Familienvater schildert dramatische Flucht aus der Ukraine
Wer mit Michail Melnyk (56, Namen geändert) spricht, der spürt den Schrecken des Krieges. Die Stimme klingt rau. "Wir hätten nicht mit dem Angriff gerechnet", sagt Melnyk, der bei Kriegsbeginn mit seinen drei Töchtern Olena, Olga, Ofelia (8, 11 und 18) und seiner Frau Natalia in Kiew lebte. "Wir waren eine normale Mittelschichts-Familie", erzählt er.
Und dann fielen die ersten Bomben in Kiew. Familie Melnyk wollte in einen Luftschutzbunker – alle überfüllt. Sie fanden Unterschlupf in der Kirche. Der beengte und überfüllte Keller diente als Schutzraum vor Bombeneinschlägen.
Schon am nächsten Morgen entschied sich die Familie, Richtung Westen zu fliehen. Eine tagelange Irrfahrt. "Erst wollten wir nach Lwiw, meine Geburtstadt", erinnert sich Michail Melnyk. Doch Tausende Ukrainer flüchteten Richtung Westen. Kilometerlange Staus. Die Fahrt über knapp 600 Kilometer dauert normal sieben Stunden. "Nach 26 Stunden erreichten wir eine Tankstelle, kurz vor Lwiw", erinnert sich Melnyk. Dort konnten sie auch tatsächlich tanken. Keine Selbstverständlichkeit, wenn Hunderttausende Autos unterwegs sind. "Zum Glück hat meine Kreditkarte funktioniert", sagt Melnyk.
Geriet die Familie in die Fänge von Menschenhändlern?
Aber auch in Lwiw: Explosionen. Wieder fühlte sich die Familie nicht sicher. "Also fuhren wir weiter Richtung polnische Grenze, nach Stryj", sagt Melnyk. Erneut heulten die Sirenen. Weiter zur slowakischen Grenze. Nach drei Tagen erreichten sie die Slowakei. Nach einer weiteren Nacht im Auto konnten sie die Grenze passieren, landeten in einem überfüllten Auffanglager. Ein Russe sprach die Familie dort an und bot Hilfe. Völlig übermüdet fuhren sie ihm hinterher. "Er brachte uns in eine Hütte, mitten auf dem Land, mit hohen Zäunen und einem elektrischen Tor", erinnert sich Melnyk, "er wollte unsere Papiere, um uns angeblich irgendwo zu registrieren. Die haben wir ihm natürlich nicht gegeben."
Michail Melnyk fühlte sich unwohl. Seine Familie hätte sich am liebsten ein paar Stunden ausgeruht. Aber: "Sonst war niemand da, keine andere ukrainische Familie, außer uns. Da stimmte irgendetwas nicht", sagt er. Waren sie in die Hände von Menschenhändlern geraten? Das Bauchgefühl stimmte einfach nicht.
Flüchtlingsfamilie in München: Langsam kommt der Alltag
Familie Melnyk wartete, bis die Luft rein war, stieg ins Auto und verschwand Hals über Kopf. Ohne Ziel fuhren sie los, mitten in der Nacht. Doch wohin sollte es jetzt gehen? "Wir wussten, dass unser Pfarrer in Kiew einen ukrainischen Kollegen in München hat", erzählt Melnyk. Ein paar Telefonate später erreichten sie den Münchner Pfarrer und es war klar: "Wir fahren nach München und versuchen dort unser Glück."
Nach sechs schlaflosen Nächten erreichten sie ihr Ziel, endlich in Sicherheit. Langsam findet die Familie Melnyk in einen Alltags-Rhythmus. Die älteste Tochter Ofelia studiert inzwischen. Sie hat ein Stipendium im Ausland bekommen. Die beiden jüngeren gehen täglich in die Schule. Alles ist beinahe so normal wie damals in der Ukraine. Aber: "Wir kämpfen ein wenig mit der Sprache." Sie nehmen Deutschunterricht. "Wir wollen uns ein Leben in München aufbauen", sagt Melnyk.