Franz Josef Strauß: "Es lebe die Radioaktivität"

München - Nachdem jetzt die ersten 600 Meter mit Helm und Grubenlampe begehbar sind, kann das oberfränkische Weißenstadt bald ein einzigartiges Schau-Bergwerk eröffnen. In den Stollen des Fichtelgebirges wurde einst Zinn gewonnen, woraus die Rüstungen des Mittelalters angefertigt wurden.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gewann die Gegend noch einmal militärische Bedeutung: Hitler ließ dort französische Gefangene nach Uranerz graben: für seine „Wunderwaffe“, die Atombombe.
Und ab 1956 wurden abermals 4000 Meter in den Berg getrieben. (Ähnliches geschah östlich des nahen Eisernen Vorhangs, im Erzgebirge der DDR und der damaligen CSSR). Zu strengster Verschwiegenheit verpflichtet, schürften Arbeiter des Montan-Magnaten Friedrich Flick mit Geigerzählern und empfindlicheren Scintillometern damals Rohstoff für die von Staat und Wissenschaft geplanten Atomöfen.
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„Bei Nacht und Nebel“, so Stefan Schürmann vom Landratsamt Wunsiedel, wurde das Material gefördert und weggeschafft, wenn auch nur in winzigen Mengen. Der Auftraggeber hieß Franz Josef Strauß; er war seit Oktober 1955 der erste Bundesminister für Atomfragen im Kabinett Konrad Adenauers. Doch die Ausbeute lohnte den Aufwand nicht.
Für Strauß jedoch war die geheime Exploration im Fichtelgebirge der Einstieg in eine neue Technologie, die das westliche Deutschland – möglichst unabhängig vom Ausland – zu einem wichtigen Standort für die Kernenergie und Bayern dereinst zum „modernsten Staat Europas“ machen sollte. Es war dann allerdings ein vorübergehend in Bayern regierender Sozialdemokrat, Professor Wilhelm Hoegner, der am 9. September 1957 die ersten Kisten mit 35 Uran-Elementen für den ersten deutschen Forschungsreaktor öffnen ließ, in Ermangelung eines Schraubenziehers mit einem Taschenmesser. Er hob die Stäbe empor und triumphierte: „Es lebe die Radioaktivität!“ Dann gab’s ein „Atom-Mahl“.
„Tschernobyl liegt nicht in der Oberpfalz, sondern in der Ukraine“
Das – im Oktober 1947 hochgefahrene und im Juli 2000 stillgelegte – „Atomei“ von Garching hatte man nun doch in Amerika kaufen müssen, den dafür benötigten Brennstoff auch.
20 Jahre später erst sah Strauß, der nunmehr im ehemaligen Agrarland Bayern regierte, eine neue Super-Chance, um atompolitisch aufzutrumpfen. In der Oberpfalz ging die Braunkohlezeit zu Ende. Eine Alternative war dringend gefragt, Angst wurde laut.
„Es gibt keinerlei Pläne und Überlegungen, in der Oberpfalz eine atomare Anlage zu errichten“, antwortete der Ministerpräsident, als ihn der Schwandorfer SPD-Landrat Karl Schuierer 1979 im Regensburger Kolpinghaus auf entsprechende Gerüchte ansprach. „Das war die erste Lüge“, sagte mir Schuierer, als er mir für mein Buch „Babylon in Bayern“ die Vorgeschichte und mehr erzählte.
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Es handelte sich um das Projekt WAA: die bei Wackersdorf aus dem Wald gestampfte Wiederaufarbeitungsanlage für abgebrannte Brennstäbe. So eine sei, sagte Strauß, nicht gefährlicher als eine „Fahrradspeichenfabrik“.
Die ersten Demonstranten verspottete er als „a paar Gspinnerte“. Als der Widerstand gegen die Rodung und die folgenden Bauarbeiten eskalierte, ließ er ganze Polizeiregimenter ausrücken und erstmals „Wirkwurfkörper“ sowie Reizgas gegen die „Chaoten“ einsetzen.
Ostern und Pfingsten 1986 kam es zu regelrechten Schlachten, auch zu politischen Gefechten und sogar zu diplomatischen Verwicklungen mit Österreich. Es gab Tote, Verletzte, viele Festnahmen.
Am 30. September erlebte ich, wie Strauß und CSU-General Gerold Tandler in einem popfarbigen Hubschrauber ins voll besetzte, hell bestrahlte, massiv gesicherte Stadion des FC Schwandorf einschwebten. Nur wenige Worte fand der Wahlkämpfer für die „Spaltungsenergie“, die ja eines Tages durch die Fusionsenergie abgelöst werde. Dazu habe er als Atomminister mit der Gründung des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik den Startschuss gegeben.
Die Protestierer? Lauter „apokalyptische Idioten“
Auf die Sorgen und Ängste der Bevölkerung ging er mit keinem Wort ein, er stellte nur fest: „Tschernobyl liegt nicht in der Oberpfalz, sondern in der Ukraine.“ Die aus dem Hintergrund johlenden „apokalyptische Idioten“ sollten doch einfach „mal rübergehen“.
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Genau acht Monate später, am 30. Mai 1987, stellte die von Großkonzernen getragene Deutsche Gesellschaft für Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen die Arbeiten im Taxöldener Forst ein, nachdem sie 2,6 Milliarden Mark investiert hatte. Für die deutsche Stromwirtschaft, hieß es knapp, sei die WAA technisch überholt. Still nahm Strauß Abschied von seinem Prestige-Projekt.