„Gebt die Suche nie auf!“

Am 17. Mai 1985 wird Michaela Eisch missbraucht und getötet – derzeit überprüft die Polizei 250 Männer, die einen Massengentest ausließen
München - Das Mädchen hat seinen Kopf in die linke Hand gestützt, lächelt in die Kamera. Das Foto von Michaela Eisch ist an einem Holzkreuz befestigt. Es steht nicht auf einem Friedhof, sondern an der Wittelsbacherstraße, unterhalb der Braunauer Eisenbahnbrücke. Vor 27 Jahren wurde die damals achtjährige Schülerin aus der Maikäfersiedlung unweit dieser Stelle brutal missbraucht und mit ihrem eigenen Schlüpfer erdrosselt. 29 Tage später fand ein Arbeiter die Leiche. An Jesus Christus Himmelfahrt jährt sich das furchtbare Verbrechen. Bei der Suche nach dem Täter hat die Polizei in den vergangenen Monaten mehr als 2000 Männer, die zur Tatzeit in der Maikäfersiedlung lebten, um eine Speichelprobe gebeten. Die Zahl derer, die nun noch als mögliche Täter in Betracht kommen, ist inzwischen auf 250 geschrumpft.
Viele Münchner beschäftigt die Tat bis heute. Privatleute haben das Mahnmal, das von der Stadt geduldet wird, errichtet und pflegen es liebevoll. Nachdem Michaelas Grab inzwischen nicht mehr existiert, ist es für frühere Schulkameraden und Weggefährten ein wichtiger Ort des Gedenkens geworden. Im Internet gibt es außerdem ein „Trauerbuch Michaela Eisch“ (trauerbuchmichaelaeisch.npage.de). Ein Münchner, selbst Vater, betreibt die Seite. Er will damit die Erinnerung an Michaela wach halten.
Carmen, eine damals 13 Jahre alte Schulfreundin, ging mit Michaela am 17. Mai 1985 zum U-Bahnhof Michaelibad. Von dort wollte „Micha“ zum Hauptbahnhof fahren, um ihre Mutter im Alpenhotel abholen. Die 28-Jährige arbeitete dort als Bedienung. Für Michaela war es das erste Mal, dass sie alleine mit der U-Bahn fahren durfte.
Die Freundin erinnert sich: „Wenn ich voraussehen hätte können, dass Michaela nicht wieder kommt, hätte ich sie begleitet zu ihrer Mutter, aber ich musste in die andere Richtung. Sie hat mir noch zugewunken. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Es war schrecklich! Als ich wieder zu Hause war, hat man die Kleine schon gesucht.“ Inzwischen ist Carmen 40 Jahre alt und hat selbst eine achtjährige Tochter. Die Angst sitzt tief. „Ich begleite meine Tochter überall hin. Es ist sehr schwer für mich, sie selbstständig werden zu lassen.“
Michaela und Helga Eisch verpassten sich im Hotel. Die allein erziehende Mutter sah ihr Kind nie wieder. Am selben Tag begegnete Michaela ihrem Mörder. Zwei Frauen sahen sie in der Nähe des späteren Fundortes mit einem etwa 30 Jahre alten Mann. Die beiden wirkten vertraut. <QA0>
Der Fall ist der einzige ungeklärte Kindermord in München. Die Akten wurden nie geschlossen. 2011 ordnete ein Münchner Richter auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Massenscreening an: die erste DNA-Reihenuntersuchung in der Geschichte Münchens. Dank neuester Methoden hatten Kriminaltechniker an den alten Beweismitteln DNA-Spuren des Täters finden können. Mit diesem genetischen Täterprofil galt es nun die DNA aller Männer, die 1985 in der Siedlung lebten und vom Alter in Frage kamen, abzugleichen. Die Polizei forderte 1750 Münchner auf, im Juli in einer Sporthalle in der Bad Schachener Straße freiwillig eine Speichelprobe abzugeben. 1173 Männer kamen. Michaelas Mörder war nicht dabei.
Alle, die nicht gekommen waren, mussten erneut angeschrieben werden. Weitere 1000 Männer, die nicht mehr in München leben, wurden und werden von anderen Polizeidienststellen überprüft. Viel Arbeit. Doch mit jedem, der ausgeschlossen werden kann, zieht sich die Schlinge um den Täter zu – hoffen die Ermittler. Erster Kriminalhauptkommissar Reinhold Bergmann zur AZ: „Jetzt sind noch 250 offen.“
In dem Kondolenzbuch im Internet schreibt eine Tanja: „Gebt die Suche niemals auf!“ Und eine Conny hinterlässt den Eintrag: „Es ist das Schlimmste, was Eltern passieren kann. Ich bete für Euch, dass der Mörder auch nach so vielen Jahren noch gefunden wird.“ Michaelas Mutter wird nie erfahren, wer ihre Tochter getötet hat. Sie starb nur sieben Jahre nach ihrer Tochter an einem Asthma-Anfall.