Fotograf Wolfgang Roucka: Seine olympische Aufgabe

Wolfgang Rouckas Poster wurden 1972 auf dem Olympiagelände verkauft. Jeden Morgen lag ein neues Motiv am Kiosk bereit. Ein Kraftakt für den jungen Fotografen, aber auch eine irre Erfahrung.
Helena Ott |
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Vor 50 Jahren stand Wolfgang Roucka im Olympiastadion, heute dreht er mit Hündin Hermine seine Runden in Schwabing.
Vor 50 Jahren stand Wolfgang Roucka im Olympiastadion, heute dreht er mit Hündin Hermine seine Runden in Schwabing. © Bernd Wackerbauer

München - Die Stimmung sei schon bevor die Nationen vor fast 70.000 Zuschauern ins Stadion einliefen, "unglaublich" gewesen. "Das war eine so aufgeladene Atmosphäre; die Begeisterung sprang von einem zum anderen über", sagt Wolfgang Roucka 50 Jahre später, keinen Kilometer vom Olympiagelände entfernt. Er bekäme heute noch Gänsehaut, sagt der 81-Jährige, wenn er an die Eröffnungsfeier im Münchner Olympiastadion denkt.

Besonderes Motiv von jedem Tag schaffte es auf ein Poster

Am 26. August vor 50 Jahren steht der 31-Jährige mitten in den bebenden Rängen. Die ersten Olympischen Spiele auf deutschem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg. Als alle Athletinnen und Athleten auf dem Rasen versammelt waren, drückt er zweimal kurz hintereinander den Auslöser. Ob daraus aber ein berühmtes Poster-Motiv wird, würde sich erst in der Dunkelkammer zeigen. Die Aufnahmen mussten perfekt aneinander anschließen.

Mit dem Olympischen Komitee hatte er vereinbart, jeden Tag einen besonderen Moment auszuwählen, den er als Poster für die Kioske drucken lassen würde: "Einzelne Athleten bei ihrem Sprung, Ritt oder Lauf zur Medaille. Das war meine ganz persönliche olympische Aufgabe", sagt Roucka. Auf das große Panorama der Eröffnungsfeier sei er aber am meisten stolz.

"Zu der Zeit waren Poster noch sehr angesagt." Für Jugendliche seien sie eine kostengünstige Möglichkeit gewesen, ihr Zimmer nach eigenen Vorstellungen zu dekorieren.

Sein berühmtestes Poster, sagt Wolfgang Roucka selbst. Aufgenommen bei der Eröffnungsfeier genau heute vor 50 Jahren, um 16.31 Uhr, wie er sich ganz exakt erinnert
Sein berühmtestes Poster, sagt Wolfgang Roucka selbst. Aufgenommen bei der Eröffnungsfeier genau heute vor 50 Jahren, um 16.31 Uhr, wie er sich ganz exakt erinnert © Archiv Wolfgang Roucka

Nach den Wettkämpfen ging es in die Dunkelkammer

Seine Reifeprüfung hatte der junge Fotograf bereits durchlaufen. Schon in seinen Zwanzigern hatte er mehrere große Sport-Events fotografiert. Aber Olympia '72 war in vielerlei Hinsicht besonders: die Menschenmassen, die internationalen Spitzensportler, auch der Terroranschlag - und die nächtliche Posterproduktion.

Das Panorama der Eröffnungsfeier war der Testlauf. Nach dem letzten Wettkampf zog sich Roucka in sein Fotostudio zurück und entwickelte. In der Dunkelkammer hatte er das Glück, dass die beiden Fotos wirklich nahtlos nebeneinander passten. Wie das geht? "Nicht mit Stativ, aber ich habe Horizont und Linien genau am Sucher ausgerichtet."

Mitten in der Nacht ließ Roucka die Plakate drucken und fuhr sie aus

Er zieht die Brauen hoch, wenn er überlegt, wie einfach heute jede Handykamera ein Panorama aufnehmen kann. "Damit ist für mich auch der Reiz verloren gegangen", sagt der Stadion-Fotograf. Heute fotografiere er praktisch nicht mehr. Aber um seinen Hals baumelt eine durchsichtige Kamera, aus Swarovski-Kristall; dazu trägt er einen hellen Sonnenhut und ein feines dunkelblaues Halstuch.

Mit den Negativen auf einem kleinen gelben Moped, einer Mars, fuhr er zur Lithografie und von dort weiter zur Druckerei Biering, sagt Roucka. Dort ratterten gegen Mitternacht 10.000 Exemplare der fotogewordenen Eröffnungsfeier durch die Druckwalzen.

Wolfgang Roucka mit 31 Jahren.
Wolfgang Roucka mit 31 Jahren. © Repro: Bernd Wackerbauer

Aber die Nachtschicht dauerte noch an: "Gegen vier, fünf habe ich die Kioske auf dem Olympiagelände beliefert." 8 DM kostete das Poster an den Ständen am nächsten Morgen. Das Ganze sei zehn Tage so gegangen. "Am zehnten bin ich im Studio zusammengeklappt." Aber erst als alles vorbei war, das ist ihm wichtig zu betonen. Jetzt versteht man auch besser, wenn Roucka bei '72 auch von seiner "olympischen Aufgabe" spricht.

Terroranschlag veränderte alles

Er habe seitdem kein größeres Sportereignis mehr gesehen. Aber auch für ihn wird es immer ein ambivalentes Erinnern bleiben. Als der Terroranschlag gegen die israelischen Sportler am 5. September bekannt wurde, habe sich eine bleierne Ruhe über das Gelände gelegt. "Das war eine solche Tragödie", sagt Roucka. Trotzdem findet er die Entscheidung, dass die Spiele zu Ende geführt wurden, immer noch richtig.

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Als er bei den Championships dieser Tage wieder "diese Stimmung" im Fernsehen gesehen hat, wäre er fast mit Hündchen Hermine hoch ins Stadion. Aber mit 81 ist sein Radius eben doch kleiner geworden. Zu Beginn des Jahres musste er wegen der Sanierung und der darauffolgenden Mieterhöhung auch sein Fotostudio am Wedekindplatz, das er zuvor durchweg betrieben hatte, räumen.

Fotograf ein Leben lang

Doch Wolfgang Roucka bleibt Profi - auch vor der Kamera. Als das Objektiv auf ihn gerichtet ist, stimmen Lächeln und Pose sofort. Es ist die Disziplin von jemandem, der noch weiß, wie teuer und aufwendig das alles einmal gewesen ist.

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