Fall Sonja Engelbrecht: Der ersehnte Fund im Felsspalt
München/Kipfenberg - Die letzte Fahrt der seit 27 Jahren vermissten Münchnerin Sonja Engelbrecht endete wohl im Staatswald Kälbertal, in Grösdorf bei Kipfenberg, 110 Kilometer nördlich von München. Hier im Landkreis Eichstätt kommt alles ein wenig verschlafen daher. Das regnerisch-dunkle Wetter am Mittwoch passt zum traurigen Anlass. Von Herbst bis Frühjahr ist die Gegend zudem berüchtigt für Dauernebel. Er setzt sich oft tagelang fest, zäh und undurchsichtig. Dem Altmühltal sei Dank.
Es ist ein Dunst, der sicher einen ziemlich guten Sichtschutz bieten würde, wenn ein Mörder sein Opfer im Wald verstecken wollte. Tief sinkt man hier in den Boden, trotz wochenlanger Trockenheit. Trampelpfade findet man im Unterholz nicht, aber Spuren von Traktorenreifen, die Altholz herauszerren. Menschen dürften an der Stelle also nicht oft unterwegs sein.

Der Knochenfund ist nur 200 Meter vom letzten entfernt
Da stellt sich gleich die erste Frage: Lag die tote Sonja Engelbrecht 27 Jahre lang unbemerkt an dieser Felswand, wo die Polizei nun eine blaue Plane gespannt hat, damit der Regen keine weiteren Spuren verwischt?
Am Stiglmaierplatz wurde die damals 19-jährige Sonja Engelbrecht das letzte Mal von Zeugen lebend gesehen. Am Abend des 10. April 1995 war das. Sie wollte nach Hause gehen, so sagte es ein Freund aus, der sie zuletzt sah. Dass sie tot ist, steht fest, seit Ende 2020 ein Oberschenkelknochen in eben jenem Grösdorfer Waldstück gefunden wurde, von einem Waldarbeiter, oberhalb der gestern ausgebreiteten Plane.
Dieser Oberschenkelknochen konnte mithilfe von neuen DNA-Analysemethoden inzwischen eindeutig Sonja Engelbrecht zugeordnet werden. "200 Meter ist diese Fundstelle des Oberschenkelknochens vom jetzigen Fundort entfernt", sagt Polizeisprecher Werner Kraus.
Bis Donnerstagmittag sollen die Knochen zugeordnet sein
Es wäre also beinahe absurd – wenn auch nicht völlig auszuschließen – dass die nun gefundenen Knochen sowie Zähne nicht zu Sonja Engelbrecht gehören würden. Auch einen menschlichen Kiefer fanden die Beamten, von denen etwa hundert seit dem 28. März erneut dieses steile Waldstück mit Spürstäben durchforsten. "Bis Donnerstagmittag sollte Klarheit herrschen, ob der aktuelle Fund zu Sonja Engelbrecht gehört", sagt Polizeisprecher Werner Kraus.
Vergraben waren die Knochen nicht. "An der Oberfläche direkt am Felsspalt haben wir sie entdeckt", so Kraus weiter. Ein vollständiges Skelett sei das noch nicht, hört man aus den Gesprächen der Polizei, weshalb weitergesucht werde.

Da stellt sich die zweite Frage: Hat sich Engelbrechts Mörder etwa keine allzu große Mühe gemacht, die junge Frau gut zu verstecken, zu vergraben? Das könne man daraus nicht unbedingt schließen, sagt die Polizei.
Ohne Sicherung würde man hier herunterfallen wie ein Stein
Kroatische Spürhunde hatten am Dienstag zunächst angeschlagen, oberhalb der jetzigen Fundstelle, am obersten Punkt des Felsspalts. Die Beamten mussten sich mit den Alpin-Spezialisten der oberbayrischen Polizei abseilen, um überhaupt zum Fundort zu gelangen, so steil geht es hier herunter. Ohne Sicherung würde hier fast jeder von oben herunterfallen wie ein Stein. So drängt sich eine dritte Frage auf.
Hat Engelbrechts Mörder die tote junge Frau auf das Aussichtsplateau gefahren und von oben Richtung Felsspalt geworfen? Darauf dürfte es jedoch keine Antwort geben, solange der Täter nicht gefasst ist. Denn Zeit und Witterung haben hier die meisten nützlichen Spuren längst verwischt.
Nicht nur die nächsten Verwandten und engsten Freunde Engelbrechts stellen sich seit fast drei Jahrzehnten die Frage, was der Fachoberschülerin Sonja damals wirklich passiert ist. Jetzt, seit Mittwochnachmittag, herrscht ein kleines Stück mehr Gewissheit.
Wie verschwand Sonja Engelbrecht?
Es gibt viele Theorien, wie Sonja Engelbrecht 1995 verschwunden sein könnte. Die Schülerin war lebensfroh. Da ist etwa die Geschichte vom verstoßenen Verehrer. Hat ein frustrierter Buhler die Gewalttat begangen? Und wenn ja, geschah das im Affekt oder geplant? Woran ist die 19-Jährige überhaupt gestorben?
Ziemlich sicher ist: Jemand muss Sonja Engelbrecht in einem Auto in diesen Staatsforst gebracht haben. Ob tot oder lebendig ist unklar. Eine sehr geringe Restwahrscheinlichkeit: Sonja Engelbrecht könnte bei einem Ausflug mit einem Unbekannten tödlich verunglückt sein, vielleicht abgestürzt. Könnte der Begleiter daraufhin panisch geworden sein und ließ die junge Frau an der Felswand zurück, weil er dachte, sie würde schon gefunden werden?
Falls doch Mord: Viele Theorien gehen von einem Einzeltäter aus. Aber auch mehrere Personen könnten verantwortlich sein. Die kommenden Tage und Woche werden zeigen, wie nah die Polizei der Wahrheit nun kommen kann.