Galerie muss Schadenersatz für 20 Jahre alte Pommes zahlen

Über Kunstgeschmack lässt sich ja streiten: Das Münchner Oberlandesgericht hielt sich daher lieber an wirtschaftliche Begründungen, um den Wert der Uralt-Pommes zu beurteilen
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So klein, so teuer: 2000 Euro kriegt der Kläger von seiner früheren Galerie, die die Fritten nicht sorgfältig genug aufbewahrt hatten.
dapd So klein, so teuer: 2000 Euro kriegt der Kläger von seiner früheren Galerie, die die Fritten nicht sorgfältig genug aufbewahrt hatten.

Über Kunstgeschmack lässt sich ja streiten: Das Münchner Oberlandesgericht hielt sich daher lieber an wirtschaftliche Begründungen, um den Wert der Uralt-Pommes zu beurteilen

München – So ist das in der Marktwirtschaft: Die Nachfrage bestimmt den Wert. Für zwei 22 Jahre alte und mittlerweile verschollene Fritten bekommt deshalb ein Künstler nun 2000 Euro
Schadenersatz. Das Münchner Oberlandesgericht entschied am Donnerstag: Seine frühere Galerie muss zahlen, da sie die Fritten nicht sorgfältig aufbewahrt hat. Die Kartoffelstäbchen hatten 1990 als Vorlage für ein Objekt aus Gold namens „Pommes d'Or“ gedient. Die heikle Frage, ob es sich dabei um Kunst handelte, ließ das Gericht offen.

Das sei ein „unsicheres Gewässer“, in dem die Vorinstanz gesegelt sei, sagte Gerichtssprecher Wilhelm Schneider. Das Oberlandesgericht habe vielmehr geprüft, ob die Pommes einen materiellen Wert darstellten. „Und das ist durch die Beweisaufnahme erwiesen worden.“

Der 23. Zivilsenat lud dafür eine Kunstsammlerin aus Köln als Zeugin, die aus Sicht der Richter „glaubhaft“ versicherte, dass sie die vertrockneten Pommes gerne gekauft hätte. Sie hätte sogar 2500 Euro gezahlt, „weil alles ist teurer geworden“, sagte sie im Januar vor Gericht. Dass sie mit dem Künstler Stefan Bohnenberger befreundet ist, minderte in den Augen des Senats unter Vorsitz von Hartmut Fischer ihre Glaubwürdigkeit nicht. Insgesamt sei den beiden umkämpften Fritten eine ganz andere Beachtung zuteilgeworden als gewöhnlichen Pommes, argumentierte er. Etwa seien sie 1990 in einer Vitrine ausgestellt gewesen. Die Kartoffel-Pommes standen dabei sogar mit weiteren Dingen für insgesamt 4200 Euro zum Verkauf – allerdings ohne Erfolg.

Ausgerechnet, als sich in der Sammlerin eine Kaufinteressentin fand, waren die Fritten verschwunden. Dem Künstler seien damit Einnahmen entgangen. „Der Wertverlust für den Künstler ist durch ein schuldhaftes Verhalten der Galerie eingetreten“, erläuterte Schneider.

„Das ist absurd – man ist regelrecht sprachlos“, sagt Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin beim Bundesverband Deutscher Galerien und Editionen über das Urteil. Der Gedanke der Gold-Pommes sei zwar „äußerst originell“. Jedoch seien die Pommes die Vorlage, nicht das Kunstwerk. Die Ur-Pommes könnten nur dann Kunst-Status haben, wenn sie als Einheit mit den Gold-Fritten gezeigt und verkauft würden. Es gebe Künstler, die mit organischen Materialien arbeiteten, wie etwa Dieter Roth mit Schokoladenfiguren. „Für ihn ist die Schokolade Ausgangspunkt, das Austrocknen spielt eine essenzielle Rolle für die Objekte.“ Das sei bei den Gold-Pommes jedoch offensichtlich anders.

Stefan Bohnenberger hatte sich 2005 von der Galerie getrennt und erst die in Gold gegossenen, später aber auch die in Fett gebackenen Stäbchen zurückverlangt. Die Gold-Pommes bekam er gegen Zahlung des Herstellungspreises von knapp 1000 Euro – das Gießen hatte die Galerie bezahlt. Die Original-Pommes aber waren weg. Zerfallen konnten sie kaum sein: Die Galeristin Andrea Tschechow besaß noch drei andere Pommes-Paare aus der Tüte, aus der Bohnenberger 1990 fünf Paare legte und dann von einem das goldene Kreuz gießen ließ.

Bohnenberger lebt heute im Heimatland der Fritte, in Belgien, und feierte dort seinen Sieg: „Ich Freude mich riesig und ich denke, das entspricht der Logik der Sache.“

Die Galeristin nennt das Urteil „bitter“. „Das Gericht tut dem Künstler und dem Kunstmarkt keinen Gefallen“, sagt sie. „Es werden sich viele Galerien überlegen, ob sie überhaupt in einen Künstler so hoch investieren, Arbeiten vorfinanzieren, Kataloge drucken.“ Die Pommes seien keine Kunst, sondern Vorlage gewesen. „Eine solche Vorlage dürfte gar nicht existieren, sie darf nicht in den Handel kommen.“ Denn sie könne für Kopien missbraucht werden.

Der erbitterte Streit zwischen Künstler und Galerie ist trotz des Urteils wahrscheinlich immer noch nicht zu Ende: Der Künstler verlangt noch die Herausgabe des Zertifikats für die Gold-Pommes. „Ehe ich es ihm in die Hand gebe, esse ich es unter Zeugen auf“, kündigte Tschechow an. Schließlich bürge sie auf dem Zertifikat mit ihrem Namen dafür, das es sich um ein Unikat handele. Doch Bohnenberger gibt nicht nach: Wenn sie das Zertifikat nicht herausgebe, „dann kriegt sie wieder eine Klage“.

Tschechow muss über beide Instanzen 90 Prozent der Verfahrenskosten zahlen. Berechnet nach den üblichen Gebührensätzen kommt sie das vermutlich weit teurer als der Schadensersatz von 2000 Euro plus Zinsen. Der Fall ist inzwischen also jedenfalls viele Tausend Tüten frische Pommes wert.

 

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