Feiert München den falschen Stadtgeburtstag?

München - Erst Kaltenberg, jetzt Freising, Föhring und München: Die Region scheint voller Legenden und Geschichten zu stecken. Julia Freidank stöbert sie auf. Die Schwertkämpferin, Sängerin, promovierte Islamwissenschaftlerin und Buchautorin feierte 2010 mit der „Gauklerin von Kaltenberg“ einen Überraschungserfolg, schaffte es mit dem historischen Roman bis in die Spiegel-Bestsellerliste.
„Die Fälscherin“ (Verlag Marion von Schröder, 14,99 Euro), die nun erschienen ist, hat den Konflikt zwischen dem Freisinger Bischof Otto und den Wittelsbachern zum Thema. Eine Geschichte um Liebe, Hass und den angeblichen Brand der Föhringer Brücke, mit dem Münchens Aufstieg begann.
Oder etwa doch nicht?
AZ: Frau Freidank, feiern wir heuer wieder einmal das falsche Stadtgründungsdatum 1158?
JULIA FREIDANK: Das kann schon sein! Wenn wir die Zerstörung der Föhringer Zollbrücke und den Neubau der Brücke bei Munichen als Gründungsdatum ansehen, dann ja.
Aha. Wieso?
Es gibt sehr unterschiedliche Datierungen für diesen Coup Heinrichs des Löwen. Manche sagen sogar, dass die Föhringer Brücke überhaupt nie zerstört wurde. Ich glaube allerdings schon daran.
Warum?
Im so genannten Augsburger Schied haben sich Heinrich und Otto von Freising dann später auf einen Kompromiss geeinigt, und dieses Dokument stammt tatsächlich aus dem Jahr 1158. Wenn wir es als Gründungsurkunde Münchens ansehen, sind wir auf der sicheren Seite. Aber selbst wenn wir nicht wissen, welches Datum richtig ist: Dann feiern wir eben alle.
Was spricht denn für 1157?
Das Wetter! Eine Brücke konnte nur im Sommer gebaut werden, wegen der Frühjahrs-Hochwasser der Isar. Der Augsburger Schied wurde aber bereits im Sommer 1158 verfasst. Da die Gerichte Zeit brauchten, spricht einiges für einen früheren Brand der Brücke. Im Jahr 1157 lief zudem Bischof Ottos Frist ab, dem neuen Herzog Heinrich dem Löwen zu huldigen. Und schließlich starben 1157 die Grafen von Wolfratshausen aus, denen viel Land um Munichen gehörte. Dieses Land fiel nun an Heinrich. So ergab es überhaupt erst Sinn, hier eine Brücke zu bauen.
Im Roman sind Gut – der Bischof – und Böse – die Wittelsbacher – sauber verteilt.
Ganz so streng habe ich die Linie ja nicht gezogen. Otto von Freising sah es schon so, er lässt in seiner Chronik kein gutes Haar an den Wittelsbachern, nennt sie Straßenräuber und Diebe. Die Wittelsbacher taten aber eigentlich nichts anderes als die meisten Adligen: Als Vögte verwalteten sie Kirchengut. Es war üblich, dass der Vogt einen guten Teil dieser Einnahmen in die eigene Tasche steckte. Pech war einfach, dass die Wittelsbacher ausgerechnet auf Otto von Freising trafen.
Auch die Titelheldin hat ihre Schattenseiten.
Ja. Blanka ist kein makellos gutes Mädchen. Streng genommen ist sie als Fälscherin eine Kriminelle, Bundespräsidentin würde sie sicher nicht werden. Ich suche das Menschliche, im Guten wie im Bösen. Nur nicht auf meinen Lesungen. Da kämpfe ich mit dem Schwert gegen einen Ritter, und beim Schwertkampf gibt es keine Grauzonen.
Welche Rolle spielt Heinrich der Löwe für München?
Eine größere, als ihm selbst wahrscheinlich bewusst war. Er war ja in seinem Leben keine zehn Mal in Bayern und ahnte sicher nicht, was aus München werden würde. Als er die Brücke baute, wollte er vor allem die Salzstraße in seine Hand bringen.
Wie tickte er?
Heinrich war in vielerlei Hinsicht modern. Er begriff, dass Geld bald wichtiger sein würde als Land. Es war spannend, über den jungen Heinrich den Löwen zu schreiben. Er ist ehrgeizig und getrieben, es besser zu machen als sein Vater, der seine Herzogtümer verloren hatte. Aber wie sagte man damals über das launische Schicksal: Fronte capillata, sed plerumque sequitur occasio calvata. Philologisch nicht ganz korrekt, aber vom Sinn her zutreffend könnte man das übersetzen: Von hinten Blondine, von vorne Ruine!
Lassen sich bei mittelalterlichen Dokumenten überhaupt noch Original und Fälschung unterscheiden?
Na ja, wenn jemand schon tot war, als er eine Urkunde ausstellen ließ, dann kann einem da schon mal ein leiser Verdacht kommen. Oder wenn jemand das Datum seiner eigenen Kaiserkrönung nicht weiß. Manchmal ist es ganz schön unverschämt, was Otto von Freising seinem Bistum an Privilegien verleiht. Sogar die freche Fälschung, nach welcher der alte Pfalzgraf auf die Gerichtsgewalt über die bischöflichen Ministerialen verzichtet, ist historisch belegt, Schreibfehler inklusive. Diese Urkunde nehme ich in Kopie auf meine Lesungen mit.
Warum boomen historische Stoffe in Buch und Film?
Als Wissenschaftlerin würde ich sagen: Es ist eine Gegenwelt. Das Mittelalter hat den Ruf, drastisch zu sein, in Sachen Sex, Gewalt, ständiger Präsenz des Todes: Das wirkt authentisch, sinnlich und real: das echte Leben in einer Zeit, in der persönliche Erfahrungen mehr und mehr virtuellen weichen. Es gab ein ähnliches Interesse am Mittelalter übrigens zur Zeit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert.