Fantasie auf Rezept
In ihrer GeschichtenPraxis in Untergiesing erzählt Cordula Gerndt für Kinder und Erwachsene – und gibt jedermann Tipps beim Schreiben.
Diese Praxis besteht aus zwei Bücherregalen, einer Sitzecke, netten Bildern an der Wand. Ein Froschkönig auf der Goldkugel im Schaufenster. Medizin? Sind hier Worte. Die Patienten? Sind Geschichten. Denn manche Geschichten muss man heilen, sonst funktionieren sie nicht. Wir sind in der Geschichtenpraxis von Cordula Gerndt in Untergiesing. Wer geht, bekommt eine „Hosentaschengeschichte“ mit auf den Heimweg.
Vor sechs Jahren hat Cordula Gerndt ihre Stelle bei Kosmos als Lektorin gekündigt. Sie hatte in den USA eine indianische Geschichtenerzählerin gehört, „ich bin gegangen, um mein Eigenes zu machen“. Es war „ein mutiger Schritt zurück zu den Wurzeln“. Zurück nach München, wo sie aufgewachsen ist „mit Geschichten und Büchern“. Cordula Gerndt beantragte eine der ersten Ich-AGs, im Formular bezeichnete sie sich tapfer als Geschichtenerzählerin.
Einmal im Monat erzählte sie ab jetzt für Erwachsene im Raritäten-Café in der Klenzestraße die verschiedensten Sachen. Märchen, Mythen, selbsterfundene Geschichten von Füßen und Schuhen, von Leben und Tod. „Das hat mich gezwungen, dranzubleiben.“ Erzählte bei Kindergeburtstagen, Betriebsfeiern, hielt Erzähl-Seminare an der VHS. „So hat sich’s seinen Weg genommen.“ Inzwischen kann sie sich aussuchen, wo sie auftritt. Regelmäßig zu hören ist sie jeden ersten Donnerstag im Monat bei ars musica im Stemmerhof, wo sie mit den Kolleginnen Katharina Ritter und Gabi Altenbach Grimm-Märchen erzählt, der Reihe nach, wie sie im Märchenbuch stehen.
Vor einigen Monaten hat Cordula Gerndt, 37, ihre Praxis eröffnet; hier will sie „Geschichten auf dem fliegenden Teppich“ erzählen für Kinder; hier lektoriert sie als Freie, weiterhin für den Kosmos-Verlag. Schreibt natürlich. Und päppelt hinkende Geschichten auf. Lustig findet Cordula Gerndt, wen es so alles in ihre Praxis spült. Manche Leute holen sich „Fantasiedrops“ für ihre Geschichten. Manche wollen lernen, gut zu erzählen. Ein Vater rief an, seine Tochter solle mehr in Kontakt kommen mit Geschichten.
Und irgendwann stand ein Müllmann in der Tür, im Fernsehen käme nur Mist, und er brauche Beschäftigung für den Abend. Cordula Gerndt verkaufte ihm ihre Geschichten-CD „Der Nachterzähler“. Sie sagt: „Ich hab’ Spaß am Ungewöhnlichen.“
Was nun eine gute Geschichte ausmacht? Und, andersrum, was ist faul an schlechten Geschichten? Eine gute Geschichte, sagt Cordula Gerndt, ist erstmal zweckfrei, unterhaltsam, aber trotzdem passiert was, ohne pädagogischen Zeigefinger. Sie funktioniert über die Bilder, die sie transportiert; und die Bilder sind dann nie schief, wenn man, sagt Cordula Gerndt, „das innere Kind erzählen lässt“. Sie mag Geschichten, die alltäglich beginnen, „dann taucht Überraschendes auf“ – und plötzlich öffnen sich dem Erzähler viele Türen, hinter die man wenigstens einen Blick werfen kann. Vorbilder? Michael Ende, Ottfried Preußler. Cordula Gerndt sagt: „Geschichten sind für mich ein Wegweiser durchs Leben.“
Andrea Kästle
GeschichtenPraxis, Schyrenstraße 12, Tel. 60666064
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