Fahrprüfung für Senioren? Ältere lügen sich in die Tasche - Autofahrer-Debatte

In der Debatte über Prüfungen für Autofahrer über 75 legt ein Unfallexperte nach: Viele Senioren seien ein Sicherheitsrisiko auf der Straße – doch sie könnten selbst herausfinden, ob sie verkehrstauglich sind
von  Interview: Peter Löschinger
Siegfried Brockmann. Der Verkehrsexperte (60) leitet seit 2006 die Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Siegfried Brockmann. Der Verkehrsexperte (60) leitet seit 2006 die Unfallforschung der Versicherer (UDV). © dpa, Picture Alliance

Bei der Frage, ob es künftig Fahrtests für ältere Autofahrer geben sollte, setzt Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) auf Eigenverantwortung. Doch wie könnte die aussehen – und was können die Angehörigen und Freunde älterer Autofahrer machen, wenn sie an der Fahrtauglichkeit Einzelner zweifeln? Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV), gibt Antworten.

Siegfried Brockmann. Der Verkehrsexperte (60) leitet seit 2006 die Unfallforschung der Versicherer (UDV).
Siegfried Brockmann. Der Verkehrsexperte (60) leitet seit 2006 die Unfallforschung der Versicherer (UDV). © dpa, Picture Alliance

Der Bundesverkehrsminister appelliert an die Eigenverantwortung der älteren Autofahrer – wie könnte das gehen?
Siegfried Brockmann: Wir glauben nicht, dass sich die Mehrheit der Senioren an diesem Thema freiwillig beteiligt – etwa bei Rückmeldefahrten. Schon gar nicht die, die wir am meisten meinen. Wer schon fünf Mal von Freunden oder Verwandten gesagt bekommen hat, dass er immer noch ein toller Autofahrer ist, der neigt dazu, sich das bestätigen zu lassen in solchen Maßnahmen. Wenn er aber schon mehrfach gehört hat, dass es eigentlich besser wäre, nicht mehr Auto zu fahren, dann neigt er dazu, sich das besser nicht mehr bestätigen zu lassen.
Aber vielleicht hört er im besten Fall auch darauf? Aus Studien wissen wir, dass Verwandte oder gar Kinder als Berater nicht geschätzt werden. Wohl aber Personen, denen man große Kompetenz zutraut. Wir plädieren für verpflichtende Rückmeldefahrten ab 75 Jahren. Dabei müssen sich Autofahrer von einem Experten anhören, was gut ist, was nicht so gut ist und welche Empfehlung dahinter steckt.
Sie meinen eine verpflichtende Fahrt nur mit beratendem Charakter, warum das?
Eine 45-minütige Fahrt, egal wie ich sie mache, kann zu vielen Fehlurteilen führen. Deswegen bin ich gezwungen, eine mildere Form zu wählen. Es geht ja im Wesentlichen um kognitive Probleme, die sich nicht sicher im Rahmen einer kurzen Fahrt feststellen lassen.
Was soll das Ganze dann bringen?
Viele Senioren sagen in Umfragen: Sie würden, wenn sie wüssten, dass sie sich oder andere gefährden, nicht mehr fahren oder den entsprechenden Rat beherzigen. Es geht ja in vielen Fällen nicht nur um "Ja" oder "Nein", sondern darum, Defizite zu erkennen.
Wie könnte so ein Rat denn aussehen? Viele Senioren fahren oft nur noch zum Arzt oder zum Supermarkt. Wenn man dann sieht: Das können die auch noch ganz gut in der gewohnten Umgebung – ja, warum sollen die nicht Auto fahren? Man muss dann aber auch klar sagen "Fahre bitte nicht mehr auf die Autobahn" oder "Fahre bloß nicht mehr in den Urlaub, wo du dich nicht auskennst." Das sind Dinge, die auch wesentlich einfacher zu beherzigen sind. Man muss sie aber erst einmal wissen. Da das ein schleichender Prozess ist, ist das alleine schon eine Qualität.
Sie arbeiten an einem Konzept, wie solche Fahrten aussehen könnten. Aber was können ältere Autofahrer heute schon tun?
Rückmeldefahrten bieten etwa Autoclubs oder Fahrlehrer ja bereits an. Wo es in der Region solche Angebote gibt, sollte man die immer einmal wahrnehmen. Das Problem bei Fahrlehrern ist: Sie sind auf ganz was anderes gedrillt. Sie sollen Leuten beibringen, das Fahrzeug zu beherrschen und die Verkehrsregeln zu kennen. Das ist aber nicht das Problem von Senioren, denn das ist alles Erfahrungswissen. Bei kognitiven Problemen müsste der Fahrlehrer eigentlich besser geschult sein, um sie gut zu erkennen. Aber das ist besser als nichts.
Woran können ältere Autofahrer feststellen, dass sie ein Problem haben könnten?
Wenn ich merke, dass keiner mehr gerne mit mir fahren will. Für einen selber ist es sehr schwer zu erkennen. Wenn Senioren beispielsweise bei einer für sie unübersichtlichen Kreuzungssituation so lange stehenbleiben, bis alle weg sind, dann passt das allen anderen in der Umgebung nicht, und es gibt vielleicht schon mal die Hupe. Die kann dann wiederum zu Fehlverhalten führen. Und zu einem Grund, es auf andere zu schieben, denn es hat mich ja einer gedrängelt. Senioren lügen sich selbst in die Tasche, wenn sie immer Gründe dafür finden, warum der andere schuld gewesen sein soll.
Also muss man vor allem ehrlich zu sich selbst sein? Ja – und zulassen, dass meine Umgebung mir sagen darf, wie ich fahre.
Wie gut können Angehörige von außen einwirken?
Das lassen Senioren oft nicht zu. Die Familienkonflikte in dieser Frage sind ja Legende.


Eine Fahrprüfung für Senioren, eine sinnvolle Maßnahme oder Altersdiskriminierung? Das sagt die AZ-Leserschaft dazu:

Rudi Helfrich hierzu: "Reicht es nicht, dass wir Ü70er von den Autoversicherern abgezockt und diskriminiert werden? Ich fahre X-Jahre unfallfrei und bin nicht nur ein Sonntagsfahrer. Zu meinem 70. Geburtstag bekam ich von meinem Versicherer ein Geschenk in Form einer Beitragserhöhung. Vielen Dank dafür." Herbert Horn geht sogar weiter, er sieht die jüngere Generation als die Gefährder: "Man wird wohl kaum einen älteren Autofahrer finden, der während der Fahrt am Handy spielt und somit sich und andere gefährdet."

Doch manche Senioren wie Werner Hillinger sehen eine Fahrprüfung als notwendige Maßnahme: "Auch wenn Herr Scheuer gegen alles ist, was Sinn macht, muss ich feststellen, dass die Mehrheit der Bürger sowohl einer Geschwindigkeitsbeschränkung, als auch einer Fahrtüchtigkeitsprüfung im Alter durchaus positiv gegenüber stehen. Jeder Fahrer trägt eine hohe Verantwortung. Jeder vernünftige Mensch weiß, dass die Fähigkeiten, ein Auto zu fahren, im Laufe des Lebens nachlassen. Deshalb macht es Sinn zu prüfen. Obwohl ich selbst und mein Umfeld im gesetzten Alter davon betroffen wären, sind wir für diesen Vorschlag."

Bettie Rath ruft zu sozialer Verantwortung aller auf: "Ältere Menschen, gerade alleinstehend, brauchen zwingend und verpflichtend die Fahrüberprüfung und gleichzeitig eine soziale Einrichtung im Rücken, die Hilfe von Besorgungsfahrten umsetzen kann. Dafür sind wir, die nächste Generation, in der Pflicht. Senioren bekommen meist keinerlei Feedback von der Umgebung und überschätzen sich dann, weil sie selten Hilfe annehmen möchten."

Von Ludwig Wolf kommt sogar der Vorschlag eines Übergangsprojektes: "Wie wäre es mit einem Pilotprojekt, bei dem Hausärzte immer dann, wenn Patientinnen oder Patienten den Eindruck erwecken, aus medizinischer Sicht nicht mehr ausreichend fahrtüchtig zu sein, nachfragen, ob diese noch selber Auto fahren? Wenn ja, wäre ein Fahrtauglichkeitstest zu veranlassen. Die Ergebnisse aus diesem Projekt könnten eine gute Basis sein, die leidige Diskussion um Fahrtauglichkeitstests für Ältere zu versachlichen."


Karl Stankiewitz - AZ-Reporterlegende nimmt Abschied vom Auto

AZ-Reporter Karl Stankiewitz hat die Autoschlüssel abgezogen.
AZ-Reporter Karl Stankiewitz hat die Autoschlüssel abgezogen.

AZ-Reporter Karl Stankiewitz hat den Autoschlüssel abgezogen – für immer. Hier schildert er die Gründe:

Mit einem klapprigen DKW aus der Vorkriegszeit hatte ich als junger Reporter angefangen, den Ereignissen nachzujagen. 68 Jahre lang bin ich alle möglichen Autos gefahren – immer gern, manchmal leidenschaftlich und so gut wie unfallfrei. Jetzt aber nehme ich Abschied von meinem schönen, weißen, kleinen Ford K. Dass ich ihn in einer Kurve so ungenau gelenkt habe, dass ein Reifen vom scharfen Bordstein aufgeschlitzt wurde, ist nicht der einzige Grund.

Hallo Leute, wer meint, im hohen Alter vom Fahrersitz aus noch alles Notwendige klar zu erkennen, sich nach allen Seiten hin ausreichend orientieren zu können und im Notfall blitzschnell zu reagieren, der macht sich was vor. Und wer meint, ohne Auto in München nicht mobil genug zu sein oder gar – ganz dumm – an Prestige zu verlieren, der träumt von vorgestern.

In vielen Köpfen, auch von Politikern, geistert halt immer noch die Parole "Freie Fahrt für freie Bürger", die sogar der ADAC längst aufgegeben hat. Wer indes das Autofahren in München freiwillig aufgibt und dadurch den Verkehr entlastet, den sollten die Verantwortlichen, bitteschön, ein bisschen belohnen, zum Beispiel durch eine kostenlose Isarcard. Mir bleibt sonst nur das Radl, immerhin.

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