Geografin Julia Pongratz: Wie sich München durch den Klimawandel verändern wird
München - Hochwasser, Brände, Stürme – die Folgen des Klimawandels sind auf der ganzen Welt sehr dramatisch. Lässt sich die Erhitzung überhaupt noch stoppen?
Professorin Julia Pongratz koordiniert an der Ludwig-Maximilians-Universität ein großes Projekt, das sich damit beschäftigt, wie die Treibhausgase wieder aus der Atmosphäre entfernt werden können. Denn Pongratz ist sich sicher: Kohlenstoffdioxid einzusparen, reicht alleine nicht mehr. Die Geografin hat mit der AZ über die vielversprechendsten Methoden gesprochen. Sie erklärt, wie Gestein, Wälder und Meere helfen können, das CO2 abzupumpen.
AZ: Frau Pongratz, haben Sie Angst vor dem Klimawandel?
JULIA PONGRATZ: Ich bin verhalten positiv. Wir haben die finanziellen Ressourcen, das Wissen und die Technologien, mit denen wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch einhalten können. Es ist also wirklich eine Frage des Willens. Allerdings sind die globalen Emissionen noch nicht deutlich gesunken, vom ersten Pandemiejahr abgesehen. Deshalb betrachte ich mit Sorge, wie wir uns immer weiter von den Pariser Klimazielen entfernen. Aber nein, Panik ist es nicht. Wir haben es schließlich in der Hand.
Pongratz: Die extrem warmen Tage in München werden zunehmen
Schon jetzt ist die Erde um 1,1 Grad wärmer als im 19. Jahrhundert. Warum ist das ein Problem?
Dass sich die Temperatur im globalen Jahresmittel um 1,1 Grad erhöht hat, ist für Regionen wie unsere nicht das eigentliche Problem. Von einem Winter auf den anderen gibt es manchmal ja viel größere Unterschiede. Aber es ändert sich mit dem Klimawandel etwa auch die Wasserverfügbarkeit und Extremwetterereignisse wie Dürren und Stürme nehmen zu – und das trifft uns auch hier. Klimaforscher gehen davon aus, dass Hitzeextreme, wie sie im Schnitt alle zehn Jahre vorkommen, doppelt so häufig wie heute auftreten, wenn sich die Erde um zwei Grad erwärmt.
Wie sieht München in 20 Jahren aus?
Es wird sicherlich auch in München einige Zehntelgrad wärmer – wenn wir die Pariser Ziele verfehlen, auch mehr. Gerade die extrem warmen Tage werden zunehmen. Wir werden unsere Lebensgewohnheiten anpassen müssen. Körperliche Arbeit im Freien wird mittags oft schwierig sein. Der Bedarf nach Klimaanlagen wird steigen – was natürlich beim heutigen Energiemix fürs Klima fatal wäre, aber alten und kranken Menschen wird man diese Hitze nicht zumuten können.
Kann man die Erhitzung noch stoppen?
Selbst, wenn wir jetzt unsere Emissionen auf Null brächten, würden die globalen Temperaturen zunächst nicht deutlich sinken. Denn das zusätzliche CO2, das wir zum Beispiel durch die Verbrennung fossiler Energieträger bereits in die Atmosphäre eingebracht haben, wird nur sehr langsam abgebaut. So erzeugt es noch lange einen Treibhauseffekt. Aber begrenzen können wir den Temperaturanstieg natürlich schon.
Erderwärmung: Was jeder Einzelne dagegen tun kann
Kann der Einzelne überhaupt etwas beitragen?
Jeder muss seinen Beitrag leisten. Meinen Studierenden empfehle ich, online ihren CO2-Fußabdruck zu berechnen. So kann man sehen, welche Möglichkeiten man hat, die wenig weh tun, aber doch viel einsparen. Ein Langstreckenflug, etwa nach Südamerika, verdoppelt zum Beispiel im Schnitt die jährlichen CO2-Emissionen eines Deutschen.
Was können wir tun?
Wir brauchen schnell eine massive und dauerhafte Reduktion unserer Emissionen. Außerdem scheint es inzwischen zwingend notwendig, dass wir aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen, wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen.
CO2-Entnahme aus der Atmosphäre – wie funktioniert das?
Es gibt viele verschiedene Maßnahmen. Eine viel diskutierte ist die Aufforstung. Denn Wälder speichern viel Kohlenstoff im Holz und auch in ihren Böden.
Aufforstung kann nur begrenzten Beitrag gegen den Klimawandel leisten
Wie viel Wald bräuchte man, um das Klima abzukühlen?
In einer Studie haben wir gezeigt, dass es die globalen Temperaturen um etwa 0,3 Grad abkühlen würde, wenn wir acht Millionen Quadratkilometer aufforsten würden. Das ist etwa die Größe von Australien oder Brasilien. Solche Maßnahmen können also nur einen begrenzten Beitrag gegen den Klimawandel leisten.
Es braucht also noch andere Methoden.
Ein weiteres Beispiel sind Biomasseplantagen, um Bioenergie herzustellen. Ziel ist, damit Kohle, Öl und Gas zu ersetzen. Allerdings wird beim Verbrennen der Biomasse das durch die Photosynthese gebundene CO2 wieder frei. Damit der Atmosphäre wirklich CO2 entzogen wird, muss man das CO2 abscheiden und langfristig speichern.
Klingt schwierig.
Tatsächlich wird diese Methode bei der Erdölexploration schon seit Jahrzehnten angewendet. Da presst man CO2 in die Erde, damit das Erdöl besser gefördert werden kann. Zunächst ging es dabei natürlich nicht um Klimaschutz. Wissenschaftler forschen nun daran, ob man das CO2 in tiefe Gesteinsschichten einbringen kann – in der Hoffnung, dass es nicht mehr herauskommt.
Und das funktioniert?
Mit bestimmten Gesteinen wie Basalt funktioniert das tatsächlich. Basalt reagiert mit CO2 so, dass ein ganz neues Gestein entsteht und das CO2 damit auf Dauer gebunden ist. Allerdings ist der logistische Aufwand groß. Denn geeignetes Gestein gibt es nicht überall. Das heißt, man müsste das CO2 zuerst mit Pipelines oder mit Schiffen dorthin bringen.
Geografin : "Alle Methoden sind mit Risiken verbunden"
Wird dieses Verfahren schon eingesetzt?
In Island gibt es dazu das Pilotprojekt Orca. Dies ist die weltweit größte Anlage, die CO2 aus der Luft absondert und im Gestein speichert – und dennoch sind die Mengen sehr klein: Etwa 4.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid sollen dort so pro Jahr gespeichert werden. Zum Vergleich: Wir emittieren jedes Jahr ungefähr 40 Milliarden Tonnen CO2. Orca würde also die derzeitigen Emissionen von etwa 800 Menschen kompensieren. Wie schnell diese Methode zu nennenswerten Größen hochskaliert werden kann, darüber besteht noch große Unsicherheit.
Was gibt es noch für Ideen?
Auch Verwitterung entfernt Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre, allerdings dauert das Jahrmillionen. Die Idee ist, das zu beschleunigen.
Wie geht das?
Indem man Gesteinsmaterial ganz fein reibt, vergrößert man die Oberfläche, die mit dem CO2 in der Atmosphäre reagieren kann. Aber auch hier ist der Aufwand beträchtlich: Man muss zu Steinbrüchen fahren, das Gestein fein raspeln und dann mit Lastwagen das Gesteinsmehl zu den Feldern bringen, wo man es ausbringt.
Kann man auch jenseits des Landes blicken, etwa in den Ozean?
Der Ozean und die Atmosphäre tauschen natürlicherweise ohnehin große Mengen CO2 aus. Ziel ist, dass der Ozean mehr aufnimmt, als er in die Atmosphäre zurückgibt. Dazu kann man zum Beispiel Gesteinsmehl in den Ozean bringen und so die Chemie des Ozeans verändern. Auch Ozeandüngung ist eine Idee. Hierbei versucht man, die Photosynthese im Ozean anzuregen, indem man etwa Eisen einbringt. Die Hoffnung ist, dass die vermehrten Mengen an Algen und andere Organismen auf den Meeresgrund fallen. Damit würde CO2, das diese Pflanzen aufgenommen haben, ins Sediment übergehen und dort mit etwas Glück Jahrzehnte oder Jahrhunderte verbleiben. Die Feldversuche sind allerdings nicht besonders vielversprechend. Meistens wurden die Algen schon zersetzt, bevor sie ins Sediment übergingen.
"In Island wird CO2 aus der Luft abgesondert und gespeichert"
Welche dieser Methoden ist am vielversprechendsten?
Alleine genügt keine. Alle können nur einen sehr kleinen Teil unserer derzeitigen Emissionen ausgleichen. Zudem sind alle Methoden mit Risiken und ungewünschten Nebeneffekten verbunden. Der Wald beispielsweise kann in einer Dürre Schaden nehmen, Biomasseplantagen können mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren, das Gesteinsmehl kann Schadstoffe enthalten. Um das Risiko zu streuen, brauchen wir ein Portfolio aus verschiedenen Methoden.
Welche Methode ist schon jetzt anwendbar?
Momentan vor allem die Aufforstung und die Biomasseplantagen, wobei dabei noch nicht geklärt ist, wo man das CO2 speichern kann. In Deutschland etwa ist Einlagerung von CO2 in Gestein gesellschaftlich nicht akzeptiert. Das Einbringen von Stoffen in den Ozean mit dem Ziel, das Klima zu verändern, ist in Deutschland derzeit rechtlich nicht erlaubt. Vor allem für die zweite Hälfte des Jahrhunderts hofft man, mit der direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre eine nennenswerte Skala zu erreichen. Ich hoffe, das wird gelingen. Doch deutlich sicherer ist es, wenn wir das CO2 gar nicht erst in die Atmosphäre entlassen.
Julia Pongratz ist Inhaberin des Lehrstuhls für Physische Geographie und Landnutzungssysteme an der LMU. Ihre Forschung präsentierte sie auf dem Weltklimagipfel in Glasgow. Sie ist Mitglied des "Global Carbon Projects", einem weltweiten Zusammenschluss von Klimaforscherinnen.