Gerontologin arbeitet mit Angehörigen von Demenzkranken: "Wir finden Lösungen für Alltagsprobleme"

München - AZ-Interview mit Elisabeth Feustel: Die 33-Jährige ist seit 3,5 Jahren bei den Johannitern.
AZ: Frau Feustel, Sie leiten die Fachstelle für pflegende Angehörige bei den Johannitern. Wie erleben Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen?
ELISABETH FEUSTEL: Sie sind sehr belastet, unsicher was zu tun ist und hadern oft mit ihrem Gewissen. Die Angehörigen versuchen, alles für die zu Pflegenden zu tun - und vergessen darüber oft sich selbst.
Was kann das für Folgen haben, wenn man als Pflegender seine Grenzen und Bedürfnisse gar nicht mehr wahrnimmt?
Langfristig führt so eine Dauerbelastung, in der man ständig unter Stress steht, dazu, dass die Leistungsfähigkeit nachlässt. Das kann auch krank machen.
Pflegende dürfen sich selbst nicht vergessen
Woran merkt man, dass es zu viel ist? Gibt es Alarmzeichen?
Nicht mehr abschalten zu können, ständiges Gedankenkarussell, Ängste, Gereiztheit, Überforderung, Hoffnungslosigkeit, das sind alles Hinweise. Die Menschen haben das Gefühl auszubrennen. Ihr Akku ist leer. Schlafprobleme, Gewichtsverlust oder -zunahme, Erschöpfung oder Rastlosigkeit sind körperliche Hinweisgeber, dass es zu viel wird.
Was raten Sie da?
Nur wenn ich auf mich achte, kann ich auf jemand anderen achten - das ist nichts Böses, sondern logisch. Sie können in der Pflegesituation nur leistungsfähig bleiben, wenn Sie selbst versorgt und gesund sind.

Bei zu viel Pflege-Stress gibt es einige Möglichkeiten zur Entlastung
Wie kann ich es schaffen, auch für mich zu sorgen, wenn mich die Pflege doch absorbiert?
Lassen Sie sich beraten. Holen Sie sich Hilfe. Tauschen Sie sich aus, um zu sehen, dass Sie nicht alleine sind und sich für nichts schämen müssen. Kurz: Suchen Sie sich die nächste Fachstelle und rufen dort an. Wir besprechen die individuelle Situation, finden gemeinsam Lösungen für Alltagsprobleme und auch dafür, wie Sie sich erholen können.
Welche Hilfsangebote von außen gibt es, damit ein Pflegender mal Zeit findet für sich?
Es gibt stundenweise Entlastung durch Ehrenamtliche oder Ergotherapeutinnen, die zu Hause besuchen. Tages- oder Kurzzeitpflege können tage- bis wochenweise genutzt werden. Und wenn es gar nicht mehr geht, ist ein Pflegeheim oder eine Demenz-WG eine Option, die man trotz schlechtem Gewissen in Betracht ziehen sollte. Auch da unterstützen Angehörige, aber sie bekommen wenigstens nachts wieder Schlaf.