Mut statt Meckern: Felix Neureuther spricht Klartext zu Olympia in München
AZ: Herr Neureuther, eigentlich müssten Sie als gebürtiger Pasinger doch auch am Sonntag bei der Abstimmung über eine mögliche Olympia-Bewerbung der Stadt mitmachen dürfen, oder?
FELIX NEUREUTHER: (lacht) Stimmt, aber ich bin halt nicht in München wohnhaft, sondern in Garmisch-Partenkirchen. Deshalb darf ich leider nicht mit abstimmen.
So wie wir Sie seit vielen Jahren als restlos begeisterten Sportler kennen, dürfte ziemlich klar sein, wo Sie Ihr Kreuz machen würden. Wann haben Sie das Phänomen Olympia zum ersten Mal wahrgenommen?
Als Dreijähriger, bei den Spielen in Calgary 1988, als Alberto Tomba den Slalom gewonnen hat.
Ach! Erzählen Sie!
Papa (Christian Neureuther, Anm. d. Redaktion) hatte dort zu arbeiten, die Mama (Rosi Mittermaier, d. Redaktion) ist mit rüber geflogen und hat mich einfach mitgenommen. Das Ziel des Slalom-Rennens war dann etwas oberhalb der Talstation, wo die Parkplätze waren, und als die Mama mit mir zu Fuß da runter wollte, hat Alberto uns gesehen, mich auf den Arm genommen und mich auf Skiern runter zum Parkplatz gefahren, damit die Mama mich nicht durch den Schnee tragen muss. Das war mein erster Berührungspunkt mit Olympia.

Danach mussten Sie ja quasi Slalomfahrer werden!
Ja, ist nicht anders gegangen.
Und Ihre erste bewusste Erinnerung an Skirennen bei Olympia?
Im Fernsehen waren dann die Spiele in Lillehammer 1994 die ersten, die ich so richtig wahrgenommen habe.
"Da hab ich gedacht: Das will ich auch!"
Die Markus-Wasmeier-Spiele! Zwei Mal Gold für den Mann vom Schliersee!
Ja, wobei ich ehrlich gesagt eher Fan des Norwegers Kjetil André Aamodt (vierfacher Olympiasieger und fünffacher Weltmeister, d. Red.) war. Aber diese Begeisterung der Zuschauer dort, das hat mich als Neunjähriger schon fasziniert. Was da los war! Da hab’ ich für mich gedacht: Das will ich auch!
2006 waren Sie dann erstmals als Athlet bei Olympia, im italienischen Sestriere. Ein Traum, der in Erfüllung ging?
Für mich war das ein bisschen schwierig, weil ich nicht klassisch die Qualifikation für Olympia geschafft hatte, dann aber vom Deutschen Skiverband dennoch mitgenommen worden bin. Deshalb hatte ich da immer ein irgendwie ungutes Gefühl, dass ich es nicht verdient hatte, da mitzufahren. Die ersten Spiele, bei denen ich so richtig das Gefühl hatte, das sind Olympische Spiele, das war 2010 in Vancouver. Das waren tolle Spiele! Mal so richtiger olympischer Spirit. Davor hatte ich in Kitzbühel den Slalom gewonnen gehabt – das war anders als 2006. Bis dahin war das für mich das Größte, da dabei sein dürfen.
"Unfassbar. Eine sensationelle Stimmung!"
Die Alpin-Wettbewerbe haben damals ja in Whistler stattgefunden – haben Sie auch was von den Wettkämpfen in Vancouver mitbekommen?
Außer der Abschlussfeier wenig, weil der Slalom ja immer ganz am Ende der Spiele stattfindet. Im Olympischen Dorf war es toll, auch Eishockey-Star Sidney Crosby, der Schütze des entscheidenden Tores für Kanada im Finale gegen die USA, kam dort hin, weil der in Vancouver vor lauter jubelnden Fans nirgends anders mehr hingehen konnte.
Im vergangenen Jahr waren Sie als TV-Experte auch bei den Spielen in Paris – Ihre ersten Olympischen Sommerspiele?
2012 war ich in London, allerdings nur für drei Tage. Paris waren dann die ersten Sommerspiele, die ich so richtig, richtig erlebt habe. Das war unfassbar, eine sensationelle Stimmung! Für mich hat Sportromantik ja etwas damit zu tun, dass sich die Begeisterung vor Ort über den Fernseher zum Zuschauer daheim überträgt: Das sind für mich perfekte Spiele. Vollgepackte Stadien, diese Kulissen, das Radrennen quer durch die Stadt: unvorstellbar!

Ein so einfaches wie schlaues Konzept der Veranstalter: auf dem Stadtplan die schönsten Sehenswürdigkeiten markieren und eine entsprechende Route basteln. Das würde in München auch eine ganz hübsche Strecke ergeben.
Paris hat auch im Vorfeld eine tolle Infrastruktur geschaffen, nicht nur was die Sportstätten betrifft, sondern auch was das Thema Bildung angeht: Die haben das Bildungssystem durch die Olympischen Spiele verändert! Und sie haben die Menschen mitgenommen. Natürlich gibt es immer welche, die sagen: Dieses und jenes war schlecht. Aber wir müssen mal aufhören, immer über das zu sprechen, was schlecht war, sondern mal das Positive sehen. Und das haben die Pariser geschafft.
Die hätten sich vor Jahren auch nicht träumen lassen, dass sie mal wieder in der Seine baden können.
Klar gab es da im Vorfeld auch Proteste, aber letztlich war es ein wunderbares Sportfest. Allein die Eröffnungsfeier! Im strömenden Regen: völlig egal, weil’s einfach so gut war.

"Es war ein verdammt geniales Konzept"
Auch großartig, wie Paris den Autoverkehr reduziert hat, zugunsten von Fußgängern und Radfahrern. Da könnte sich München ebenfalls eine ganz dicke Scheibe abschneiden, oder?
Das ist es, was die Spiele 1972 für München geschaffen haben: Infrastruktur, Ausbau von U- und S-Bahn, Flughafen-Anbindung, neue Wohnungen und und und. Es war halt ein verdammt geniales Konzept, und so holt man auch die Menschen ab: mit einem guten Konzept.
Wie gut ist das aktuelle Konzept Münchens?
Wir haben alle Möglichkeiten – und die müssen wir nun nutzen. Wir haben die Sportstätten, die natürlich hergerichtet werden müssen. Was ich nicht mag, ist, schon vorab zu sagen: Wir Münchner können dieses, die Berliner sind da schlecht, Hamburger und Rhein/Ruhr dort nicht gut. Wir müssen doch schauen, dass wir die Spiele endlich wieder nach Deutschland kriegen! Nicht sich schon im Vorfeld gegenseitig schlecht machen. Letztlich ist es egal, wo in Deutschland die Spiele stattfinden. Es wäre so wichtig, dass sich Deutschland mal wieder positiv nach außen verkauft. Dass wir durch die Spiele eine Infrastruktur aufbauen können, von der ganz Deutschland profitieren würde und nicht nur eine Region. Dazu müssen wir versuchen, alle Bereiche abzudecken: Kunst, Kultur, Sport, Architektur. Und es sollte ein Konzept sein, mit dem man durch die Spiele auch Geld verdient und es nicht heißt, das kostet zig Milliarden und geht ja wieder nur zulasten des Steuerzahlers. Ich glaube, dass ein solches Konzept möglich ist. Klar muss man zunächst investieren, um irgendwann eine Rendite zu bekommen. Man braucht halt die richtigen Experten an der richtigen Stelle und eine Spitze, die vorangeht und das Thema auch lebt. Wir können das, definitiv! Denn die richtigen Leute haben wir. Und wir wissen auch, wie es funktioniert, siehe European Championships 2022 in München.

"Eigentlich sollte es keine Abstimmung geben müssen"
Wobei das mit dem Geschlossen-Vorangehen ja schon wieder so eine Sache ist: In München wird abgestimmt, Hamburg will womöglich im Mai 2026 abstimmen, Berlin gar nicht, Rhein/Ruhr vielleicht – so richtig Zug ist da nicht drin.
Eigentlich sollte es gar keine Abstimmung zu Olympia geben müssen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) müsste so stark sein, dass sie sagen: Die Spiele finden dort statt – und dann bewirbt man sich international. Als Land, ohne Bürgerentscheide, zu denen das IOC dann sagen kann: Ah, da haben ja nur soundsoviel Prozent zugestimmt… Das sind Abstimmungen, die den Bewerbern im Nachhinein vor die Füße fallen können. Aber dazu müsste der DOSB von Leuten geführt werden, die die Power haben, so etwas durchzusetzen.
Ist das der Fall?
Was wir brauchen, ist eine Vision für die nächste Generation. Und noch mal: Wir haben alle Möglichkeiten und auch die Sportbegeisterung der Menschen, die an so etwas wie Olympia glauben. Die müssen halt jetzt am Sonntag zum Abstimmen gehen, sonst funktioniert’s nicht.
