Familie trifft München: Mit dem Camper durch Neuseeland
München - Sie befinden sich in der Rushhour des Lebens: Karriere, Kinder und eine aufwendige Hausrenovierung meistern sie gleichzeitig.
Familie Dahle wohnt in einem weißen Haus mit roten Garagentoren. Unter großen Buchen in einem "Kuhdorf" (sagen sie) in der Nähe von Icking. Die Mama ist Fotografin, der Papa Inhaber einer Werbeagentur. Die Patchwork-Familie, sechs plus Hund, wirkt harmonisch. Ihr Alltag ist aber durchaus turbulent. "Unser Zuhause ist unser Kokon, in dem es aber auch oft genug knallt, schon zur Selbstreinigung", beschreibt Mama Anja ehrlich das Familien-Leben. Um Zeit füreinander zu haben, packen die Dahles 2015 für zwei Monate die Koffer und tingeln durch Neuseeland.
AZ: Familie Dahle, als kleiner Clan so lang aufeinanderzuhocken, das will nicht jeder.
ANJA: Ich bin ein echtes Familientier, seit ich denken kann. Familie ist für mich das Zentrum, das Wichtigste, mein Hafen. Für mich ist meine Familie Start- und Landebahn zugleich.
KONSTANTIN: Es war mein persönlicher Traum diese Familien-Auszeit zu nehmen, bevor die Kinder in die Schule kommen. Neuseeland hat uns als Familie tatsächlich zusammengeschweißt - und zwar nachhaltig.
Was hat Sie so zusammengeschmiedet?
KONSTANTIN: 24 Stunden sieben Tage die Woche bei den Kindern zu sein, habe ich lernen müssen. Ab einem gewissen Zeitpunkt habe ich das aber super genossen. Immer hatte ich entweder Lilli oder Matteo an der Hand. Wilde Natur-Abenteuer haben wir erlebt: Höhlen entdeckt, auf Felsen rumgeklettert, Angeln. Wir sind Robbenkolonien und Pinguinen nahe gekommen - das war aufregend und verbindend.
ANJA: Am Anfang war es ein starkes Aneinanderreiben und sich aneinander Gewöhnen. Das hat vier bis fünf Wochen gedauert. Auf zehn Quadratmetern im Camper muss man sich jedem Konflikt stellen und Lösungen finden. Wenn man sich über seinen Sohn ärgert, weil der einen anschreit, kann man nicht in die Arbeit gehen - und abends ist die Wut verpufft. In Neuseeland konnte keiner ausweichen. Das war die reinste Familientherapie.
"Wir mussten durch viele banale Auseinandersetzungen"
Wie wirkte die Reise therapeutisch?
KONSTANTIN: Erst ist jeder in seinen Gedanken gewesen. Später war es viel gemeinschaftlicher, weil man sich weniger angenervt hat und bei Konflikten gelassener und entspannter reagiert hat.
ANJA: Wir mussten durch viele banale Auseinandersetzungen, wie mit Lilli, die sich zum Beispiel nicht wickeln lassen wollte - und bekamen einfach Übung.
Immer nur Zeit mit den Eltern: Kam bei Tochter und Sohn keine Langeweile auf?
ANJA: Viel im Auto, das Meer zu kalt zum Schwimmen, keine Kinder zum Spielen, darüber haben wir uns vorher Sorgen gemacht. Doch es war das Gegenteil. Unsere Kinder waren noch nie so ausgeglichen. Im Camper, egal welches Essen ich aufgetischt habe, riefen sie mit roten Bäckchen und Kohldampf: gut! Zuhause sind sie heikler.
KONSTANTIN: Es war die totale Freiheit für die Kinder, ohne Termindruck, an menschenleeren langen Stränden und netten Campingplätzen.
Ohne diese acht intensiven Wochen hätte es Ihr Nesthäkchen nie gegeben...
KONSTANTIN: Zu viert, jeden Tag woanders, dieses neue gelassene Miteinander: Zwischen uns als Paar sind tiefe Gespräche entstanden.
ANJA: Das Thema drittes Kind lag in der Luft. Familie hieß für mich immer Großfamilie. Meinen 3,50 Meter langen Esstisch gab es schon, bevor Kinder da waren. Erst während unserer Auszeit fiel der entscheidende Dialog. Ich sagte: Ich wollte immer vier Kinder und habe erst zwei. Konstantin konterte: Ich wollte bloß zwei und habe schon drei. Er hat noch seine Tochter Valentina aus erster Ehe.
KONSTANTIN: Noch ein Baby? Ich habe gedacht, wir sind doch jetzt schon alle am Anschlag. Wie soll ich das schaffen?
Doch der Neuseeland-Effekt schlug zu.
KONSTANTIN: Auf Wanderungen in der ursprünglichen Natur habe ich rein energetisch Kraft geschöpft. So konnte ich es mir vorstellen, die anstrengende Zeit mit einem neuen Baby hinzukriegen.
ANJA: Ich liebe Kinder, ich liebe Tiere, ich liebe alles Lebendige. Weihnachten 2016 kam dann Baby Emma auf die Welt. Mein Wunsch nach einer richtigen Rasselbande um mich herum wurde erfüllt - und drei ist dafür die kleinste Einheit.
Wie fühlt sich die Liebe zu Ihren Kindern eigentlich an?
ANJA: Als mein neugeborener Sohn Matteo neben mir lag, tat sich eine neue Dimension von Liebe auf, die ich mir vorher nicht vorstellen konnte. Ich dachte: Mein Gott, diesen kleinen Typen kenne ich erst seit zwei Tagen und ich würde heute mein Leben für ihn lassen. Und dieses Gefühl hat sich bei jedem weiteren Kind wiederholt.
KONSTANTIN: Ich habe vier Kinder und liebe alle gleich und wahnsinnig und anders. Der Eimer an Liebe, aus dem man schöpfen kann, ist viel größer, als man glaubt.
Selbst der Bürgermeister schaut vorbei
Wie ist es nach Neuseeland mit der Zeit für die Kids?
KONSTANTIN: Seit damals sehe ich die Zeit, die ich mit den Kindern sitze und spiele oder lese, als gewonnene Zeit: Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass mir einer die Zeit raubt. Diese Perspektive ist erst durch das gechillte Zusammensein am anderen Ende der Welt entstanden.
ANJA: Mir geht es genauso. Es ist die gleiche Menge an Zeit, die ich mit meinen Kindern Turm baue oder die Puppe tröste - die ich aber nicht innerlich auf der Flucht bin, um meine Sachen auf die Reihe zu kriegen.
Anja schläft seit acht Jahren oft nur fünf Stunden, weil sie erst abends wieder ungestört an den Computer kann und die Jüngste nicht durchschläft. Wenn Konstantin im Büro erscheint, hat er schon drei Brotzeiten geschmiert und zwei Kinder weggebracht. Entschädigen Sie die lustigen Momente mit den Kindern für diesen Alltag?
KONSTANTIN: Definitiv. Wir liegen unterm Tisch vor Lachen, wenn Emma tanzt. Sie macht so witzige Bewegungen und rockt über den Teppich. Matteo fängt gerade an mit sprödem Erwachsenenhumor.
ANJA: Als kürzlich unser alter Hund eingeschläfert werden musste, sagte Lilli ernst: Mama, ich weine einen Fluss voll Tränen, damit er darauf in den Himmel schwimmt. Eine Stunde später schlägt sie plötzlich vor: Mama, das wäre doch cool, wir essen heute die Eissorte "Kalter Hund". Das haben wir dann auch gemacht, als gebührenden Leichenschmaus für unseren Bruno.
Mama Anja fotografiert für Bildbände, fliegt auf Reportage - wer kümmert sich dann?
ANJA: Hier draußen ist das Angebot an Krippen und Kindergärten gut. Eines Samstags klingelte der Bürgermeister mit einem Lätzchen in der Hand, als Geburtsgeschenk für Emma, und fragte, ob wir einen Krippenplatz brauchen. Für Familien in München unvorstellbar!
Auffällig ist, dass alle Fotos im Haus Momente aus Neuseeland sind: Lilli im Blümchenkleid und Matteo vor einer mächtigen Baumwurzel.
ANJA: Das haben wir auch erst jetzt schmunzelnd bemerkt. Das sagt wohl etwas über die Intensität und den Zauber dieser prägenden Zeit.
KONSTANTIN: Gerade habe ich auch in meinem Büro ein großes Bild unseres Lieblingsstrandes in der Golden Bay aufgehängt.
Lesen Sie auch den vorherigen Teil unserer AZ-Serie: "Schief angeschaut wird man oft"
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