikofaktor ist die Zusammenballung von stark belasteten Jugendlichen aus Randgruppen in Hauptschulen oder in großstädtischen Jugendzentren.

Schrecken hohe Strafen ab?

Nein. Abschreckend ist vor allem das Risiko, erwischt zu werden. Das Risiko also, Ärger zu kriegen. Ob der Ärger dann fünf oder sieben Jahre dauert, ist nicht ausschlaggebend. Das befriedigt nur die Volksseele.

Interview: Julia Lenders

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